Wahlkampfauftakt: Hunderttausende auf den Straßen von Budapest

Die ungarische Hauptstadt wurde am 23. Oktober zur Bühne eines politischen Wettkampfes. Zwei Lager demonstrierten ihre Mobilisierungskraft vor den kommenden Wahlen im Frühjahr. Orbán sprach von der „größten patriotischen Bewegung“, die den Frieden in Europa verteidigte. Sein Widersacher, Péter Magyar, konterte mit Antikorruptionsforderungen und dem Ruf nach einem Systemwechsel.
Titelbild
Demonstranten tragen eine riesige ungarische Flagge, während sie am 23. Oktober 2025 in Budapest, Ungarn, an einem „Marsch für den Frieden” teilnehmen.Foto: Ferenc Isza/AFP via Getty Images
Von 24. Oktober 2025

In Kürze:

  • Zwei politische Lager demonstrieren ein halbes Jahr vor den Parlamentswahlen in Ungarn ihre Stärke.
  • Viktor Orbán führt einen „Marsch für den Frieden“ an, um Wähler zu überzeugen.
  • Oppositionsführer Péter Magyar nutzte historische Symbole, um Kritik und Reformforderungen zu verbinden.
  • Analysten erwarten ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

 

Zehntausende, nach manchen Schätzungen sogar mehrere Hunderttausend Menschen, zogen am Donnerstag, 23. Oktober, durch die Straßen der ungarischen Hauptstadt. Am Jahrestag des ungarischen Volksaufstands gegen die sowjetische Vorherrschaft von 1956 fanden in Budapest zwei große politische Kundgebungen statt.

Angeführt wurde die eine von Ministerpräsident Viktor Orbán, der seit fünfzehn Jahren ununterbrochen regiert und erneut zum jährlichen „Marsch für den Frieden“ aufrief. Die andere führte Péter Magyar an, der sich inzwischen zu Orbáns bedeutendstem politischen Herausforderer gemausert hat.

Noch vor wenigen Jahren Teil von Orbáns innerem Machtzirkel, tritt Magyar heute unter dem Banner seiner erst vor einem Jahr gegründeten Tisza-Partei für einen „Systemwechsel“ ein. Seine Kundgebung bezeichnete er als „Nationalen Marsch“. Tisza versteht sich als eine ideologiefreie Formation und als rechtsliberale Kraft für eine zentristische Politik.

Ein halbes Jahr vor den nächsten Parlamentswahlen ist die politische Spannung im Land deutlich spürbar. Beide Lager liegen in den Umfragen nahezu gleichauf. Entsprechend wurden die Demonstrationen von vielen als inoffizieller Stimmungstest betrachtet: ein Vergleich der Mobilisierungskraft und ein Vorgeschmack auf das, was im Frühjahr bevorstehen könnte.

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán am 23. Oktober 2025 am Ende des „Marsches für den Frieden” vor dem ungarischen Parlament in Budapest, Ungarn. Foto: Ferenc Isza/AFP via Getty Images

Orbán: Wahl zwischen Krieg oder Frieden

Der derzeit dienstälteste Regierungschef der EU erklärte in seiner Rede, dass das Lager seiner Unterstützer nicht nur die „größte patriotische Bewegung“ des Landes, sondern auch Mittel- und womöglich in ganz Europa sei. Diese Bewegung, so Orbán, habe dafür gesorgt, dass Ungarn weiterhin „das einzige migrantenfreie Land Europas“ bleibe und „LGBTQ-Aktivisten aus den Schulen verwiesen“ worden seien.

Seinen eigenen Anhängern attestierte er zugleich, die wahren Verteidiger des Friedens zu sein, während er seinen wichtigsten politischen Gegner als Marionette der EU darstellte. Aus Orbáns Sicht gehe die eigentliche Bedrohung der nationalen Souveränität und des Friedens von Brüssel aus, das „sich selbst in erbärmlicher Weise als Weltmacht wahrnimmt“.

Wer Magyar unterstütze, unterstütze daher bewusst oder unbewusst den Krieg, so Orbán. Er spielte damit darauf an, dass Magyar selbst sowie seine Parteikollegen Teil der Fraktion der Europäischen Volkspartei sind. Orbán warf dem Magyar-Lager vor, den Anweisungen der größten Fraktion im Europäischen Parlament zu folgen, die einen Kriegskurs fördere.

Im Zentrum seiner Kritik stand der Vorwurf, Brüssel befördere eine Beteiligung an einem Krieg mit Russland. Die sogenannten „kriegsbereiten Länder“ hätten bereits eine Allianz gebildet. „Sie sind bereit, andere in den Tod zu schicken“, so der Regierungschef. Würde Brüssel die Friedensmission des US-Präsidenten nicht behindern, „gebe es bereits Frieden“.

Genau darauf zielt Orbáns Wahlkampfnarrativ ab: Die bevorstehende Abstimmung sei eine Entscheidung „zwischen Krieg und Frieden“. Er richtete dabei auch einen Appell an die jungen Wähler, sich von der „Manipulation“ Brüssels zu lösen und „aufzuwachen“.

Magyar: „Heute sind wir alle Ungarn“

Stunden nach Orbáns Auftritt zogen Magyars Unterstützer durch Budapest und skandierten: „Russen, geht nach Hause!“ Ein Verweis sowohl auf den ungarischen Volksaufstand von 1956 als auch auf das aus ihrer Sicht zunehmende Maß russischen Einflusses auf die ungarische Politik von heute.

Der oppositionelle Marsch fand nicht im hellen Vormittagslicht statt, sondern im teils strömenden Regen. Magyar schwenkte eine rot-weiß-grüne Nationalflagge, während er vor mehreren Tausend Anhängern auf dem Heldenplatz sprach.

Der Vorsitzende der Oppositionspartei Tisza, Péter Magyar, schwenkt eine Flagge am 23. Oktober 2025 auf dem Heldenplatz im Zentrum von Budapest. Das Loch in der Fahne soll an den ungarischen Volksaufstand von 1956 erinnern, als Demonstranten Hammer und Sichel aus der Mitte der Nationalflagge schnitten. Foto: Peter Kohalmi/AFP via Getty Images

Die von der Regierung Orbán Enttäuschten wandten sich in den vergangenen Monaten in wachsender Zahl der Partei des Juristen Magyar zu. Magyar gründete Tisza im Jahr 2023 und diese gewann unter seiner Führung bei den Europawahlen 2024 knapp 30 Prozent der Stimmen. Tisza ist bisher nicht im ungarischen Parlament vertreten.

Magyar, der früher selbst Teil des inneren Kreises von Orbán war, ist nicht unumstritten: Er war in mehreren Fidesz-nahen Geschäftsnetzwerken als CEO tätig, was ihm Kritik wegen möglicher Interessenkonflikte einbrachte. Zudem ist er der Ex-Ehemann von Judit Varga, der ehemaligen ungarischen Justizministerin. Im März 2024 wurde er landesweit bekannt, als er ein heimlich aufgenommenes Gespräch mit Varga veröffentlichte, in dem sie von einem Korruptionsskandal berichtete.

Auf Orbáns Rede vom selben Tag ging Magyar kaum direkt ein. Stattdessen nutzte er die historische Bedeutung des 23. Oktober, um die angeblichen Widersprüche in Orbáns Politik herauszustellen. Er bezeichnete es als „tragische Ironie“, dass es im Jahr 1989 Orbán gewesen war, der lautstark den Abzug sowjetischer Truppen aus Ungarn forderte.

„Der Politiker, der einst den Abzug russischer Soldaten verlangte, ist heute der treueste Verbündete des Kremls“, erklärte Magyar. Orbán habe ein System geschaffen, „in dem Macht zentralisiert, Medien kontrolliert und das Land von Angst beherrscht“ werde.

In seinen Versprechen betonte Magyar vorrangig künftige Maßnahmen gegen Korruption – aus seiner Sicht der verwundbarste Punkt des Orbán-Systems. Für die Wahl 2026 zeichnete er einen fundamentalen Gegensatz: Freiheit oder Unterdrückung.

Er appellierte auch die Einheit des Volkes: „Heute sind wir nicht Fidesz oder Tisza, nicht rechts oder links. Heute sind wir alle Ungarn. Ob beim Nationalen Marsch oder beim Marsch für den Frieden“, sagte er.

Wer hatte mehr Anhänger auf der Straße?

Auf Facebook bedankte sich Ministerpräsident Viktor Orbán bei den Teilnehmern des „größten Friedensmarsches aller Zeiten“. Unter einem Foto schrieb er: „Wir waren doppelt so viele beim Friedensmarsch wie beim Kriegszug der Tisza. Danke!“

Ob diese Behauptung tatsächlich stimmt, wird jedoch vielfach angezweifelt. Nach Schätzungen einer der ältesten linksgerichteten Tageszeitungen des Landes, „168.hu“, nahmen am Vormittag bei Orbáns regierungsnaher Veranstaltung rund 85.000 bis 92.000 Menschen teil. Bei der späteren Kundgebung von Magyar am Nachmittag sollen es hingegen etwa 160.000 bis 170.000 gewesen sein.

Schätzungen aus konservativen Kreisen kommen zu einem anderen Ergebnis: Demnach hätten an Magyars Kundgebung höchstens 35.000 Menschen teilgenommen.

Zehntausende Ungarn versammelten sich am 23. Oktober 2025 in Budapest zu rivalisierenden Kundgebungen, als sowohl die Regierung als auch die Opposition vor den Wahlen im nächsten Jahr um Unterstützung werben. Foto: Peter Kohalmi/AFP via Getty Images

Mehrere Analysten und Beobachter betonen, dass beide Seiten beeindruckende Menschenmengen mobilisieren konnten – das Kopf-an-Kopf-Rennen jedoch offenbleibt. Und: Die Größe der Demonstrationen lasse ohnehin kaum Rückschlüsse auf das tatsächliche Wahlverhalten zu.



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