Chatkontrolle: Uneinigkeit in der Bundesregierung könnte EU-Vorhaben kippen
In Kürze:
- Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) lehnt EU-Pläne für Chatkontrolle im Kampf gegen Kinderpornografie ab.
- Auch die Bundestagsfraktionen von SPD und Union im Bundestag sprechen sich dagegen aus.
- Eine gemeinsame Position Deutschlands im EU-Rat ist damit nicht vorhanden.
Die EU-weite Einführung einer sogenannten „Chatkontrolle“ im Kampf gegen Kinderpornografie nach Plänen der EU-Kommission und der dänischen Ratspräsidentschaft könnte vorerst vom Tisch sein: Justizministerin Stefanie Hubig (SPD) ließ sich vom Bundesinnenministerium bislang nicht von einem Kompromissvorschlag für das seit Jahren umstrittene Vorhaben überzeugen.
Auf der Website des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) ließ sich Hubig am 8. Oktober mit den Worten zitieren: „Anlasslose Chatkontrolle muss in einem Rechtsstaat tabu sein. Private Kommunikation darf nie unter Generalverdacht stehen.“
Die BMJV-Chefin stellte klar, dass der Staat Messenger wie WhatsApp, Signal oder Threema nicht zwingen dürfe, „Nachrichten vor Versendung massenhaft auf verdächtige Inhalte zu scannen“. Die Sozialdemokratin versprach:
„Solchen Vorschlägen wird Deutschland auf EU-Ebene nicht zustimmen.“
Sie setze sich dennoch dafür ein, „auch auf EU-Ebene“ im Kampf gegen Kinderpornografie voranzukommen.
„Aber auch die schlimmsten Verbrechen rechtfertigen keine Preisgabe elementarer Bürgerrechte. Darauf habe [ich] in den Abstimmungen der Bundesregierung seit Monaten beharrt. Und dabei wird es bleiben.“
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Offizielle Bestätigung des BMI steht noch aus
Epoch Times bat die beiden für den EU-Rat zuständigen Bundesministerien des Innern (BMI) und der Justiz um Stellungnahmen zum Sachstand. Bis zur Veröffentlichung dieses Artikels lagen allerdings weder Bestätigungen noch Dementis seitens des BMI vor. Auch die Frage, wie es nun mit der EU-weit anvisierten Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern in der digitalen Welt weitergehen soll, blieb bislang offen.
Der ehemalige EU-Abgeordnete Patrick Breyer (Piratenpartei) geht bereits fest davon aus, dass das seit Jahren umstrittene Vorhaben die nächste Hürde nicht überspringen wird: In Ermangelung einer gemeinsamen Linie der Bundesregierung fehle nun „im EU-Rat die Mehrheit, um das Vorhaben nächste Woche wie geplant zu beschließen“, heißt es auf Breyers Website. Als Grund für das interne Scheitern sieht Breyer den massiven Druck der Öffentlichkeit:
„Ohne den unermüdlichen Widerstand von unzähligen Bürgern, Wissenschaftlern, Organisationen und Unternehmen hätten die EU-Regierungen nächste Woche eine totalitäre, flächendeckende Chatkontrolle beschlossen und das digitale Briefgeheimnis beerdigt.“
Hunderte Wissenschaftler machten mobil
Damit spielte Breyer auf Petitionen und offene Briefe an, die sich in den vergangenen Jahren gegen die Pläne der EU-Kommission gerichtet hatten.
Nach Ansicht einer internationalen Wissenschaftlergruppe würde selbst der jüngst überarbeitete Vorschlag der dänischen EU-Präsidentschaft „beispiellose Möglichkeiten für Überwachung, Kontrolle und Zensur schaffen“ sowie „ein inhärentes Risiko für den Missbrauch durch weniger demokratische Regime“ bergen. So heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von rund 700 Unterzeichnern von Mitte September aus vielen Teilen der Welt:
„Es besteht kein Zweifel, dass dieser Vorschlag diese Sicherheits- und Datenschutzmaßnahmen, die für den Schutz der digitalen Gesellschaft unerlässlich sind, vollständig untergräbt.“
Auf Anfrage von „Netzpolitik.org“ bestätigte auch der Deutsche Kinderschutzbund seine Ablehnung der Chatkontrolle als Mittel zum Zweck, weil diese Überwachungsmethode auch die Rechte von Kindern und Jugendlichen gefährde. Der Verband empfahl stattdessen unter anderem die Ausweitung „anlassbezogener Ermittlungsarbeit unter Nutzung existierender Ermittlungsbefugnisse“, mehr Prävention und Aufklärung sowie „klare Verpflichtungen für Anbieter“, darunter den „Scan unverschlüsselter Inhalte“. Ein eigener Fragenkatalog der Epoch Times an den Kinderschutzbund blieb bis zur Veröffentlichung dieses Artikels unbeantwortet.
Unter den Messengerdienstanbietern hatte insbesondere Meredith Whittaker, die Chefin der „Signal“-App, die Pläne scharf kritisiert: „Wenn wir vor die Wahl gestellt würden, entweder die Integrität unserer Verschlüsselung und unsere Datenschutzgarantien zu untergraben oder Europa zu verlassen, würden wir leider die Entscheidung treffen, den Markt zu verlassen.“
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Abendtreffen: Ringen der Botschafter
In den Abendstunden des 8. Oktober werden nun die EU-Mitgliedstaaten sich „auf Botschafterebene“ über den Sachstand austauschen.
Falls die Zeichen trotz aller Widerstände auf Einigung stehen würden, könnte es nach Einschätzung des RND doch noch Anfang nächster Woche zur Abstimmung der zuständigen Minister kommen. Deutschlands Stimme fällt wegen des Bevölkerungsreichtums bei der Abstimmung allerdings besonders schwer ins Gewicht.
Nach einer erfolgreichen Abstimmung im Ministerrat würde dann die Verhandlungsphase zwischen Rat, EU-Parlament und EU-Kommission anlaufen, die sich final mit der neuen EU-Verordnung für einen besseren Kinder- und Jugendschutz zu beschäftigen hätte.
Dass das Parlament ohne Weiteres zustimmen wird, scheint unwahrscheinlich: Bislang hatte es vonseiten aller politischen Lager keine Zustimmungsbereitschaft gegeben. Im Gegenteil: Die EU-Abgeordneten hatten im November 2023 einstimmig einen eigenen Vorschlag verabschiedet, der dem Schutz der bürgerlichen Grundrechte stärker Rechnung tragen sollte.
Von der Leyen unter Druck?
Ex-EU-„Pirat“ Breyer empfahl der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) bereits diesen „Alternativvorschlag“: Er ermögliche „wirksamen Kinderschutz“ auch „ohne Massenüberwachung“, weil er auf „sicherere Apps durch ‚Security by Design’, proaktive Säuberung des Internets und schnelle Löschpflichten für illegale Inhalte“ abziele.
Breyer forderte die Kommissionspräsidentin auf, „ihr Scheitern mit dem dystopischen Chatkontrolle-Plan jetzt endlich“ einzugestehen. Sie solle den „seit Jahren im Rat nicht mehrheitsfähigen und offensichtlich auch irreparablen Gesetzentwurf jetzt endlich komplett zurückziehen“.
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CDU- und SPD-Fraktionen ebenfalls gegen EU-Pläne
Nach Angaben der „Tagesschau“ hat sich inzwischen auch der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Dirk Wiese, gegen die Chatkontrolle nach den bisherigen EU-Vorgaben ausgesprochen: Er sei nicht überzeugt, dass eine solche Regelung vor deutschen Gerichten Bestand haben könne. Wiese habe stattdessen für „entsprechende Ermittlungsbefugnisse“ der Behörden plädiert.
Am Nachmittag des 7. Oktober hatte auch Jens Spahn, der Fraktionsvorsitzende der Unionsparteien im Bundestag, sein Nein zu den bisherigen Plänen der EU-Kommission verkündet:
„Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion sind gegen die anlasslose Kontrolle von Chats. Das wäre so, als würde man vorsorglich mal alle Briefe öffnen und schauen, ob da etwas Verbotenes drin ist. Das geht nicht, das wird es mit uns nicht geben.“
Spahns und Wieses Aussagen als Vertreter einer Regierungsfraktion haben für EU-Beschlüsse allerdings keine direkten Auswirkungen. Letztlich entschieden allein die Bundesministerien über ihr Stimmverhalten im EU-Rat.
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