Anträge auf Kriegsdienstverweigerung explodieren – Debatte um Wehrdienst verunsichert viele

Parallel zur bevorstehenden Neufassung des Wehrdienstes durch die schwarz-rote Koalition steigt die Zahl der Kriegsdienstverweigerer. Im Jahr 2025 wurde die bislang höchste Zahl seit Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 verzeichnet.
Neuer Wehrdienst: Union und SPD einigen sich auf flächendeckende Musterung
Der neue Wehrdienst lässt die Zahl der Anträge auf Kriegsdienstverweigerung ansteigen.Foto: Federico Gambarini/dpa
Von 19. November 2025

In Kürze:

  • Die Zahl der Anträge auf Kriegsdienstverweigerung wird sich bis Ende 2024 voraussichtlich mehr als verdreifachen (über 3.000 Anträge bis Oktober, gegenüber 1.079 in 2023).
  • Das neue, noch nicht verabschiedete Wehrdienstmodell der Koalition, welches eine mögliche „Bedarfswehrpflicht“ vorsieht, begünstigt den Anstieg.
  • Neben jungen, ungedienten Menschen zeigen auch aktive Soldaten und Reservisten zunehmendes Interesse an der Verweigerung.
  • Viele Betroffene sehen kriegerische Eskalationen als politisches Versagen und lehnen eine Militarisierung der Gesellschaft ab.

 

Das jüngst nach einigen Anlaufschwierigkeiten von der Koalition vereinbarte Modell zum neuen Wehrdienst ist noch nicht Gesetz. Die Zahl der Anträge auf Kriegsdienstverweigerung könnte sich jedoch bereits bis zum Ende des Jahres gegenüber 2023 mehr als verdreifacht haben. Wie der MDR berichtet, haben deutschlandweit bis Ende Oktober 3.034 Menschen einen entsprechenden Antrag gestellt. Über das gesamte Jahr 2023 waren es 1.079 gewesen.

Bereits im Vorjahr hatte sich die Zahl auf 2.249 mehr als verdoppelt. 2011, im Jahr der Aussetzung der Wehrpflicht, hatten noch 4.348 Personen einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung gestellt. Seither lagen die Zahlen jährlich im dreistelligen Bereich – erst 2023 wurde die Tausendermarke wieder überschritten. Vor 2011 lag die Zahl der Verweigerungsanträge jährlich im sechsstelligen Bereich.

Friedensgesellschaft will Beratungsangebote für Kriegsdienstverweigerer ausbauen

Zuständig für die Bearbeitung der Anträge ist das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA). Dessen Angaben zufolge stammen mehr als die Hälfte der bisher über 3.000 Anträge von Ungedienten. Dazu seien knapp 1.300 entsprechende Erklärungen von Reservisten und etwa 150 von aktiven Soldaten gekommen.

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Ein Ende dieser Entwicklung ist mit den aktuellen Zahlen noch nicht absehbar. Auch Beratungsstellen verzeichnen einen deutlichen Anstieg potenziell Betroffener, die Rat suchen.

Ralf Buchterkirchen, Bundessprecher der Vereinigung „Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen“ (DFG-VK), erklärte, dass sich in den vergangenen Jahren lediglich eine Handvoll Interessierte zur Beratung angemeldet habe. Mittlerweile seien die Zahlen flächendeckend in die Höhe geschnellt, so Buchterkirchen.

Die Vereinigung hat auch ihre eigene Präsenz in der Öffentlichkeit ausgebaut. Bereits im Oktober war die Gruppe mit ihrem „Friedensmobil“ in mehreren Städten Ostdeutschlands präsent. Dabei warnten die Kriegsdienstgegner vor einer Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht, die durch das neue Wehrdienstmodell „Tür und Tor geöffnet“ bekäme.

Evangelische Kirche in Sachsen verzeichnet ebenfalls mehr Anfragen

Neben jungen Menschen der Jahrgänge 2008 aufwärts seien auch aktive Soldaten und Reservisten an einer Beratung zur Kriegsdienstverweigerung interessiert, heißt es vonseiten der Friedensgesellschaft.

Auch die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens wird eigenen Angaben zufolge ihre Beratungstätigkeit zu Friedensdiensten und Kriegsdienstverweigerung weiter ausbauen. Im bisherigen Verlaufe des Jahres habe sich die Zahl der jungen Menschen, die um eine Beratung angefragt hätten, auf rund 3.000 erhöht.

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Oberlandeskirchenrat Thilo Daniel zufolge entspreche dies in etwa einer Verdopplung. Man wolle das Angebot nun weiter stabilisieren, um der zu erwartenden Anzahl an Anfragen gereicht werden zu können.

Kriegsdienstverweigerer werfen Politik Versagen bei Diplomatie vor

Buchterkirchen erläutert, dass die Gründe, warum sowohl Ungediente als auch aktive Soldaten und Reservisten den Kriegsdienst verweigern wollen, unterschiedlich seien. Da sei zum einen die eigene Biografie – und dass man sich persönlich nicht vorstellen könne, andere Menschen zu töten. Zum anderen sei zu bemerken, dass der Glaube, mit Gewalt Konflikte lösen zu können, generell schwinde.

Auch gegenüber dem MDR äußern sich potenziell betroffene junge Menschen zu dem Thema. Dort sehen die Befragten kriegerische Eskalationen als Versagen der Politik bei diplomatischen Lösungen. Sie sehen sich selbst als diejenigen, die dafür den Preis zahlen müssten, und sind nicht bereit dazu. Der 17-jährige Franz aus Halle meint dazu: „Dafür will ich nicht im Schützengraben liegen.“

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Die befragten jungen Menschen äußern zudem Sorge über eine zunehmende Militarisierung der Gesellschaft, die freiheitlich-demokratische Werte zugunsten einer Normalisierung von Krieg untergraben könnte. Buchterkirchen rechnet aufgrund der aktuellen Debatte mit weiter steigender Zahl von Verweigerungsinteressierten. Seiner Ansicht nach müsse sich „bald jeder damit beschäftigen“.

Wehrdienst freiwillig – „Bedarfswehrpflicht“ steht im Raum

Das Grundgesetz schützt in Artikel 4, Absatz 3 das Recht, den Dienst an der Waffe zu verweigern. Wer davon Gebrauch machen will, muss dies ausführlich schriftlich begründen und sich dann trotzdem mustern lassen. Die Musterung wird, so der nunmehrige Kompromiss innerhalb der Koalition, ab 2027 auf jeden männlichen Bürger eines Jahrgangs zukommen.

Der Wehrdienst bleibt vorerst freiwillig. Der gewünschte Personalstand von 260.000 aktiven Soldaten und 200.000 Reservisten soll durch attraktivere Bedingungen für den freiwilligen Dienst erreicht werden. Reicht dies nicht aus, ist eine „Bedarfswehrpflicht“ vorgesehen, bei der taugliche Personen nach einem Zufallsverfahren herangezogen werden können.



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