ARD, ZDF & Co: Warum der Reformentwurf im Dresdener Landtag niemanden überzeugte

So richtig zufrieden erschien am 26. Mai 2025 kein einziger Teilnehmer der Medienausschusssitzung im Sächsischen Landtag, bei der der Entwurf des Reformstaatsvertrags für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) diskutiert wurde.
Zu komplex das neue Gesetzesvorhaben, zu viele gegenläufige Interessen von Akteuren und Rezipienten, zu wenig konkrete Lösungen: Gegen Ende der Sitzung fragte sogar der Abgeordnete Tobias Dulig von der in Sachsen mitregierenden SPD in die Runde der acht geladenen Sachverständigen, ob man dem Entwurf bei der Abstimmung denn nun zustimmen oder ihn doch lieber ablehnen solle.
ver.di: „Für Öffentlich-Rechtliche und für die Nutzer keine Verbesserung“
Die ver.di-Vertreterin Bettina Hesse schlug darauf hin vor, dass die Landtagsabgeordneten die Vorlage zurückweisen und ihre Regierung darum bitten könnten, eine verbesserte Version vorzulegen. „Für Öffentlich-Rechtliche und für die Nutzer ist es keine Verbesserung“, stellte Hesse klar. Und weiter:
Der ÖRR wird weniger relevant und konkurrenzfähig, kann dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts weniger nachkommen. Es fehlt die Perspektive.“
Zuvor hatten die acht Experten jeweils 10 Minuten Zeit gehabt, Lob und Kritik für den bereits im März von allen 16 Landesregierungen unterzeichneten Gesetzentwurf (PDF) vorzutragen; wobei die Kritik deutlich mehr Raum einnahm.

Nach der Sachverständigenanhörung zum ÖRR-Reformvertrag herrschte am 26. Mai 2025 Ernüchterung im Medienausschuss des Sächsischen Landtags. Foto: Bildschirmfoto/landtag.sachsen.de
Freie Journalistin will noch schlankere Strukturen
Die freie Journalistin Annekatrin Mücke, Unterzeichnerin des „Manifests für einen neuen ÖRR“ und im YouTube-Kanal „Sachlich richtig“ gemeinsam mit dem Wissenschaftsjournalisten Peter Welchering und dem Ex-„Tagesschau“-Redakteur Alexander Teske medienkritisch unterwegs, bezeichnete das Papier als ein „Kosmetikum“. Der ÖRR könne nur zukunftsfähig sein, wenn er noch schlankere Strukturen bekomme als angedacht.
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Mücke verglich die beitragsfinanzierte Senderlandschaft mit einem Obstbaum, der jahrelang nie ernsthaft beschnitten wurde, sodass er nun kaum noch Früchte trage. Wenn beim ÖRR wünschenswerterweise mehr Energie in die Digitalisierung gesteckt werden solle, dann müsse eben woanders etwas weichen.
Aus Mückes Sicht genügen zwei statt derzeit elf lineare Basisfernsehprogramme mit jeweils großen regionalen Sendefenstern und ein zeitgemäßes Digitalangebot. Dann könnten neun „sehr teure Direktionen“ entfallen. Das gesparte Geld könne ins Programm fließen, zum Beispiel in ein eigenes Kinderradio.
Meinungskorridore in den Redaktionen erweitern
Dass es zu solchen Umbrüchen kommen werde, erwarte sie aber nicht. Sie selbst habe schon 1996 beim Aufbau des KIKA gemerkt, dass sich niemand beim ÖRR seine Kompetenz aus der Hand nehmen lassen wolle. Heute sei die Stimmung in den Häusern zudem „alles andere als gut“. Sie vermute, dass alles wieder auf Kürzungen bei den freien Programmmachern hinauslaufen werde. Zu deren Schutz empfahl sie befristete Festanstellungen für ausnahmslos alle, die am Programm arbeiten. Die Verträge dazu sollten fünf Jahre laufen. Dann gebe es auch wieder mehr Mut und einen erweiterten Meinungskorridor.
Mücke forderte, die Rundfunkräte per Losverfahren oder Bürgerwahlen zu besetzen, anstatt die Sitze in den Kontrollgremien mit einem „undurchsichtigen Auswahlverfahren“ an Parteien oder Organisationen zu vergeben. Überhaupt müsse vollständige Transparenz für das Publikum geschaffen werden. Der ÖRR sei kein Privatunternehmen, das sich hinter Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen verstecken dürfe.
Medienanwalt: „Alter Wein in neuen Schläuchen“
Der Rechtsanwalt und frühere Journalist Dirk Schmitz sprach angesichts des Gesetzentwurfs vom „Anschein einer modernen Anpassung“, die in Wahrheit aber nur „alter Wein in neuen Schläuchen“ sei. Der Staatsvertrag versuche, die „tradierten Machtverhältnisse immer schneller in die digitale Welt zu überführen“. Größere Einschränkungen sehe er nicht. Der Vertrag komme ihm vielmehr wie ein „Stretchanzug“ vor, der sich „sehr variabel anpassen“ lasse.
Durch die „faktische Staatsfinanzierung“ bleibe es für den ÖRR trotz allem noch immer möglich, ein Überangebot an Inhalten zu produzieren und den privatwirtschaftlichen Markt unter Druck zu setzen, kritisierte Schmitz. Er selbst wolle auch keine „Faktenchecks“ mehr sehen, die es als „Wahrheitsinstanz“ ohnehin nicht geben dürfe.
Ihm schwebten ein „einfaches grundversorgendes Kernangebot“ ohne Fußballrechte, auf maximal fünf Jahre begrenzte Arbeitsverträge, die Abschaffung der Werbung und eine Kontrollinstanz vor, die nicht der Absicherung von Privilegien oder als „Endstation für politisch Versorgte“ diene. Die finanzielle Kontrolle solle nach seinem Dafürhalten besser ein externes Gremium wie etwa der Landes- oder Bundesrechnungshof übernehmen. „Wir betreiben den ÖRR nicht für die Mitarbeiter, sondern für die Zuschauer und Zwangsgebührenzahler“, mahnte der Jurist.
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Medienwissenschaftler: Zu vieles ungeklärt
Der Medienforscher Prof. Dr. Markus Heinker kritisierte den Reformvertrag für seine vielen offenen Fragen. Die Finanzierung, ein neues System zur Erfüllungsprüfung, eine zeitgemäße Definition zum eigentlichen Auftrag oder zum Anspruch an Unterhaltungsendungen – all das und mehr regele der Gesetzentwurf nicht konkret genug. Ungelöst sei zudem die Kernfrage, ob der ÖRR weiter als Vollprogramm oder subsidiär zum sonstigen Medienangebot funktionieren solle.
Heinker begrüßte allerdings die Deckelung der Ausgaben für Sportrechte, weil sie der Kostenspirale Einhalt gebieten könne. Fußball könnte man ja „auch gut dem Markt überlassen“. Für den ÖRR würden „erweiterte Kurzberichterstattungsrechte“ womöglich ausreichen.
Zu wenig Freiraum im Netz, zu viel Kooperationszwang
Die beiden Gewerkschaftsvertreterinnen Bettina Hesse (ver.di) und Hanna Möllers, die Justiziarin des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), störten sich an der geplanten Verschärfung der Vorgaben für Onlinetexte.
Wenn beim ÖRR nur noch solche Artikel erscheinen dürften, für die zuvor Audio- oder Videobeiträge erstellt wurden, verunmögliche das manche Information, etwa im Angebot der „Tagesschau“ oder bei „Breaking News“. Derartige mediale Genregrenzen seien überholt und sollten entfallen, meinte Hesse: „Kein Verlag wird gerettet, nur weil ÖRR wenige Texte im Internet anbietet.“
Hesse kritisierte auch die Verpflichtung zur senderübergreifenden Kooperation von ARD-Anstalten und dem ZDF als zu weitreichend. Eine Zusammenarbeit könne zwar sinnvoll sein, harte Verpflichtungen aber drohten die Eigenständigkeit der Sender auszuhöhlen. Zudem bedeuteten Kürzungen im eigenen Programm immer weniger Aufträge für freie Mitarbeiter und Arbeitsverdichtung für die Redaktionen.
Konkurrenz digitaler Plattformen schwächen
Beide Gewerkschafterinnen vertraten den Standpunkt, dass im Sinne der Angebotsvielfalt nicht der ÖRR reguliert werden müsse, sondern digitale Plattformen wie TikTok oder Instagram.
Möllers argumentierte, dass die digitalen Plattformen ihre Algorithmen längst auf Aufmerksamkeit „getrimmt“ hätten. Auf diese Weise würden „Desinformation, Hass und Hetze“ verbreitet, ohne dass jemand dafür haften müsse. Das gefährde „auf Dauer die Demokratie“. Im Reformgesetz fehle es auch an einer „digitalen Strategie“:
Im Moment wird in den digitalen Friedhof außerhalb der Plattformen exportiert. Die User bleiben in den Plattformen, wechseln nicht in die ÖRR-Plattformen.“
Nach Möllers Einschätzung werden die geplanten Änderungen vorwiegend zu Kürzungen bei Information, Kultur, im regionalen Hörfunk und bei Textartikeln führen. Durch die weiter forcierten „Kompetenzzentren“ könne zwar Doppelarbeit vermieden werden, das Wissen, die Strukturen und die Beziehungen vor Ort gingen dadurch aber allmählich verloren. Sie verlangte, die „Reform nicht an Sparzwängen, sondern an demokratischen Erfordernissen“ auszurichten. Man habe leider versäumt, die Reform zusammen mit den betroffenen Journalisten auszuarbeiten. Im aktuellen Zustand könnten sie eine Zustimmung „guten Gewissens“ nicht empfehlen.
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MDR-Intendant gegen Textbeschränkungen und Kooperationszwang
MDR-Intendant Ralf Ludwig stimmte den Gewerkschafterinnen zu, dass auch schnelle Textartikel auf einer Senderwebsite erlaubt bleiben müssten. Die MDR-Nutzer wollten Nachrichten schließlich auch lesen können. Dürfe man im Netz nur noch mit Audios oder Videos arbeiten, wären der MDR bei solchen Ereignissen „viel später dran als andere“. Komme es zur Reform, sei er trotz Sparzwang gehalten, Audio und Video im Netz noch stärker nach vorn zu bringen.
Auch der Zwang zur Kooperation müsse nachgebessert werden, so Ludwig, da er wegen des strengen Kartellrechts ein „Hemmnis für wirtschaftliches Arbeiten“ darstelle.
Auf Nachfrage betonte Ludwig, dass es auch im „Non-Linearen“ eines kuratierten Angebots für Kinder bedürfe. Allein die Angebote zu Abrufen in der Mediathek reichten nicht aus, um dem Anspruch an ein öffentlich-rechtliches Kinderformat gerecht zu werden. Wenn es nach ihm ginge, würde er den KiKA auch über 2032 hinaus gerne linear ausstrahlen wollen. Das aber sehe der Reformstaatsvertrag so nicht vor. Zudem würden sich dadurch auch die Verbreitungskosten erhöhen, weil neben den digitalen noch die analogen Verbreitungskosten hinzu kämen.
Dr. Maya Götz, die Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) betonte, wie wichtig es für Kinder sei, sich auf lineare, kuratierte Programme einzulassen, um auch um Neues abseits der On-Demand-Angebote entdecken zu können: „Mit dem ersten Smartphone geben die Eltern die Macht an die großen Konzerne ab. Kinder brauchen Schutzraum, der KIKA ist so ein Schutzraum.“
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Privatsendervertreter fordert mehr Mut zu Neuem
Heiko Zysk, der Vertreter der ProSiebenSat.1 Media SE, bezeichnete den Reformvertrag als einen „Schritt in die richtige Richtung“. Er beinhalte „gute Impulse“. Dennoch glaube er, dass man noch öfter werde darüber reden müssen.
„Mit Schnellschüssen werden wir nicht weiter kommen“, so Zysk. Er zweifele an, dass es „strategisch der richtige Weg“ sei, als Sender nebenbei auch noch die digitalen Plattformen zu bedienen. Der ÖRR täte seiner Meinung nach gut daran, stattdessen wieder „mutiger zu sein“ und für Innovationen im Programm zu sorgen.
Der Landtag Sachsen hat den Mitschnitt der Sachkundigenanhörung auf seiner Website bereitgestellt.
ÖRR soll digitaler, schlanker und moderner werden
Der „Siebte Staatsvertrag zur Änderung medienrechtlicher Staatsverträge“ soll nach dem Verständnis ihrer Autoren dazu beitragen, „ARD, ZDF und Deutschlandradio digitaler, schlanker und moderner aufzustellen und ihre Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern zu stärken. […] Hierbei sind für die Länder die Qualität der Angebote, aber auch ein sparsamer und effizienter Umgang mit Beitragsmitteln unerlässlich“, heißt es schon auf Seite 1 des Gesetzentwurfs. Der neue Staatsvertrag soll laut Artikel 6 des Gesetzentwurfs bereits am 1. Dezember 2025 in Kraft treten.
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Grundsatzverfahren am BVerwG Leipzig naht
In der zweiten Jahreshälfte 2025 will sich das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig mit der grundsätzlichen Frage befassen, ob die ÖRR-Anstalten überhaupt ihre Pflicht erfüllen, ein Programm anzubieten, das der Vielfaltssicherung dient.
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Sollten die Verwaltungsrichter zu dem Schluss gelangen, dass dies nicht mehr der Fall sei, stünde womöglich die gesamte deutsche Rundfunkbeitragspflicht auf der Kippe. Der BVerwG-Richter Prof. Dr. Ingo Kraft hatte vor einem Jahr entschieden, die Klage einer anonymen Zuschauerin zum Revisionsverfahren zuzulassen (Aktenzeichen BVerwG 6 C 5.24, PDF).
Anm. d. Red.: In einer ersten Version des Textes war die Position von MDR-Intendant Ludwig zum KiKA nicht korrekt widergegeben worden. Wir haben den Fehler korrigiert.
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