Böll-Studie legt offen: Grüne verhedderten sich im Dickicht aus Machtzirkeln und Bürokratie

Je länger der Wahlabend im Februar 2025 wurde, umso länger wurden die Gesichter bei den Grünen: Sah es am frühen Abend noch danach aus, dass die Partei für eine neue Regierung benötigt wird, verflüchtigten sich die Hoffnungen schnell. Am Ende reichte es für die Grünen mit ihrem Spitzenkandidaten Robert Habeck für magere 11,6 Prozent. Eine bittere Niederlage: Das grüne Projekt ist ins Stocken geraten. Eine Partei ist seitdem auf der Suche nach sich selbst.
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Dabei sah vieles nur fünf Jahre früher sehr viel besser aus: Die Grünen schienen damals auf dem Weg zur Volkspartei. Eine Forsa-Umfrage zur Bundestagswahl aus dem Juni 2019 sah die Grünen damals bei 27 Prozent. Die Partei war damit in einer Umfrage erstmals in ihrer Geschichte stärkste Kraft im Land und konnte die Union abhängen, der 26 Prozent ihre Stimme geben würden.
Die Partei profitierte von einer dynamischen Klimadebatte, dem Erstarken von Fridays for Future, einer personell erneuerten Führung unter den Parteivorsitzenden Habeck und Annalena Baerbock, verbunden mit einer wachsenden öffentlichen Aufmerksamkeit.
Es konnte nicht besser laufen und auch das konservative Lager machte damals die Grünen als Hauptgegner im Wahlkampf aus. Armin Laschet, damals Ministerpräsident von NRW, sagte im Dezember 2019 in einem Interview mit der „Deutschen Presse-Agentur“:
Die Grünen sind der Hauptkonkurrent für die CDU bei der Bundestagswahl.“
Das alles ist nun Geschichte. In einer aktuellen bundesweiten Umfrage liegen die Grünen bei 11,4 Prozent. Eine Mitte Juni von der den Grünen nahestehenden Heinrich-Böll-Stiftung veröffentlichte Studie beschäftigt sich mit den Gründen des Absackens der Partei in den vergangenen Jahren.
Der Aufstieg: Das große Ziel – Kanzleramt
Nach Jahren der Oppositionsarbeit waren die Grünen 2021 bereit für die Macht. Mit Baerbock und Habeck präsentierte sich die Partei modern, kompetent und regierungsfähig. Baerbock trat als Kanzlerkandidatin an, Habeck sicherte sich im Hintergrund strategische Positionen. Die Themen lagen auf dem Tisch: Klimaschutz, Energiewende, sozial-ökologische Transformation.
Doch die Wahl brachte Ernüchterung: Zwar erzielten die Grünen mit 14,7 Prozent ihr historisch bestes Ergebnis – doch der Anspruch auf das Kanzleramt war dahin. Olaf Scholz (SPD) profitierte von der Stabilitätssehnsucht in Krisenzeiten, Baerbocks Image litt unter mehreren kommunikativen Fehlern und Plagiatsvorwürfen.
Statt der Kanzlerpartei wurden die Grünen zur zweitstärksten Kraft innerhalb eines Dreierbündnisses, das vom ersten Tag an unter struktureller Spannung stand. Wie die Böll-Studie zeigt, war die Koalition kein Bündnis der Herzen, sondern das Ergebnis eines machtpolitischen Gleichgewichts zwischen drei sehr unterschiedlichen Partnern – SPD, Grünen und FDP.
Die Koalitionsverhandlungen wurden überraschenderweise von Grünen und FDP dominiert, die sich vorab in einem symbolträchtigen Selfie präsentierten – ein „verheißungsvolles, später fatal gescheitertes ökoliberales Projekt“, wie die Studie schreibt.
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Die Studie legt offen, wie aufwendig das Koalitionsmanagement der Ampel war: Zahllose Runden, wie die „Dreierrunde“, „Koalitionsausschuss“ und „Vorhabenclearing“, versuchten den zunehmenden Konflikten Herr zu werden. Doch statt Effizienz entstand ein hochgradig komplexes System informeller Machtzirkel. Die Grünen versuchten, mit eigenen Strukturen wie der „G-Koordination“ oder der „Grünen Sechserrunde“ gegenzusteuern – mit mäßigem Erfolg.
Vor allem das Wirtschaftsministerium unter Habeck war als grüne Koordinierungszentrale gedacht – eine zentrale Machtposition, die die FDP mit dem Finanzministerium konterte. Trotz hoher Taktzahl an Gesetzesvorhaben, insbesondere in der Energiepolitik, gelang es den Grünen kaum, ihre Erfolge zu kommunizieren oder politisches Kapital daraus zu schlagen.
Die Illusion des Fortschritts
Der Titel des Koalitionsvertrags – „Mehr Fortschritt wagen“ – wurde schnell zur Ironie der Geschichte. Die vielen Reformversprechen der Ampel trafen auf die Realität multipler Krisen: Ukraine-Krieg, Energieknappheit und Haushaltskrise. Die Grünen litten besonders unter der Diskrepanz zwischen ihren hohen programmatischen Ansprüchen und den begrenzten Möglichkeiten innerhalb eines fragilen Bündnisses.
Zugleich zeigen Studien wie die der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2023, dass die Regierungsleistung der Ampel unter dem Radar blieb. „Die Ampel hat zur Halbzeit der Legislaturperiode bereits fast zwei Drittel ihres ambitionierten Koalitionsvertrags entweder umgesetzt oder angepackt“, so das Studienergebnis damals. Die öffentliche Wahrnehmung konzentrierte sich aber fast ausschließlich auf Konflikte, etwa in der Klimapolitik oder beim Gebäudeenergiegesetz.
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Vor allem das Gebäudeenergiegesetz, seitdem als „Heizungsgesetz“ bekannt, wurde zur Projektionsfläche eines tiefen Unbehagens in der Bevölkerung. Die Grünen verpassten es, Reformen mit breitem Konsens und in verständlicher Sprache zu vermitteln. So wurde aus dem Versuch, Klimapolitik sozialverträglich zu gestalten, ein Symbol grüner Übergriffigkeit. Der politische Gegner – allen voran die AfD – wusste diese Erzählung zu nutzen.
Der stille Exodus der politischen Mitte
Ein wesentlicher Grund für den Niedergang der Grünen in der öffentlichen Wahrnehmung war der Verlust der politischen Mitte – jener Wählerschichten, die bei der Bundestagswahl 2021 für den Wahlerfolg mitverantwortlich waren. Die Grünen hatten vor allem in urbanen, gebildeten Milieus gepunktet, zunehmend aber auch in moderat konservativen Haushalten. Doch diese Schichten wandten sich in der Koalitionszeit wieder ab.
Eine Studie des Allensbach-Instituts vom März des vergangenen Jahres zeigte den deutlichen Vertrauens- und Sympathieverlust der Grünen in der Bevölkerung. Während im Jahr 2022 noch 42 Prozent der Befragten meinten, die Grünen betrieben Politik mit Weitblick, glaubten dies zwei Jahre später nur noch 20 Prozent. Der Anteil derjenigen, die ihnen zutrauten, die Sorgen und Bedürfnisse der Bevölkerung zu verstehen, sank im gleichen Zeitraum von 34 auf lediglich 8 Prozent.
Auch das allgemeine Ansehen war deutlich gesunken: Hatten 2019 nur 25 Prozent der Bürger angegeben, dass ihnen die Grünen kaum oder gar nicht gefielen, so waren es 2024 bereits 56 Prozent. Die Gründe lagen für viele klar auf der Hand: unrealistische Ziele, mangelnde Wirtschaftskompetenz, ideologische Starrheit und eine umstrittene Energiepolitik.
Vorwurf der Bürgerferne
Der Vorwurf der Bürgerferne war besonders prägend. Zwei Drittel der Bevölkerung hielten den Grünen vor, den Menschen zu viele Vorschriften machen zu wollen, und ebenso viele kritisierten ein fehlendes Verständnis für reale Alltagsprobleme. Im Vergleich mit anderen Parteien galten sie als besonders weit entfernt von den Interessen der Bürger.
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In der Rückschau konstatiert auch die Studie der Böll-Stiftung, dass der Versuch, Klimaschutz mit sozialer Absicherung zu verbinden, häufig überlagert wurde von unterschiedlichen Vorstellungen der Koalitionspartner, technischen Kompromissen und einer Misskommunikation in der Öffentlichkeit.
In der Studie heißt es dazu:
Wie schon bei den Verhandlungen einer möglichen Jamaika-Koalition 2018 herrschte auch 2021 zwischen den Grünen und der FDP ein eindeutiges Konkurrenz- denn ein Kooperationsverhältnis. […] zum Beispiel in der Wirtschafts-, der Finanz- und der Klimapolitik.“
Und an anderer Stelle:
Die Koalition machte oft keine gute Figur. Sie wurde vor allem als Streitkoalition wahrgenommen. Die Unzufriedenheit mit ihrer Arbeit stieg kontinuierlich. Während im März 2022 noch mehr als die Hälfte der Befragten (56 Prozent) mit der Regierung zufrieden war, sackte der Wert bis zum Aus der Ampel auf nur noch 14 Prozent ab. Auch wenn einige Abläufe sicher hätten optimiert werden können, ist davon auszugehen, dass selbst das beste Koalitionsmanagement kaum die politischen Differenzen und unterschiedlichen Interessen diverser Ampel-Akteure hätte überbrücken können.“
Kurz zusammengefasst: Die Mitte-Wählerschaft erwartete einfache Orientierung – und bekam Streit. Das führte zu einem Vertrauensverlust in der Ampel und auch bei den Grünen.
Strategisch lernen oder politisch marginalisiert
Die Fortschrittsrhetorik der Koalition passte nicht zur gesellschaftlichen Stimmung. Während die FDP sich als wirtschaftsliberale Blockadepartei stabilisierte, verloren die Grünen zunehmend die Mitte. Ihre Stammklientel nahm die Kompromisse als zu weitreichend wahr – die Mitte hingegen als ideologische Überfremdung ihrer Alltagssorgen.
Die grüne Außendarstellung während der Ampel-Zeit sei oft unprofessionell und stark auf Social Media verengt gewesen – strategische Kommunikation sei dabei unter die Räder geraten, konstatiert die Studie der Böll-Stiftung. Auch intern habe es an Austausch gemangelt, nicht nur zwischen dem Spitzenpersonal.
Selbst der Kontakt zu SPD und FDP sei mangelhaft geblieben: „Es fehlte an Beziehungsarbeit auf Ebene der Abgeordneten. Auf Ebene der Parteivorsitzenden gelang es den Ampel-Parteien erst gar nicht, einen strukturierten Austausch zu etablieren.“
Zusätzlich erschwert habe das politische Wirken eine überkomplexe Führungsstruktur. Die doppelte Spitze in Partei, Fraktion und Kabinett habe laut Studienautor Arne Jungjohann zu innerer Unübersichtlichkeit geführt: „Überrascht hat mich, wie unterschiedlich mir Abläufe und Gremien in ihrer politischen Relevanz und Funktion beschrieben wurden“, so Jungjohann in einem Interview zur Studie.
Als Konsequenz empfiehlt die Analyse neben der neuen Doppelspitze mit Franziska Brantner und Felix Banaszak auch strukturelle Reformen – etwa die Einführung eines Generalsekretärs mit klarer Angriffsrolle anstelle des bisherigen Bundesgeschäftsführers.
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