Spanien: Wirtschaft wächst rasant – was hinter dem überraschenden Aufschwung steckt

Der Motor Europas hat sich nach Süden verlagert. Spaniens Wachstum liegt auf einem Niveau, von dem der Rest Westeuropas nur träumen kann. Spanien ist die zwölftgrößte Volkswirtschaft der Welt. Doch wie nachhaltig ist dieser Boom? Hinter den Zahlen zeigen sich Schwächen.
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Spaniens Wirtschaft überrascht mit starkem Aufschwung. (Symbolbild)Foto: Pablo Blazquez Dominguez/Getty Images
Von 7. Oktober 2025

Die Finanzminister in Nord- und Westeuropa blicken neidisch auf die Iberische Halbinsel. Die spanische Wirtschaft hat die übrige Eurozone in den Jahren nach der Pandemie weit übertroffen.

Die britische Zeitschrift „The Economist“ hat Spanien zur leistungsstärksten Volkswirtschaft der Welt im Jahr 2024 gekürt. Das südeuropäische Land steht im Fokus der Aufmerksamkeit und lockt Investoren an.

„Für diesen Erfolg gibt es vor allem drei Gründe: einen starken Dienstleistungssektor, Arbeitsmigration und das Wachstum des Staates“,

sagt Ruben Dewitte, Ökonom und Spanien-Experte bei der Bank ING, gegenüber The Epoch Times.

Globale Finanzkrise, Eurokrise und Pandemie

Seit der Rückkehr zur Demokratie im Jahr 1975 hat Spanien, einst „der Cousin vom Lande“, eine rasante Modernisierung durchlaufen. Das Land nutzte die Export- und Fördermöglichkeiten der EU-Mitgliedschaft geschickt, was sich im modernen Straßennetz und der sonstigen Infrastruktur widerspiegelt.

Allerdings kam in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach Sand in den iberischen Motor. Der Bauboom zu Beginn der 2000er-Jahre – damals war das Land der weltweit größte Importeur von Zement – erwies sich als Blase, die im Sommer 2008, kurz vor der globalen Krise, die im Herbst desselben Jahres ausbrach, platzte.

Die Eurokrise wurde zum nächsten Bremsklotz. Und dann kam die Pandemie. Sie traf Spanien mit seiner dienstleistungsorientierten Wirtschaft besonders hart.

Als die Beschränkungen aufgehoben wurden, kam es zu einem starken Aufschwung. Ende 2022 waren alle durch die Pandemie verursachten Verluste wieder aufgeholt. Die Räder drehten sich weiter.

2023 wuchs die Wirtschaft um 2,5 Prozent. Im vergangenen Jahr lag sie laut den jüngsten bereinigten Zahlen sogar bei 3,5 Prozent – ​​viermal so stark wie der Durchschnitt der Eurozone.

Zum Vergleich: Im Pandemiejahr 2020 war die Wirtschaft um 10,9 Prozent geschrumpft. In den nächsten zwei Jahren dürfte das Wachstum anhalten, wenn auch nicht ganz auf dem gleichen Niveau.

Dienstleistungssektor sorgt für Erholung

Gleichzeitig konnte die Inflation im vergangenen Jahr mit 2,8 Prozent unter Kontrolle gehalten werden, und die Arbeitslosigkeit, ein seit Langem bestehendes Problem Spaniens, liegt bei knapp über 10 Prozent, was für spanische Verhältnisse ein anständiger Wert und der niedrigste seit 2008 ist.

„Es ist auch der große Dienstleistungssektor, der für die schnelle Erholung gesorgt hat“,

sagt Ökonom Ruben Dewitte.

Der Tourismus brach während der Pandemie ein, hat sich seitdem aber stark erholt. Spanien konnte im vergangenen Jahr 94 Millionen Touristen begrüßen und nähert sich damit den 100 Millionen Touristen Frankreichs.

Dies war ein wichtiger Teil der Erholung, aber der Dienstleistungssektor umfasst weit mehr als nur den Tourismus, der gut ein Zehntel der Wirtschaft ausmacht.

In vielen europäischen Ländern entstehen immer mehr Jobs in gut bezahlten Dienstleistungsbranchen wie Finanzen, Immobilien, IT oder Beratung. In Spanien ist dieser Trend besonders stark.

Banken und Telekommunikation sind große Branchen im Land. Ein Großteil der Dienstleistungswirtschaft ist exportorientiert.

Verstärkte Einwanderung durch relativ offene Grenzen

Der nächste wichtige Faktor für den spanischen Erfolg in Ruben Dewittes Aufzählung ist die Einwanderung.

Der Anteil der erwerbstätigen Bevölkerung ist seit 2019 um 5,5 Prozent gestiegen, verglichen mit 3,1 Prozent in der Eurozone insgesamt. Dewitte erklärt:

„Spanien hat in den vergangenen Jahren pro Kopf mehr Einwanderer aufgenommen als Deutschland, Frankreich und Italien. Mehr Verbraucher bedeuten stärkeres Wachstum.“

Während die Grenzkontrollen in weiten Teilen der EU gelockert wurden, hat Spanien seine Grenzen relativ offen gehalten. Das Land wird wahrscheinlich Ende nächsten Jahres die Marke von 50 Millionen Einwohnern überschreiten, obwohl die Geburtenrate genauso stark oder sogar noch stärker zurückgeht als im übrigen Europa.

Spanien hat auch den „digitalen Nomaden“ den Zugang erleichtert – Ausländern, die sich nicht dauerhaft niederlassen, sondern von Spanien aus online arbeiten und somit einen Beitrag zum Konsum im Land leisten.

Einwanderer aus Lateinamerika und Marokko dominieren

Es gibt jedoch wichtige Unterschiede. Die Einwanderung nach Spanien erfolgt größtenteils aus Lateinamerika, was geringere kulturelle Hürden und keine Sprachbarrieren bedeutet.

Die weiterhin relativ hohe Einwanderung aus Marokko hat ebenfalls alte Wurzeln.

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Von einem ökonomischen Standpunkt aus ist die Frage, wie produktiv der Zustrom von Arbeitskräften aus dem Ausland ist. Hier lässt sich eine Lücke in der Erfolgsgeschichte erkennen: Das BIP-Wachstum pro Kopf liegt seit der Pandemie in etwa auf dem Niveau des Durchschnitts der Eurozone.

„Spanien muss also prüfen, wie es seine Produktivität steigern kann“, stellt Dewitte fest. Ein Zeichen dafür, dass dies geschehen könnte, ist, dass das Bildungsniveau derjenigen, die nach Spanien kommen, offenbar steigt.

Laut der Investmentbank Goldman Sachs ist der Anteil der mittel- und hoch qualifizierten Einwanderer in Spanien mittlerweile höher als in den anderen großen Volkswirtschaften der EU.

Die privaten Haushalte haben in den Jahren seit der Pandemie viel Geld ausgegeben und so die Wirtschaft angekurbelt. Noch wichtiger waren jedoch die Staatsausgaben. Foto: Oscar del Pozo/AFP/Getty Images

Spanien hat, wie andere Mittelmeerländer auch, eine Kategorie von Einwanderern, die in Nordeuropa nur sehr selten anzutreffen ist. Während das Land einer regulierten Arbeitsmigration relativ offen gegenübersteht, ist es auch Teil der EU-Außengrenze und will gegen irreguläre Migration vorgehen.

Spanien ist weiterhin das Ziel Zehntausender Migranten, die auf wackeligen Booten vor allem aus West- und Nordafrika ein besseres Leben suchen. Über 50.000 kommen jedes Jahr an, in den letzten Jahren vor allem auf den Kanarischen Inseln. Tausende ertrinken auf der Überfahrt.

Staatlicher Konsum gestiegen

Die spanischen Haushalte haben in den vergangenen Jahren mehr ausgegeben, was die Wirtschaft angekurbelt hat. Gleichzeitig war der staatlich geförderte Konsum eine zentrale Komponente des Wachstums. Dazu gehören unter anderem Ausgaben für Bildung, Gesundheitswesen, soziale Sicherung, Kultur, Infrastruktur sowie öffentliche Verwaltung, Sicherheit und Umweltschutz.

Das ist laut Ruben Dewitte die dritte große Komponente. Spanien hat seit 2018 eine sozialdemokratisch geführte Regierung, und eines ihrer Ziele ist es, den Anteil des Staates am BIP zu erhöhen.

Der Anteil ist von 38 Prozent – aus westeuropäischer Sicht niedrig – auf 42 Prozent gestiegen. Dies geschah teilweise durch Kredite, doch EU-Vorschriften setzen dem öffentlichen Defizit Grenzen.

Niedrige Strompreise für Industrie – attraktiver als Deutschland

Im Jahr 2025 gibt es Anzeichen dafür, dass sich die verschiedenen Komponenten des spanischen Wachstums verändern. „Der Export von Dienstleistungen verlangsamt sich. Eine Erklärung dafür ist, dass der Tourismus, der dazu zählt, nicht so schnell weiterwachsen kann wie nach der Pandemie“, sagt Dewitte.

Auch die Staatsausgaben sind zurückhaltender. Wie in Frankreich hat das Parlament in diesem Jahr Schwierigkeiten, eine Mehrheit für einen Haushalt zu finden, was den Spielraum für große Investitionen einschränkt.

Die Verfügbarkeit stabiler und günstiger Energie ist ein entscheidender Faktor. Spanien hat stark in erneuerbare Energien investiert. Dies wurde allgemein als Erfolgsrezept angesehen, aber ein gigantischer Stromausfall im Frühjahr hat die Anfälligkeit von Wind- und Sonnenenergie deutlich gemacht.

Die Strompreise sind jedoch niedrig, im Gegensatz zu Deutschland, das ebenfalls versucht, von Kernkraft und fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien umzusteigen.

Der durchschnittliche Strompreis für Gewerbe und Unternehmen in Spanien lag 2024 bei 17,44 Cent pro Kilowattstunde und damit unter dem EU-Durchschnittspreis von 22,3 Cent pro Kilowattstunde. In Deutschland lag er dagegen deutlich höher, nämlich bei 27,14 Cent pro Kilowattstunde.

„Dies in Kombination mit dem nach wie vor wettbewerbsfähigen Lohnniveau macht das Land für ausländische Unternehmen attraktiv, um dort zu investieren und sich niederzulassen. Für die verarbeitende Industrie ist Spanien attraktiver als Deutschland“, sagt Dewitte.

Automobilindustrie abhängig von Deutschland

Andererseits sind spanische Industrien Teil der Wertschöpfungsketten der europäischen Wirtschaft. In der Automobilindustrie beispielsweise stellen spanische Fabriken Komponenten her, die in deutschen Fabriken zusammengebaut werden. Wenn sich die Räder in Deutschland langsamer drehen, bremst das auch Spanien.

Die Arbeitslosigkeit sinkt derzeit, war jedoch lange Zeit ein großes Problem. Hier ein Protest gegen Entlassungen bei Airbus in Spanien. Foto: Javier Soriano/AFP/Getty Images

Kann Spanien anderen europäischen Volkswirtschaften etwas beibringen?

Ruben Dewitte zögert ein wenig mit seiner Antwort. Diversifizierung, Fortschrittsgeist und Effizienzsteigerung im Dienstleistungssektor seien ein Bereich. Der spanische Telekommunikationssektor habe etwa gute Leistungen erbracht.

Intelligente Investitionen in die Infrastruktur seien ebenfalls etwas, das andere mehr tun sollten. Aber größere staatliche Investitionen im Allgemeinen empfiehlt der Ökonom nicht, da dies die grundlegende ideologische Frage betrifft, wie groß der Staat sein sollte.

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Einwanderung ist ein ebenso politisch brisantes Thema wie die Größe des Staates. Dewitte betont jedoch, wie viele andere Ökonomen auch, dass die Einwanderung von Arbeitskräften langfristig eine Teillösung für Länder mit einer alternden Bevölkerung sein kann.

Die nächsten Wahlen in Spanien finden 2027 statt. Historisch gesehen war der Unterschied zwischen der Linken und der Rechten in der Einwanderungsfrage nicht besonders groß. Falls die Rechte nächstes Mal gewinnt, könnten andere Prioritäten in den Vordergrund treten.

Der Artikel erschien im Original auf epochtimes.se unter dem Titel „Spanien växer så det knakar – lockar inte bara turister. (deutsche Bearbeitung il)



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