Selenskyjs Kehrtwende: Bekämpfung der Korruption durch Machtmissbrauch?

Am 22. Juli verabschiedete das ukrainische Parlament „Rada“ das Gesetz 12414, das die beiden wichtigsten Antikorruptionsbehörden des Landes, die NABU und die SAPO, der Aufsicht des Generalstaatsanwalts unterstellt. Drei Tage später ist das Gesetz wieder aufgehoben. Worum ging es darin?
Das beabsichtigte Gesetz hätte dem Generalstaatsanwalt direkten Einfluss auf die Ermittlungsfälle ermöglicht und weitreichende eigene Möglichkeiten eingeräumt. Damit wäre keine klare Trennung mehr von Judikative und Exekutive gegeben gewesen und das hätte womöglich selbst wiederum zur Korruption führen können.
Wer sind NABU und SAPO?
NABU ist das Nationale Antikorruptionsbüro, das befugt ist, Ermittlungen gegen Verdächtige durchzuführen und Material zusammenzutragen. Allerdings kann es keine Anklagen erheben. Dafür ist die „Spezialisierte Staatsanwaltschaft gegen Korruption“ (SAPO) zuständig. Sie unterstützt juristisch strafrechtliche Ermittlungen gegen Verdächtige und überwacht die juristischen Schritte.
Die Gründung von NABU und SAPO war eine der Anforderungen, die 2014 von der EU und dem Internationalen Währungsfonds gestellt wurden, um eine Lockerung der Visabeschränkungen zwischen der Ukraine und der EU zu erreichen. Im Jahr 2022 wurde der Ukraine zudem der EU-Beitritt in Aussicht gestellt. Nach dem Vorgehen gegen die beiden Antikorruptionsbehörden gibt es in Brüssel Bedenken darüber, dass Selenskyjs Innenpolitik die wachsende Annäherung Kiews an den Westen untergraben könnte.
Druck aus Brüssel
Der ukrainische Präsident Volodymyr Selenskyj hatte das umstrittene Gesetz am 23. Juli unterzeichnet, obwohl die Leiter von NABU und SAPO gewarnt hatten, dass es die seit 2014 hart erkämpften Reformen untergraben und die Unabhängigkeit der Behörden einschränken würde.
Auch die EU-Kommissarin Marta Kos, die für eine mögliche Aufnahme der Ukraine in die EU zuständig ist, hatte am 22. Juli gewarnt: „Ich bin ernsthaft besorgt über die heutige Abstimmung in der Rada. Die Abschaffung der wichtigsten Schutzklauseln für die Unabhängigkeit des NABU ist ein schwerer Rückschritt“, erklärte Kos auf X.
Seriously concerned over today’s vote in the Rada. The dismantling of key safeguards protecting NABU’s independence is a serious step back.
Independent bodies like NABU & SAPO, are essential for 🇺🇦’s EU path. Rule of Law remains in the very center of EU accession negotiations.
— Marta Kos (@MartaKosEU) July 22, 2025
Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, zeigte sich ebenfalls derart besorgt über diesen Schritt, dass sie Selenskyj persönlich anrief und ihn um eine Erklärung ersuchte. Es dauerte zwei weitere Tage, bis Selenskyj einlenkte und am 25. Juli ankündigte, er werde einen neuen Gesetzentwurf zur „Wiederherstellung der Unabhängigkeit der ukrainischen Antikorruptionsbehörden“ vorlegen.
Das einkassierte Gesetz hatte landesweite Proteste ausgelöst, die von Beobachtern als „die größten seit Beginn des russischen Großangriffs“ bezeichnet wurden. Die Demonstranten befürchteten, dass mit dem Gesetz „ein Jahrzehnt des Fortschritts zunichtegemacht“ werden würde.
Hintergrund der Korruption
Seit der Unabhängigkeit nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991 leidet die Ukraine unter massiver Korruption. Schwächen im Justizsystem und mangelnde Transparenz im Parlament sowie in der Regierung gelten als wesentliche Ursachen dafür. Dennoch gibt es inzwischen einige Erfolge, insbesondere die Polizeireform, Änderungen im öffentlichen Beschaffungswesen und die Auflösung staatlicher Industriebetriebe.
Die umfangreichen westlichen Finanzhilfen für die Ukraine seit der russischen Invasion haben jedoch zu erneuter Sorge geführt, dass diese Gelder veruntreut werden und zu persönlichen Bereicherungen innerhalb von Regierungsbeamten führen könnten. Tatsächlich gibt es seit Anfang 2023 eine Reihe von Korruptionsskandalen, in die mehrere hochrangige Beamte verwickelt waren und immer noch sind.
Selenskyjs Angst vor russischer Unterwanderung
Der Inlandsgeheimdienst der Ukraine (SBU) und die Generalstaatsanwaltschaft (OGP) hatten am 21. Juli mitgeteilt, dass sie eine Infiltration des NABU durch den russischen Geheimdienst FSB aufgedeckt hätten. Ein NABU-Mitarbeiter, der für Russland spioniert habe, sei verhaftet worden.
Wie die „Ukraïnska Pravda“ in einem Onlinebeitrag ausführt, habe der Spion Daten von ukrainischen Strafverfolgungsbehörden gesammelt und an russische Geheimdienste weitergegeben. Der ukrainische Inlandsgeheimdienst habe ohne richterlichen Beschluss NABU-Büros durchsucht und Razzien bei 19 Mitarbeitern durchgeführt.
Einschüchterung der Korruptionsbekämpfer?
Der ukrainische Ableger der internationalen Antikorruptionsorganisation „Transparency International“ erklärte zu dem Vorgehen des SBU: „Die jüngsten koordinierten Aktionen des ukrainischen Sicherheitsdienstes, der Generalstaatsanwaltschaft und der staatlichen Ermittlungsbehörde offenbaren, dass die Behörden versuchen, die Unabhängigkeit der ukrainischen Korruptionsbekämpfungsinstitutionen (…) zu untergraben. Diese Maßnahmen zielen offenbar darauf ab, Informationen zu erzwingen und die Ermittlungen gegen hochrangige Beamte zu beeinflussen.
Transparency International Ukraine prangert diesen Druck auf die Antikorruptionsbehörden öffentlich als inakzeptabel an“, hieß es in einer Pressemitteilung.
Vorwurf an Selenskyj: Politisch motivierte Aktion
Der Ukraine-Experte Ulrich Schmid, Professor für Osteuropastudien an der Universität St. Gallen, hat eine weitere Erklärung für Selenskyjs Handeln parat: Er sieht einen Zusammenhang mit anhaltenden Korruptionsskandalen, wie um den abgesetzten Minister für ukrainische Einheit, Oleksiy Chernyshev, „über den der Präsident eine schützende Hand hält“, sagte Schmid gegenüber dem Schweizer Nachrichtenportal „blue News“.
Wäre das vorgesehene Gesetz 12414 tatsächlich umgesetzt worden, hätten die laufenden Ermittlungen gegen Chernyshev gestört werden können, so der Schweizer Experte.
Neuer Gesetzentwurf am 31. Juli
Selenskyj habe Pressemeldungen zufolge dem Parlament nun einen neuen Gesetzentwurf vorgelegt, der „vollwertige Garantien für die Unabhängigkeit der Antikorruptionsbehörden“ enthalten soll. Außerdem seien regelmäßige Lügendetektortests für jene Mitarbeiter von NABU und SAPO vorgesehen, die mit Geheimhaltungsunterlagen arbeiten.
Parlamentspräsident Ruslan Stefanchuk bestätigte inzwischen in einem Post auf X, dass der revidierte Gesetzesentwurf am 31. Juli „geprüft“ und zur schnellstmöglichen Ratifizierung vorgelegt werde.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion