Vom Schriftsteller zum Senator zum US-Vizepräsidenten: James David Vance

Wenn der geschiedene Vater des heutigen amerikanischen Vizepräsidenten James David Vance in dessen Kindheit von seinem Besuchsrecht Gebrauch machte, „verkroch ich mich in den ersten Stunden unter dem Bett, aus Furcht, er könne mich entführen und ich würde Mama nie wiedersehen“, berichtet Vance.
Und weiter: „Wenn er mich manchmal abholte, stand Mama mit einer verborgenen Waffe auf der Veranda und starrte ihn unverwandt an.“ Allein diese Szene aus den Kindheitserinnerungen des heutigen Vizepräsidenten offenbart viel über seine Herkunft.
„Hillbilly-Elegie“ nannte Vance sein erstes und bisher einziges Buch. „Hillbilly“ ist die Bezeichnung für die „Hinterwäldler“ an der gesamten Ostküste der USA, inmitten oder hinter dem lang gezogenen, durchgehenden Gebirge der Appalachen, die von Alabama im Süden bis nach Neufundland reichen. Und „Elegie“ ist der klassizistische Ausdruck für „Klagelied“. Damit ist bereits im Titel alles gesagt.
Vance beschreibt, wie es der wirtschaftlich abgehängten weißen Arbeiterbevölkerung jenseits der großen Städte geht – nämlich dreckig.

„Hillbilly-Elegie – Die Geschichte meiner Familie und einer Gesellschaft in der Krise“ von JD Vance. Der Spiegel: „Ein mitreißendes, bewegendes, kluges Buch.“ Foto: Bildschirmfoto YES-Verlag
Warum schrieb Vance dieses Buch?
Vance kehrt nach erfolgreichem Jurastudium an der Eliteuniversität Yale und ersten Arbeitserfahrungen mit seiner Frau in seine kleine Heimatstadt in den Appalachen zurück und reflektiert über die Geschichte seiner Familie und die eigene Kultur. Über drei Generationen hinweg berichtet er über das Leben seiner Familie, über Angehörige und zahlreiche Personen, die aus der Arbeiterklasse stammen.
Für diese wurde der berühmte amerikanische Traum nicht zur Wirklichkeit, letztlich aber für ihn. JD Vance:
Ich war eines dieser Kinder mit einer trostlosen Zukunft. Ich hätte die Highschool beinahe nicht geschafft.“
Als Motivation für sein Buch gibt Vance an: „Die Leute sollen verstehen, was im Leben der Armen vor sich geht, welche psychologische Wirkung diese geistige und materielle Armut auf ihre Kinder hat.“
Vance erzählt auch von seinen Großeltern mütterlicherseits, die ihn teilweise großgezogen haben. Beide verfügten über keinen Schulabschluss, arbeiteten hart, kamen aber nie aus der Armut heraus. Sie stehen laut Vance exemplarisch für eine Bevölkerungsschicht jenseits des Gebirges.
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Kein Wunder, so möchte man meinen, dass seine Mutter in Chaos, Hilflosigkeit, Gewalt, Drogen und Alkohol abglitt. Genau in diesem Teufelskreis befindet sich nach wie vor eine große Menge Arbeiterfamilien in den USA – ob weiß oder schwarz. Die Hillbillies vor allem aber fühlen sich doppelt entfremdet von der politischen Führung des Landes und den hollywoodartigen Glamourauftritten der Washingtoner Politiker. Sie fühlen sich nicht nur abgehängt vom Rest der Gesellschaft, sie sind es auch. Und sie fühlen sich ohne Stimme, denn arme Weiße gibt es im öffentlichen Bewusstsein der USA nicht.
Was denkt man in den USA über das Buch?
Die „New York Times“ (NYT) konnte sich in ihrer Buchrezension im Sommer 2016 nicht entscheiden, ob sie das Buch empfehlen oder verreißen soll. Denn hier hielt ein konservativer Autor der amerikanischen Elitepresse einen Spiegel vor, der nicht in ihr Weltbild passte. Es ging mal nicht um Härten im Leben der Afroamerikaner, Latinos oder Migranten aus Haiti, sondern um den „White Trash“, „weißen Abschaum“, wie in den USA die Angehörigen der europäischstämmigen Unterschicht häufig genannt werden.
Und so titelte die NYT damals: „Die Hillbilly-Elegie – eine raue Liebesanalyse der Armen, die Trump unterstützen“. Die Zeitung konnte es sich nicht verkneifen, allein mit der Überschrift bereits Vance und die Hillbillies „politisch einzuordnen“. Dabei sprach sich zum damaligen Zeitpunkt der kleine Anwalt Vance gegen Trump aus.
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Was bei dieser „Einordnung“ außerdem mitschwingt, ist: Nur Hinterwäldler des Appalachen-Gebietes können für Trump sein, so der Unterton. Welches Klischee bei der amerikanischen Bildungselite über die Appalachen-Bewohner vorherrscht, kann man in dem Film „Deliverance“ gut sehen. Gezeigt werden physisch entstellte, geistig zurückgebliebene und völlig verarmte Personen. Der Film stammt zwar aus dem Jahr 1972, die darin vermittelten Klischees werden aber bis heute in den USA gepflegt. Auch in Europa kennen viele Menschen den Film. Er wurde weltberühmt durch das vierminütige einzigartige Banjo-Gitarren-Duett von einem Ostküstenstädter und einem geistig und körperlich zurückgebliebenen Hillbilly-Jungen.
Ins Bewusstsein der Amerikaner geholt
Gegen Vorurteile über Hillbillies wie die in „Deliverance“ hatte Vance später anzukämpfen, als er mittels eines Stipendiums an der Yale-Universität studieren durfte. Eine seiner Professorinnen ermutigte ihn deshalb, seine Familiengeschichte zu veröffentlichen, da sich die breite amerikanische Öffentlichkeit der Problematik und der Krise dieses Bevölkerungsteils nicht bewusst war.
Vance kann schreiben. Die Personen seiner wahren Geschichte sind oft so fein gezeichnet, dass man beim Lesen glaubt, sie vor sich zu sehen: von seiner süchtigen Mutter über seine mit einer Pistole bewaffnete Großmutter bis zu seinem Großvater und den vielen anderen Männern, die in sein zerrüttetes Leben ein- und ausstiegen.
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„Aus meinem Leben kann man politische Lehren ziehen“
Die Botschaften, die Vance gleichsam nebenbei seinen Lesern mitgibt, lauten: Das moderne Klischee, Weiße sind reich und alle anderen sind arm, ist „ganz großer Blödsinn“. Und: Hinterwäldler sind nicht dumm, nur weil sie hinter dem Wald wohnen. Und schließlich: „Ich denke, man kann aus meinem Leben durchaus einige politische Lehren ziehen – wie man den Menschen in entscheidenden Momenten den richtigen Schubs gibt“, glaubt er und führt noch einmal gegen Ende seines Buches ein drastisches Erlebnis aus seiner Kindheit an:
Wir können etwas daran ändern, wie Jugendämter mit Familien wie meiner umgehen.“
Vance erinnert sich daran, „dass ich mit zwölf zuschauen musste, wie meine Mutter im Streifenwagen abtransportiert wurde. […] Die Maschinerie hatte uns jetzt erfasst, wir bekamen Besuch von Sozialarbeitern und hatten Pflichttermine bei der Familienberatung.“
Als Vance sagte, er würde ohnehin die meiste Zeit bei seinen Großeltern verbringen, drohte man, ihn zu Pflegeeltern zu geben, denn aus Sicht des Gesetzes war „meine Großmutter eine Pflegemutter ohne Ausbildung und ohne Lizenz“. Und so entschied sich der Zwölfjährige: „Also hielt ich den Mund, sagte den Sozialarbeitern, alles sei in Ordnung, und hoffte bei der Verhandlung, dass ich meine Familie nicht verlieren würde. Diese Hoffnung zahlte sich aus – Mom kam nicht ins Gefängnis.“
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Was denkt man in Deutschland?
Wer solche harten Lebenserfahrungen gemacht hat und heute mit an der Spitze der mächtigsten Nation der Welt steht, dem kann man ein gutes Gespür für Menschen und auch Weisheit in jungen Jahren zutrauen. Vance ist heute 40 Jahre alt. Und so fand auch das Wochenmagazin „Der Spiegel“ nach der Veröffentlichung der ersten Ausgabe in Deutsch 2017, dass dies ein „kluges Buch“ sei.
Die „Süddeutsche“ griff gar zum Superlativ und nannte es damals „das wichtigste politische Buch des Jahres“. Seit seiner Rede vor der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar dieses Jahres, in der Vance der deutschen Politik zum Thema Meinungsfreiheit und Demokratie die Leviten las, sind die zitierten Medien von Vance nicht mehr begeistert. Stellt sich die Frage: War Vance nur 2016/17 „klug“ und ist er es jetzt nicht mehr?
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Wenn Sie wie ich die Lektüre dieses Buches aus dem einen oder anderen Grund bisher aufgeschoben haben, empfehle ich, dies nicht länger zu tun. Die „Hillbilly-Elegie“ geht unter die Haut. Und sie offenbart einen wunderbaren Menschen.
Das Buch ist auch hier im Epoch Times Shop erhältlich.
Angaben zum Buch:
JD Vance: „Hillbilly-Elegie – Die Geschichte meiner Familie und einer Gesellschaft in der Krise“. Deutsche Lizenzausgabe. 2024 erschienen im YES-Verlag, München. Taschenbuch. 304 Seiten, 18,- €, auch als E-Book erhältlich: ISBN 978-3969053645. / Deutsche Erstausgabe in Hardcover im Ullstein-Verlag, Berlin 2017, 24,- € / New York Times und Spiegelbestsellerliste Platz 1. – Verfilmt von Netflix 2020. Trailer: https://www.netflix.com/de/title/81071970
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