Union verlangt Absetzung der Richterwahl – wie politisch ist die SPD-Kandidatin für das Verfassungsgericht?

Frauke Brosius-Gersdorf soll neue Richterin am Bundesverfassungsgericht werden. Ihre Nominierung durch die SPD sorgt für heftige Debatten – besonders wegen ihrer Haltung zum Schwangerschaftsabbruch. Kurz vor der Abstimmung im Bundestag wackelt die nötige Zweidrittelmehrheit, da auch in der Union Widerstand wächst.
Sie hat es geschafft: Der Wahlausschuss hat Frauke Brosius-Gersdorf für die Wahl zum Bundesverfassungsgericht empfohlen.
Die Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf zur Bundesverfassungsrichterin wackelt im Bundestag.Foto: Britta Pedersen/dpa
Von 11. Juli 2025

Im Ringen um die Neubesetzung dreier Richterstellen am Bundesverfassungsgericht verlangt die Union vom Koalitionspartner SPD die Absetzung der heute geplanten Wahl von deren Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf von der Tagesordnung des Bundestages.

Andernfalls werde sich die Union beim Wahlgang zu der in der CDU/CSU umstrittenen Brosius-Gersdorf enthalten, erfuhr die „Deutsche Presse-Agentur“ von Teilnehmern einer Sondersitzung der Unionsfraktion vor den geplanten Wahlen.

In der Unionsfraktion hieß es, man werde nun direkt Gespräche mit der SPD über die Absetzung der Wahl von Brosius-Gersdorf von der Tagesordnung aufnehmen.

Am Freitag soll der Bundestag entscheiden, ob Brosius-Gersdorf Richterin am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wird. Die SPD hat sie nominiert, die Union hat zugestimmt – und doch tobt eine politische und gesellschaftliche Debatte über ihre Eignung, ihre Überzeugungen und das, was sie repräsentiert.

Wer ist diese Frau, die bald über das höchste Gut unserer Demokratie, das Grundgesetz, wachen könnte?

Juristische Karriere mit Schwerpunkt Grundrechte

Geboren am 15. Juni 1971 in Hamburg, studierte Brosius-Gersdorf Rechtswissenschaften in ihrer Heimatstadt. Nach dem ersten Staatsexamen promovierte sie dort auch mit einer Arbeit zum Grundrechtsschutz in der Bioethik.

Ein Jahr in Edinburgh als Masterstudentin des europäischen und internationalen Rechts prägte ihr Denken in supranationalen Strukturen. Es folgten Stationen in Göttingen und Hannover, bevor sie 2021 dem Ruf an die Universität Potsdam folgte, wo sie seither den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Verfassungs- und Sozialrecht innehat.

Auf dem Blog der Rechtsanwaltskanzlei Graf Kerssenbrock & Kollegen kann man über Brosius-Gersdorf lesen:

„Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf ist eine anerkannte Verfassungsjuristin mit akademischem Schwerpunkt im Grundrechtsschutz und Sozialstaatsprinzip. Ihr wissenschaftliches Werk zeigt eine klare Linie in Richtung liberaler Grundrechtsentfaltung, einer weiten Auslegung von Selbstbestimmungsrechten (insbesondere bei Reproduktion, Gleichstellung, digitale Teilhabe) sowie einem modernen Verständnis von Art. 3 GG. “

Der besagte Artikel verbietet Benachteiligung oder Bevorzugung wegen bestimmter persönlicher Merkmale wie Geschlecht, Herkunft, Religion oder Behinderung. Jeder Mensch soll unabhängig von solchen Eigenschaften gleich behandelt werden – vor allem vom Staat.

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Ihr wissenschaftlicher Fokus liegt auf der Schnittstelle zwischen individuellem Grundrechtsschutz und gesellschaftlicher Steuerung – etwa in Fragen der Gesundheitsversorgung, Bildung oder Religionsfreiheit. Brosius-Gersdorf ist keine Theoretikerin, die sich in Fußnoten verliert. Vielmehr ist sie eine streitbare Denkerin mit teilweise umstrittenen Positionen, auch in ethisch sensiblen Bereichen. Von 2017 bis 2022 war die Verfassungsrechtlerin Mitglied in der Zentralen Ethikkommission der Bundesärztekammer. Als stellvertretendes Mitglied des Verfassungsgerichtshofs Sachsens (2015–2024) hat sie auch Erfahrung in der richterlichen Praxis.

Haltung zum Schwangerschaftsabbruch

Öffentliche Aufmerksamkeit erlangte sie 2023, als sie von der damaligen Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) als Mitglied in der Kommission „Reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ berufen wurde. Die Kommission hatte den Auftrag, die bisherige Regelung des Schwangerschaftsabbruchs (§§ 218 ff. StGB) zu prüfen – und Alternativen aufzuzeigen.

In einem Interview auf der Website der Universität Potsdam kurz nach der Berufung in die Kommission machte sie ihre Position in einem wissenschaftlichen Kontext deutlich. Die Professorin plädierte damals für eine wissenschaftlich unabhängige und ergebnisoffene Prüfung, ob und wie der Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafrechts geregelt werden kann.

Sie kritisiert die aus ihrer Sicht „Kriminalisierung durch § 218 StGB“ als problematisch, sowohl aus rechtlicher als auch aus versorgungstechnischer Sicht, etwa wegen Informationsdefiziten und Versorgungsengpässen. Ihre Position ist von einer verfassungsrechtlichen Abwägung geprägt: Sie erkennt den hohen verfassungsrechtlichen Schutz des ungeborenen Lebens an, sieht jedoch auch die Rechte der Frau – insbesondere ihre reproduktive Selbstbestimmung – als starkes Gegengewicht.

Im Frühjahr 2024 legte die Kommission ihren Abschlussbericht vor. „In der Frühphase der Schwangerschaft […] sollte der Gesetzgeber den Schwangerschaftsabbruch mit Einwilligung der Frau erlauben“, hieß es in der Zusammenfassung des Berichts. Darüber hinaus müsse sichergestellt werden, dass Frauen den Abbruch zeitnah und ohne Barrieren in gut erreichbaren Einrichtungen vornehmen lassen können.

Zwar sind Abbrüche auch derzeit in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen faktisch möglich – etwa nach einer verpflichtenden Beratung, bei medizinischer Indikation oder nach einer Vergewaltigung –, doch all diese Fälle gelten bislang als Ausnahmen innerhalb des Strafgesetzbuchs, das den Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich unter Strafe stellt.

In einer Stellungnahme aus dem Februar an den Bundestag macht Frauke Brosius-Gersdorf ihre Positionen noch einmal deutlich: Das Lebensrecht des Embryos habe vor der extrauterinen Lebensfähigkeit ein geringeres verfassungsrechtliches Gewicht, während die Grundrechte der Frau (Selbstbestimmung, körperliche Unversehrtheit) in der Frühphase besonders schwer wiegen. Daher sei ein Schwangerschaftsabbruch in dieser Phase verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

Bischöfe sehen „Angriff auf die Fundamente der Verfassung“

Zum Vorschlag der SPD, Frauke Brosius-Gersdorf als Verfassungsrichterin nach Karlsruhe zu berufen, haben nun wenige Tage vor der Wahl der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer und der Passauer Bischof Stefan Oster Bedenken angemeldet. In einer gemeinsamen Pressemitteilung heißt es dazu:

„Wer die Ansicht vertritt, dass der Embryo oder der Fötus im Mutterleib noch keine Würde und nur ein geringeres Lebensrecht habe als der Mensch nach der Geburt, vollzieht einen radikalen Angriff auf die Fundamente unserer Verfassung.“

Die Bischöfe äußerten deutliche Kritik und betonten, dass Personen mit solchen Ansichten nicht mit der verbindlichen Auslegung des Grundgesetzes betraut werden dürften. Die Menschenwürde und das Recht auf Leben stünden jedem Menschen unabhängig von seiner Lebenssituation zu. Der Staat müsse dafür Sorge tragen, dass es keine Ausnahmen davon gebe. „In Deutschland darf es niemals wieder Menschen zweiter Klasse geben“, warnten Voderholzer und Oster.

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Kopftuchverbot und Neutralitätsgebot des Staates

Ein weiterer kontroverser Punkt ihrer Positionierungen betrifft das Neutralitätsgebot des Staates. Im Februar 2020 hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das Kopftuchverbot für muslimische Rechtsreferendarinnen im Gerichtssaal verfassungsgemäß sei.

Das kritisierte Brosius-Gersdorf in einem Beitrag auf dem „Verfassungsblog“. Das Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen bezeichnet Brosius-Gersdorf in diesem Beitrag als „verfassungswidrig“. Das Bundesverfassungsgericht habe das Neutralitätsgebot falsch angewendet – es verbiete staatliche Identifikation mit Religion, nicht aber die persönliche Religionsausübung von Bediensteten. Stattdessen müsse das Mäßigungsgebot als Schranke gelten, das nur Einzelfallregelungen, aber kein pauschales Verbot erlaubt. Ein generelles Kopftuchverbot verletze die Religions- und Berufsfreiheit.

Befürworterin Impfpflicht und Parteiverbotsverfahren

In der Corona-Pandemie trat Brosius-Gersdorf als Befürworterin einer gesetzlichen Impfpflicht auf – sofern sie zeitlich begrenzt, verhältnismäßig und auf bestimmte Gruppen beschränkt sei. In einer viel beachteten Stellungnahme schrieb sie:

„In der Abwägung tritt das Recht auf körperliche Unversehrtheit der nicht impfbereiten Menschen hinter der Schutzpflicht des Staates für das Leben und die Gesundheit der Geimpften (Schutz vor schweren Verläufen und Folgeschäden bei Impfdurchbrüchen) sowie für deren persönliche und berufliche Freiheit zurück.“

„Man kann sogar darüber nachdenken, ob mittlerweile eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Einführung einer Impfpflicht besteht“, hieß es dann im Papier weiter.

Was die AfD betrifft, zeigte sie sich 2024 in der ZDF-Talkshow „Markus Lanz“ offen für ein Parteiverbotsverfahren – sofern die juristischen Voraussetzungen gegeben seien. Die freiheitliche Ordnung müsse sich wehrhaft zeigen, sagte sie. Dabei gehe es „nicht um politische Sympathien, sondern um verfassungsrechtliche Festigkeit“. Ein Verbotsverfahren sei ein „ganz starkes Signal unserer wehrhaften Demokratie“. Zu bedenken gab sie allerdings, „dass damit nicht die Anhängerschaft beseitigt“ werden könne.

Die Wahl wackelt: In der Union rumort es

Auf Vorschlag der SPD soll Frauke Brosius-Gersdorf nun am Freitag vom Bundestag zur Richterin am Bundesverfassungsgericht gewählt werden. Die Union hatte dafür ursprünglich ihre Unterstützung zugesagt. Seit Tagen rumort es aber in der CDU und der CSU, auch in der Bundestagsfraktion. Hintergrund ist vor allem die Position der Rechtsprofessorin in der Frage des Tötens von Leben im Mutterleib.

Die AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch hatte am Mittwoch im Bundestag eine Frage an Bundeskanzler Friedrich Merz gestellt. Sie wollte wissen, ob er die Wahl von Brosius-Gersdorf mit seinem Gewissen vereinbaren könne, da diese die Auffassung vertreten habe, die Menschenwürde gelte nicht für Ungeborene.

Merz antwortete daraufhin im Plenum mit den Worten: „Auf die hier gestellte Frage ist meine Antwort ganz einfach: ja.“ Innerhalb der Unionsfraktion sorgte diese Reaktion für Unmut, vor allem an der Parteibasis. Aus den Wahlkreisen würden zahlreiche Protest-E-Mails eingehen. Ein Mitglied der Bundestagsfraktion der Union, der anonym bleiben möchte, äußerte im Gespräch mit der Redaktion, dass diese Antwort unnötig gewesen sei und die Stammwählerschaft der Partei empfindlich treffe.

Nach Epoch-Times-Informationen könnten am Freitag im Bundestag gewisse Bundestagsabgeordnete der Union gegen Frauke Brosius-Gersdorf stimmen. Union, SPD und Grünen fehlen schon ohne die Unionsabweichler sieben Stimmen für eine Zweidrittelmehrheit, die für eine Richterwahl notwendig ist. Sie sind also auf Stimmen aus anderen Fraktionen angewiesen. Von der stärksten Oppositionsfraktion, der AfD, sind diese Stimmen nicht zu erwarten.

Keine Unterstützung durch die AfD

AfD-Fraktionschefin Alice Weidel erklärte dazu mit Blick auf die Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf:

„Man kann niemanden ins Richteramt wählen, der eine klar vorgefasste politische Meinung vertritt. Richter müssen neutral und überparteilich sein. Das ist bei der SPD-Kandidatin aus unserer Sicht nicht gegeben. Deshalb werden wir als Fraktion ihre Wahl nicht unterstützen – und wir müssen das auch gar nicht. Wir werden sie nicht mitwählen, weil das aus unserer Sicht die Gewaltenteilung in Deutschland beschädigen würde.“

Auch die Linken haben bisher keine Zustimmung zur Wahl von Brosius-Gersdorf signalisiert. Fraktionschefin Heidi Reichinnek kritisierte vor der Presse, dass die Union bisher noch nicht die Gespräche mit ihrer Fraktion gesucht habe. Reichinnek sagte:

„Besonders widersprüchlich ist es, dass die Union von uns erwartet, ihrem Vorschlag einfach zuzustimmen, ohne überhaupt das Gespräch mit uns zu suchen. Gleichzeitig äußern sich Unionsmitglieder öffentlich ablehnend gegenüber dem SPD-Vorschlag und kündigen an, ihn nicht unterstützen zu wollen. Das ist nicht nur im Hinblick auf die Kandidaten sehr respektlos.“

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Dass es eng werden könnte, das scheint inzwischen auch die Fraktionsführung der Union begriffen zu haben. Fraktionsvorsitzender Jens Spahn hat nach Epoch-Times-Informationen alle Bundestagsabgeordneten seiner Fraktion, die am Freitag mit Nein stimmen wollen, aufgefordert, sich bei ihm zu melden. Für Freitag früh, 8 Uhr, hat er eine Sonderfraktionssitzung einberufen. Dann soll eine Probeabstimmung Aufschluss über die Mehrheitsverhältnisse in seiner Fraktion geben.



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