100 Tage Regierung: Hat sich Merz zu sehr auf die Außenpolitik konzentriert?

100 Tage – diese Frist hat der frühere US-Präsident Franklin D. Roosevelt als Maßstab für gutes Regieren eingeführt. Bis heute müssen sich Politiker daran messen lassen. Drei Politikwissenschaftler schauen sich die Regierung von Friedrich Merz an.
Bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags im Mai war die Stimmung bei den Chefs der drei Regierungsparteien in der schwarz-roten Koalition noch gut. (Archivbild)
Bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags im Mai war die Stimmung bei den Chefs der drei Regierungsparteien in der schwarz-roten Koalition gut.Foto: Michael Kappeler/dpa
Epoch Times12. August 2025

Der Kanzler ist im Urlaub, wenn am 14. August seine ersten 100 Tage an der Spitze der schwarz-roten Regierung vorüber sind. Nach der gescheiterten Richterwahl im Bundestag räumte auch Friedrich Merz ein, dass es in einigen Bereichen Nachbesserungsbedarf in der schwarz-roten Regierungskoalition gibt. Eine Zwischenbilanz von Politologen:

Was hat Merz versprochen?

Vor seinem Amtsantritt versprach Merz eine Regierung, „die entschlossen ist, Deutschland mit Reformen und Investitionen nach vorne zu bringen“. Er kündigte einen „Politikwechsel“ in der Wirtschafts-, Migrations- und Außenpolitik an. Die Bürger sollten „schon im Sommer spüren: Hier verändert sich etwas zum Besseren.“

Wie ist Merz‘ Bilanz in der Außenpolitik?

Merz sei in der Außenpolitik im Vergleich zu seinem SPD-Vorgänger Olaf Scholz „deutlich erfolgreicher, weil er sichtbarer ist, weil er kommunikativer ist, weil er selbst auch die Initiative ergreift“, sagte der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder von der Universität Kassel.

Dies berge aber auch Gefahr, „Fehler zu machen“. Schröder verweist auf das letztlich folgenlose „Ultimatum“ an Präsident Wladimir Putin im Ukraine-Konflikt zu Beginn von Merz‘ Amtszeit.

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Ursula Münch von der Akademie für politische Bildung in Tutzing findet, Merz habe auf internationaler Bühne „einen sehr guten Eindruck gemacht“. Ein „entschieden wirkendes Auftreten“ sei ihm „mit Blick auf US-Präsident Donald Trump ganz gut gelungen“.

Auch das Verhältnis zu Frankreich sei „anscheinend wieder ein bisschen besser“. Um Polen habe Merz sich gleichfalls bemüht, dort sei es wegen der innenpolitischen Lage aber gerade schwierig.

Wie sieht es bei Wirtschaft und Migration aus?

Die Regierung versuche sichtbar, die Probleme bei Wirtschaft und Migration „in den Griff zu bekommen“, sagt der Politikwissenschaftler Uwe Jun von der Universität Trier. „Aber die großen Wenden sind ausgeblieben in beiden Bereichen.“ Ergebnisse könnten sich jedoch „auch noch nicht in großem Ausmaß nach 100 Tagen zeigen“.

Ähnlich zieht Schroeder Bilanz: „Den Stimmungsumschwung, den er anstrebte, hat er nicht erreicht.“ Bei Wirtschaft und Migration gebe es in wesentlichen Parametern erste Fortschritte. „Insofern hat man jenseits der großen Wahrnehmung von Stimmungsveränderungen durchaus Hinweise, dass sich etwas zum Besseren verändert.“

Wo gab es in der Koalition Probleme?

Differenzen hätten sich vor allem in der Sozialpolitik gezeigt, meint Jun. In Bereichen wie Rente oder Bürgergeld gebe es „immer wieder Spannungen, weil die Parteien unterschiedliche Vorstellungen haben“.

Schroeder spricht vom „Sprengfass der Sozialpolitik“: Hier sei durch den Koalitionsvertrag lediglich „ein äußerer Friede gewährleistet“ worden. Der Druck sei aber so groß, „dass man nicht darauf verzichten möchte, die eigenen Positionen jenseits des Koalitionsvertrages offensiv öffentlich zu machen“.

„Ausgesprochen ärgerlich“ sei für die Koalition die gescheiterte Neubesetzung von drei Richterposten beim Bundesverfassungsgericht, sagt Münch. Hier sei in der Koalition „ein gewisses Zerwürfnis entstanden“. Die in der Union umstrittene SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf zog sich zwar inzwischen zurück, in der SPD blieben aber offene Zweifel an der Verlässlichkeit des Koalitionspartners.

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Kritik der CSU zog Merz durch die Beschränkung der Waffenlieferungen nach Israel auf sich. Außenpolitiker der Schwesterpartei monierten, bei dem Schritt nicht vorzeitig eingebunden worden zu sein. Merz verteidigte sich: Er müsse die Entscheidung schließlich alleine verantworten.

Hat sich Merz zu sehr auf die Außenpolitik konzentriert?

„Ja, den Eindruck hat man“, sagt Schroeder. „Problematisch ist die Attitüde des Kanzlers: ‚Ich denke ganz groß, ich denke in langen Linien, ich denke in großen Bildern und das Kleingedruckte lösen andere‘.“ Doch die Konflikte steckten „im Kleingedruckten: bei der Richterwahl, beim Bürgergeld, beim Umgang mit den Ukrainern“.

„Andere Staatsmänner und Regierungschefs zu treffen, ist natürlich schöner, als sich mit dem Klein-Klein beim Bürgergeld zu beschäftigen“, sagt Münch. Sie findet aber, die Konzentration auf die Außenpolitik sei für Merz „schon die richtige Prioritätensetzung für den Anfang“ gewesen. Künftig werde er „die Kunst beherrschen müssen, sowohl in der Außenpolitik präsent zu sein als auch stärker in der Innenpolitik“.

Was kann Merz dazu beitragen, Konflikte zu entschärfen?

Zwischen Merz und den Parteispitzen von SPD und CSU scheine es gut zu funktionieren, sagt Münch. Problem sei eher, dass Union und SPD die Fähigkeit fehle, „die eigene Gefolgschaft überhaupt an die Parteilinie zu binden“. Im Parlament sei das Aufgabe der Fraktionsführungen. Da gebe es noch „Luft nach oben“.

Letztlich habe der Kanzler bei der Vermeidung von Konflikten in der Koalition „nur begrenzte Möglichkeiten“, sagt Jun. „Er muss sich darauf verlassen, dass auch andere ihn dabei wesentlich unterstützen.“ Auf Unionsseite sieht Jun hier neben Unions-Fraktionschef Jens Spahn auch Kanzleramtsminister Thorsten Frei (beide CDU) in der Pflicht.(afp/red)



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