Warum der Frieden in der Ukraine bisher scheitert

Am 2. Juni fand in Istanbul die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen Russland und der Ukraine statt – ohne wesentliche Fortschritte. Dies geschah mehr als vier Monate nach der Amtseinführung von US-Präsident Donald Trump. Der republikanische Politiker hatte im Wahlkampf wiederholt betont, er könne das Blutvergießen innerhalb von 24 Stunden beenden.
Daher stellt sich die berechtigte Frage: Warum kommen die Verhandlungen nur so schleppend voran?
Ein Teil der Antwort liegt wohl in den bekannten Streitpunkten zwischen Russland und der Ukraine – etwa der Frage einer möglichen NATO-Mitgliedschaft Kiews, Sicherheitsgarantien sowie der zukünftige Status der von Moskau besetzten Gebiete.
Doch darüber hinaus lohnt sich ein genauerer Blick: Welche politischen und wirtschaftlichen Akteure auf globaler Ebene jenseits der Kriegsparteien Russland und Ukraine könnten ein Interesse daran haben, dass der Krieg weitergeführt wird?
Wenn der Krieg die Kasse klingeln lässt: Die Rolle der Rüstungsindustrie
Schon Anfang 2022, noch bevor der erste Schuss in der Ukraine gefallen war, sprachen Führungskräfte großer US-Rüstungskonzerne darüber, wie die Spannungen in Osteuropa ihre Gewinne steigern könnten. „The Nation“ und andere Medien berichteten darüber, wie Greg Hayes, der damalige CEO von RTX, einer der größten amerikanischen Waffenhersteller, in einem Telefonat mit den Investoren im Januar 2022 sagte:
„Wir sehen, würde ich sagen, Chancen für internationale Verkäufe. […] Und natürlich die Spannungen in Osteuropa, die Spannungen im Südchinesischen Meer – all diese Dinge erhöhen den Druck auf die Verteidigungsausgaben dort. Ich gehe also voll und ganz davon aus, dass wir daraus einen Nutzen ziehen werden.“
Im März 2022 erklärte er, dass alle Waffenlieferungen an die Ukraine aus bestehenden Lagerbeständen der Verbündeten Kiews kämen und deren Wiederauffüllung „ein Vorteil für unser Geschäft in den kommenden Jahren“ sei.
Die Aktienkurse und Gewinne der US-amerikanischen „Big-Five”-Verteidigungsunternehmen – Lockheed Martin, RTX (ehemals Raytheon Technologies), Boeing, Northrop Grumman und General Dynamics – verzeichneten seit Beginn des Ukraine-Krieges ein erhebliches Wachstum. So stiegen die Aktienkurse der vier Unternehmen zwischen Februar 2022 und Februar 2023 im Schnitt um 12,8 Prozent, während die Aktien allein von General Dynamics um 24,75 Prozent zulegten.
Wirtschaftlich profitierten jedoch nicht nur amerikanische, sondern auch europäische Rüstungskonzerne und deren Aktionäre vom Ukraine-Krieg. So verzeichnete etwa die Aktie von Rheinmetall aus Düsseldorf zwischen Februar 2022 und Februar 2024 eine Kurssteigerung von 315 Prozent. Die Aktien des britischen BAE Systems und des französischen Thales entwickelten sich ebenfalls positiv, mit Kurszuwächsen von 105 oder 59 Prozent.
Die größten Verteidigungsunternehmen konnten seit Anfang 2022 milliardenschwere Aufträge verbuchen. Ein Beispiel dafür ist die deutsche Tochtergesellschaft von RTX. Das Unternehmen Comlog erhielt Anfang vergangenen Jahres einen Auftrag der NATO im Wert von 5,5 Milliarden Euro für die Herstellung von 1.000 Patriot-Luftabwehrraketen.

Der ukrainische Präsident Wladimir Selenskyj bei einem Besuch eines Militärübungsgeländes in Mecklenburg-Vorpommern am 11. Juni 2024, wo ukrainische Soldaten am Luftabwehrraketensystem Patriot ausgebildet werden. Foto: Jens Büttner/POOL/AFP via Getty Images
Zum Gesamtbild gehört auch, dass es zwar wirtschaftliche Interessen an der Rüstungsproduktion gibt, die möglicherweise dazu beitragen, den Krieg am Laufen zu halten. Gleichzeitig würde ein längerer Waffenstillstand oder sogar ein Friedensvertrag für die Ukraine nicht unbedingt zu einem Einbruch der Aufträge für die Rüstungskonzerne führen.
Der Hauptgrund dafür ist, dass die NATO-Mitgliedsländer seit 2022 massive Aufrüstungsprogramme durchführen. US-Präsident Donald Trump hat wiederholt betont, dass er die Abhängigkeit des Kontinents von den US-Streitkräften reduzieren wolle. Es zeichnet sich nun ab, dass Generalsekretär Mark Rutte bereit ist, auf Trumps Forderung einzugehen und beim bevorstehenden NATO-Gipfel Ende des Monats in den Niederlanden ein 5-Prozent-Ziel für Verteidigungsausgaben zu vereinbaren. Dies würde für einige Länder wie Italien, aber auch Deutschland erhebliche Anstrengungen bedeuten.
Die Profiteure der Energiekrise
Doch nicht nur die Rüstungsindustrie profitiert vom Krieg. Infolge der EU-Sanktionen gegen Russland und der zuvor bestehenden starken Abhängigkeit von russischer Energie kam es in Europa zu erheblichen Versorgungsengpässen ab dem Frühjahr 2022. Diese führten zu stark steigenden Energiepreisen sowie historischen Inflationsraten. Eine „positive Bilanz“ der EU-weiten Energiekrise konnten infolgedessen führende Öl- und Gaskonzerne ziehen.
So verzeichneten die fünf größten an westlichen Börsen notierten Öl- und Gaskonzerne – BP, Shell, Chevron, ExxonMobil und TotalEnergies – laut einer Analyse der Umweltorganisation Global Witness seit Beginn des russischen Einmarsches in der Ukraine im Februar 2022 Gewinne in Höhe von über 380 Milliarden US-Dollar.
Im Jahr 2021, also noch vor Kriegsbeginn, erhielten die Aktionäre dieser Konzerne Dividenden in Höhe von 50 Milliarden US-Dollar. Seit 2022 lagen diese jedoch nie mehr unter 110 Milliarden US-Dollar.
Zudem ist US-amerikanisches Flüssigerdgas nach Kriegsbeginn in der Tat zu einer der wichtigsten europäischen Energiequellen geworden.
Eine mögliche Annäherung zwischen den USA und Russland – etwa durch ein Abkommen zur Aufhebung von Sanktionen oder zur Wiederaufnahme wirtschaftlicher Kooperationen – könnte tiefgreifende Auswirkungen auf den Energiemarkt haben. Für mehrere wirtschaftliche Akteure, die in der derzeitigen Lage von steigenden Gewinnen profitieren, wäre dies jedoch nicht im eigenen Interesse.
Chinas Interessen im Ukraine-Konflikt
Ein zentrales Thema ist auch der Zugang zu seltenen Erden und anderen kritischen Rohstoffen in der Ukraine. Neben den USA haben auch die EU und andere ein Interesse an einem Zugang angemeldet. Verschiedene globale Akteure könnten jedoch daran interessiert sein, einen Zugang westlicher Länder zu diesen Rohstoffquellen zu verhindern – etwa China, das derzeit ein zentraler Lieferant für die EU und die USA ist und durch ukrainische Konkurrenz Marktanteile verlieren könnte.
China scheint auch sonst vom Ukraine-Krieg zu profitieren. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte Mitte April, dass China Artilleriesysteme und Schießpulver nach Russland liefere. Oleh Ivashchenko, Leiter des ukrainischen Auslandsgeheimdienstes, erklärte zudem gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur „Ukrinform“, dass die Ukraine über „bestätigte Informationen“ verfüge, wonach China mindestens 20 russische Rüstungsfabriken beliefere.

Der russische Präsident Wladimir Putin (r.) und der chinesische Staatschef Xi Jinping arbeiten seit Beginn des Krieges enger zusammen. Foto: Sergei Savostyanov/Pool/AFP via Getty Images
Laut einem „Reuters“-Bericht aus dem Jahr 2023 hat China bereits damals mehrere Milliarden US-Dollar durch den Kauf von günstigerem russischem Öl, LNG und Strom eingespart.
William Chih-tung Chung, Experte für europäische Sicherheit am staatlichen Institute for National Defense and Security Research in Taiwan, erklärte gegenüber der englischsprachigen Epoch Times im Mai 2024:
China scheint der größte Nutznießer dieses Krieges in Europa zu sein.“
Nicht nur den Kauf von Rohstoffen, sondern auch die Möglichkeit, überschüssige chinesische Waren auf dem russischen Markt abzusetzen, liege im Interesse der Führung in Peking, so Chung.
In den USA: Wer kein Interesse an einem Kriegsende hat
Es scheint auch Interessengruppen in den USA – sowohl in demokratischen als auch in republikanischen Kreisen – zu geben, die kein Interesse an einem raschen Ende des Ukraine-Krieges haben. Sie gehen davon aus, dass ein geschwächtes Russland die weltpolitische Stellung der USA strategisch stärken könnte.
In einer im Juni 2024 veröffentlichten Analyse des konservativen ungarischen Thinktanks Danube Institute heißt es, dass der wesentliche Gedanke dieser Strategie darin bestehe, Russland dazu zu zwingen, möglichst viele Ressourcen auf den Krieg in der Ukraine zu konzentrieren. Dies würde Moskaus Einfluss und Handlungsfähigkeit im Kaukasus, im Nahen Osten, in Zentralasien und in Afrika schwächen – allesamt Regionen, die für die USA von großem strategischem und wirtschaftlichem Interesse sind, insbesondere wegen ihrer Rohstoffvorkommen.
Gleichzeitig warnten die Experten von Danube Institute davor, dass Washington auch aufpassen müsse, Moskau nicht zu sehr zu schwächen. In einem solchen Fall könne sich nämlich ein nicht gewünschtes Szenario verstärken: eine noch engere strategische Zusammenarbeit zwischen Russland und China.
Die Idee, dass die USA seit Längerem auf eine Schwächung Russlands hinarbeiten, ist auch ein zentraler Bestandteil der russischen Rhetorik. Putin hat wiederholt betont, dass es das Ziel der USA und westlichen Staaten sei, Russland innerlich zu destabilisieren und in kleinere Einheiten zu zerschlagen.
Auch andere hochrangige Kreml-Vertreter äußerten sich in diese Richtung. Nikolai Patruschew, Sekretär des russischen Sicherheitsrates, erklärte bereits 2015, dass die USA die Ukraine-Krise gezielt nutzten, um Russland zu schwächen, zu zersplittern und die Regierung zu stürzen.
US-Präsident Donald Trump hingegen scheint einen grundsätzlich anderen Kurs zu verfolgen. Er betont, dass gute Beziehungen zu Russland im Interesse der USA seien. In einem Telefonat Mitte März mit Putin betonten beide Politiker die Notwendigkeit einer Verbesserung der bilateralen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Russland.
Die „Globale Kriegstreiber-Partei“
Georgien gilt in gewisser Hinsicht als kleiner Bruder der Ukraine. Beide Länder teilen eine ähnliche geopolitische Lage im postsowjetischen Raum. Obwohl die amtierende georgische Regierung um pragmatische Beziehungen zu Moskau bemüht ist, erlebt Georgien seit vielen Jahren ähnliche Spannungen wie die Ukraine: der schwierige Weg der europäischen Integration, innenpolitische Polarisierung und die Rolle als geopolitisches Spielfeld zwischen großen Mächten.
Vor diesem Hintergrund beobachtet die georgische Führung den Ukraine-Krieg mit besonderer Aufmerksamkeit. Georgiens Premierminister Irakli Kobachidse äußerte sich im April dazu, wer seiner Ansicht nach an einer Fortsetzung des Ukraine-Krieges Interesse habe. „Der tiefe Staat“ habe angewiesen, den Krieg in der Ukraine fortzusetzen, erklärte Kobachidse. Seiner Aussage nach verfolge dieser eigene Interessen und nutze dazu die europäische Bürokratie als Werkzeug.
Kobachidse stellte im Mai 2024 klar, dass er unter der „Global War Party“ im Grunde etwas Ähnliches verstehe wie Trump unter dem Begriff des „Deep State“ – ein undurchsichtiges Machtgeflecht aus Bürokratien, Lobbygruppen und internationalen Akteuren, die im Hintergrund politische Prozesse steuern und gezielt Konflikte verlängern oder fördern, wenn es ihren Interessen dient.
Wer genau zur sogenannten „Globale Kriegstreiber-Partei“ gehört, lässt Kobachidse bewusst offen, um „unsere nationalen Sicherheitsinteressen“ nicht zu gefährden. Er sagte: „Ich meine nicht die EU und die USA. Im Gegenteil, die EU ist vielmehr das Hauptopfer.“ In der EU reiche es aus, nur ein einziges Land zu beeinflussen, um Entscheidungen im eigenen Sinne zu erzwingen – die Einflussnahme sei enorm. Vor allem, da Entscheidungen dort einstimmig getroffen werden.
Die georgische NGO International Society for Fair Elections and Democracy stufte die Theorie von Kobachidse, dessen Regierung von der prowestlichen georgischen Opposition als russlandfreundlich bezeichnet wurde, über eine „Globale Kriegstreiber-Partei“ als verschwörungstheoretisch ein. Die Organisation betont, dass der Mangel an konkreten Beweisen das öffentliche Vertrauen untergrabe und einen konstruktiven politischen Dialog erschwere.
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