Ohne die USA: Wie verteidigungsfähig ist Europa wirklich?

Die Verteidigungsausgaben der Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind im Zeitraum 2021 bis 2024 um mehr als 30 Prozent gestiegen. Lagen die Ausgaben im Jahr 2021 noch bei 214 Milliarden Euro, wurden für die Verteidigung im vergangenen Jahr 326 Milliarden Euro ausgegeben. Das geht aus Zahlen des Europäischen Rates hervor. Bis 2027, so die Prognose des Europäischen Rates, dürften die Ausgaben real um mehr als 100 weitere Milliarden Euro steigen. Gerne würde die EU sicherstellen, dass dieses zusätzliche Geld in Europa selbst ausgegeben wird.
Deshalb legte die EU Mitte März ein Weißbuch zur Verteidigungsfähigkeit im Jahr 2030 vor („Joint White Paper for European Defence – Readiness 2030“). „Die Ära der Friedensdividende ist längst vorbei. Die Sicherheitsarchitektur, auf die wir uns verlassen haben, ist nicht mehr selbstverständlich“, machte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei der Vorstellung des Weißbuches am 19. März deutlich. Europa sei bereit, sich zu engagieren, so die Kommissionspräsidentin weiter.
Gleichzeitig betonte von der Leyen, dass Europa nun mehr europäische Produkte kaufen müsse. Das bedeute, „die technologische und industrielle Basis der europäischen Verteidigung zu stärken“. Weiter betonte die Kommissionspräsidentin, dass dieser Schritt auch bedeute, die „Innovation zu fördern“. Damit würde man einen „EU-weiten Markt für Verteidigungsgüter“ schaffen.
Mit der vorgelegten umfassenden EU-Verteidigungsstrategie beabsichtige der Staatenbund, auf die „gestiegene sicherheitspolitische Dringlichkeit“ zu reagieren, heißt es im Papier. Man wolle einerseits die europäische Verteidigungsindustrie stärken und andererseits die Ukraine auch weiterhin militärisch unterstützen. Insgesamt sollen im Rahmen dieses Plans über 800 Milliarden Euro an Verteidigungsausgaben im Raum der Europäischen Union mobilisiert werden.
Viele Länder verstoßen gegen fiskalische EU-Regeln
Ein zentrales Element in diesem Zusammenhang ist die Flexibilisierung der EU-Haushaltsregeln, damit Mitgliedstaaten mehr in Verteidigung investieren können, ohne gegen die Fiskalregeln zu verstoßen.
Die Vorgaben der Währungsunion sind im Stabilitäts- und Wachstumspakt festgelegt. Dieser verlangt von den 20 Mitgliedstaaten, die den Euro als gemeinsame Währung angenommen haben, dass deren öffentliches Haushaltsdefizit nicht mehr als 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) beträgt und die Staatsverschuldung 60 Prozent des BIP nicht übersteigt.
Letztere Regel wird aktuell von neun Euroländern eingehalten, wie eine Aufstellung der Plattform „Statista“ zeigt. Deutschland hat aktuell einen Verschuldungsgrad von 62,4 Prozent und liegt damit im EU-Vergleich im Mittelfeld. Zum Vergleich: Frankreich hat einen aktuellen Verschuldungsgrad von 113,8 Prozent. Der Verschuldungsgrad der 27 EU-Staaten zusammengenommen, liegt laut „Statista“ bei 81,6 Prozent.
Kapitalmarkt und Fördern von Privatinvestitionen
Ergänzt werden die Maßnahmen im „Readiness 2030“ durch das neue Finanzinstrument Security Action for Europe (SAFE), mit dem die EU plant, bis zu 150 Milliarden Euro auf den Kapitalmärkten aufzunehmen, um gemeinsame Rüstungsprojekte zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern. Schwerpunkt sollen hier Investitionen in Verteidigungsbereiche wie Raketenabwehr, Drohnentechnologie und Cybersicherheit sein. Bei der Vergabe von Aufträgen wird auch hier besonderer Wert auf die Beteiligung europäischer Unternehmen gelegt.
Auch sogenannte Drittländer, also Länder außerhalb der EU, können an SAFE-Projekten teilnehmen und von den von der EU bereitgestellten Finanzmitteln profitieren. In der Pressemitteilung zur Vorstellung des Papiers wird klar benannt, wer Adressat dieser Möglichkeiten ist:
Die Ukraine und die EFTA-/EWR-Länder können sich an gemeinsamen Beschaffungen beteiligen und von ihren Industrien einkaufen.“
Darüber hinaus soll die Europäische Investitionsbank ihre Kreditvergabe für Verteidigungs- und Sicherheitsprojekte ausweiten. Gleichzeitig setzt der Plan auf die Mobilisierung privaten Kapitals, etwa durch eine neue Strategie zur Förderung von Spar- und Investitionsflüssen in sicherheitsrelevante Branchen. Ziel ist es, nicht nur staatliche Mittel, sondern auch private Investitionen in die europäische Verteidigungsindustrie zu lenken – von Start-ups bis zu Großunternehmen.
Die Zusammenarbeit von EU-Ländern auf dem Verteidigungssektor ist allerdings nicht neu. Die „Permanent Structured Cooperation“ (PESCO) (auf Deutsch: „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“) ist eine verteidigungspolitische Initiative der Europäischen Union, die 2017 ins Leben gerufen wurde. Außer Malta nehmen alle EU-Länder daran teil. Ziel ist es, die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Bereich Verteidigung und Sicherheit zu vertiefen und gemeinsame militärische Fähigkeiten zu entwickeln.
Europaweite Verteidigungsprojekte
Aktuell sind auf EU-Ebene 66 PESCO-Projekte in der Entwicklung, darunter die sogenannte Eurodrohne.
Offiziell „European MALE RPAS“ (European Medium Altitude Long Endurance Remotely Piloted Aircraft Systems) genannt, ist die Eurodrohne ein gemeinsames europäisches Rüstungsprojekt zur Entwicklung einer unbemannten Aufklärungs- und Überwachungsdrohne. Ziel ist es, eine eigenständige europäische Drohne zu schaffen, unabhängig von außereuropäischen Anbietern wie den USA oder Israel. Die Drohne wird von Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien entwickelt. Hauptauftragnehmer ist Airbus gemeinsam mit Dassault und Leonardo.
Die Eurodrohne weist eine Spannweite von etwa 26 Metern auf und kann bei einer Flugdauer von bis zu 40 Stunden eine Flughöhe von rund 13.700 Metern erreichen. Sie kann bis zu 2.300 Kilogramm Nutzlast tragen, was sowohl Sensoren als auch optional Bewaffnung umfasst.
Der Vertrag über Entwicklung und Produktion wurde 2022 mit einem Volumen von circa 7,1 Milliarden Euro unterzeichnet. Die erste Auslieferung ist Ende des Jahrzehnts geplant. Insgesamt sollen 20 Systeme (je drei Drohnen plus zwei Bodenstationen) gebaut werden.
Ein weiteres Beispiel für ein PESCO-Projekt ist „Military Mobility“, das die schnelle und unkomplizierte Verlegung von Truppen und militärischem Material innerhalb Europas ermöglichen soll. Ziel ist es, infrastrukturelle und bürokratische Hürden – etwa bei Transportgenehmigungen, Zoll oder Brückenlasten – abzubauen, damit Streitkräfte im Krisenfall rasch reagieren können. Dazu gehört auch die Anpassung von Straßen, Bahnstrecken und Flughäfen an militärische Anforderungen. Das Projekt wird von fast allen EU-Staaten sowie den USA, Kanada und Norwegen unterstützt und eng mit der NATO abgestimmt.
Die „Cyber Rapid Response Teams“ (CRRTs) sind eine weitere PESCO-Initiative, die darauf abzielt, gemeinsam schnell auf Cybervorfälle und -krisen reagieren zu können. Diese Teams bestehen aus spezialisierten IT-Experten der teilnehmenden Mitgliedstaaten und können sowohl präventiv als auch reaktiv eingesetzt werden, beispielsweise zur Bewältigung von Cyberangriffen, Durchführung von Schwachstellenanalysen oder zur Unterstützung bei der Absicherung kritischer Infrastrukturen.
Das Projekt wurde von Litauen initiiert und koordiniert. Die CRRTs können auf Anfrage von EU-Mitgliedstaaten, EU-Institutionen oder Partnerländern aktiviert werden, um bei der Bewältigung von Cybervorfällen zu unterstützen. Ein Beispiel für einen solchen Einsatz ist die Unterstützung Moldawiens während der Präsidentschaftswahlen 2024, bei der ein CRRT zur Sicherung der Cyberinfrastruktur des Landes beitrug.
Abhängigkeit von den USA gewachsen
Im Januar wurde US-Präsident Donald Trump in das Amt eingeführt. In Europa werden seitdem immer wieder Zweifel an der Bündnistreue der USA laut. Doch ist Europa tatsächlich in der Lage, sich ohne die USA allein zu verteidigen?
Aufschluss darüber geben Daten des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI vom März dieses Jahres, die zeigen, wie schwer es für Europa werden könnte, sich ohne die USA zu verteidigen. Fast zwei Drittel (64 Prozent) der von den europäischen NATO-Mitgliedern zwischen 2020 und 2024 importierten Waffen kamen aus den USA – ein deutlicher Anstieg gegenüber den 52 Prozent, die zwischen 2015 und 2019 auf die USA entfielen.
„Angesichts eines zunehmend kriegerischen Russlands und der Belastungen der transatlantischen Beziehungen während der ersten Trump-Präsidentschaft haben die europäischen NATO-Staaten Maßnahmen ergriffen, um ihre Abhängigkeit von Waffenimporten zu verringern und die europäische Rüstungsindustrie zu stärken“, sagte Pieter Wezeman, leitender Forscher im SIPRI-Waffentransferprogramm bei der Vorstellung der Daten am 10. März. „Die transatlantischen Waffenlieferbeziehungen haben jedoch tiefe Wurzeln. Die Importe aus den USA sind gestiegen, und die europäischen NATO-Staaten haben noch immer fast 500 Kampfflugzeuge und viele weitere Waffen bei den USA bestellt.“
Diese von SIPRI aufgezeigte Entwicklung unterstreicht Europas wachsende Abhängigkeit von US-amerikanischer Rüstungstechnologie. Trotz Bemühungen, die europäische Verteidigungsindustrie zu stärken, entscheiden sich viele Länder weiterhin für den Erwerb von US-Waffensystemen.
Die zunehmende Abhängigkeit von US-Waffenimporten wirft Fragen hinsichtlich der strategischen Autonomie Europas auf. Es besteht die Herausforderung, ein Gleichgewicht zwischen der Nutzung bewährter US-Technologie und der Förderung einer eigenständigen europäischen Verteidigungsindustrie zu finden.
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