Der deutsche Sozialstaat wackelt – Merz kündigt „mutige Neuaufstellung“ an

Ein neuer Konflikt innerhalb der Berliner Koalition bahnt sich an: Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) fordert eine umfassende Reform des Sozialstaats. Angesichts explodierender Ausgaben erklärte er das aktuelle System für nicht mehr tragfähig. Während die Union eine „mutige Neuaufstellung“ anstrebt, lehnt die SPD weitreichende Kürzungen strikt ab.
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Sozialausgaben erreichen in Deutschland einen historischen Höchststand. (Symbolbild)Foto: THOMAS KIENZLE/AFP via Getty Images
Von 25. August 2025

In Kürze:

  • Bundeskanzler Friedrich Merz hält den Sozialstaat in seiner heutigen Form für nicht mehr finanzierbar.
  • Im Herbst will die Koalition konkrete Reformen beraten.
  • Sozialausgaben erreichen 2025 mit rund 190 Milliarden Euro einen Rekordwert.
  • Kritik entzündet sich vor allem am Bürgergeld und hohen Bundeszuschüssen zur Rente.

 

In der Koalition im Bund droht ein neuer Streit um die Reform des Sozialstaats. Am Samstag, 23. August, hat Bundeskanzler Friedrich Merz vor dem Landesparteitag der CDU Niedersachsen gesprochen. Dabei hat er den „Sozialstaat, wie wir ihn heute haben“, als „mit dem, was wir volkswirtschaftlich leisten, nicht mehr finanzierbar“ bezeichnet.

Merz kündigte an, er werde im Herbst die auch im Koalitionsvertrag verankerte Reform der Sozialsysteme forcieren. Dabei kündigte er eine „mutige Neuaufstellung“ an und werde es dem Koalitionspartner SPD „nicht leicht machen“.

Merz mahnt Reformen im Sozialstaat und „Migrationskritik“ an

Der Kanzler verkündete vor dem Hintergrund schlechter Umfragewerte für die Union, er sei „mit dem, was wir bis jetzt geschafft haben, nicht zufrieden“. Zu viele von 5,6 Millionen Beziehern von Bürgergeld könnten arbeiten, täten dies aber nicht. Merz räumte ein, dass Millionen davon „Aufstocker“ seien. Dennoch müsse man das System so ändern, dass es „Sinn macht, in den regulären Arbeitsmarkt zurückzukehren“.

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Der Kanzler schloss eine Erhöhung der Einkommenssteuer aus. Bundesfinanzminister Lars Klingbeil hatte zuvor erklärt, Steuererhöhungen könnten zur Finanzierung zentraler Vorhaben der Koalition erforderlich werden. Stattdessen ermahnte Merz den Koalitionspartner SPD dazu, „migrationskritisch“ zu werden und eine industriefreundliche Politik zu machen. Dann habe die Partei auch eine Chance, in der Regierung Fuß zu fassen.

Merz wolle sich „durch Worte wie Sozialabbau und Kahlschlag und was da alles kommt, nicht irritieren“ lassen. Derzeit seien Fachkommissionen damit befasst, konkrete Reformvorschläge für eine Reform des Sozialstaats auszuarbeiten. Im Herbst will die Koalition über die Umsetzung konkreter Vorschläge sprechen.

Aufwand für Sozialhaushalt bewegt sich auf 40 Prozent des Bundeshaushalts zu

Hintergrund der Debatte ist der stetig steigende Finanzierungsbedarf sozialer Sicherungssysteme über den Bundeshaushalt. Im Jahr 2025 erreichen die erforderlichen Zuwendungen des Bundeshaushalts für diese einen Gesamtbetrag von rund 190 Milliarden Euro. Damit belaufen sie sich auf knapp 38 Prozent des Bundeshaushalts und machen den größten Einzelposten darin aus.

Die Zuschüsse dienen vor allem der Finanzierung nicht beitragsgedeckter, aber sozialpolitisch gewollter Leistungen der Rentenversicherung. Dazu gehören Ausgleichszahlungen beispielsweise für Kindererziehungszeiten oder Sonderregelungen für die neuen Bundesländer. Der Bund bringt die erforderlichen Mittel im Regelfall durch allgemeine Steuereinnahmen auf.

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Die Zuschüsse zur gesetzlichen Rentenversicherung für Bundeserstattungen oder Kindererziehungszeiten summieren sich dabei derzeit auf etwa 122,5 Milliarden Euro. Ein zusätzlicher Bundeszuschuss an die allgemeine Rentenversicherung ist mit 32,1 Milliarden Euro veranschlagt.

Reformen des Sozialstaats führten zuletzt zu Mehrausgaben

Für Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sieht der Bundeshaushalt 2025 Mittel in Höhe von etwa 11,76 Milliarden Euro vor. Für das Bürgergeld sind rund 52 Milliarden Euro eingeplant. Mehrere Milliarden Euro entfallen zudem auf Maßnahmen für Eingliederung, Teilhabe und Inklusion.

Die letzten größeren Reformen der Sozialsysteme – von der Mütterrente bis zur Einführung des Bürgergelds – haben eher zu Mehrausgaben als zu Einsparungen beigetragen. Gleiches ist von den bislang nicht vollständig umgesetzten Schritten wie der Kindergrundsicherung oder dem Rentenpaket II zu erwarten.

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Reformen im Zuge der Agenda 2010 oder der Einführung der Pflegeversicherung hatten teilweise Einsparungen bewirkt. Sie liegen allerdings schon längere Zeit zurück und sind für die Kostenentwicklung der jüngeren Zeit nicht mehr relevant.

Führende SPD-Politiker verteidigen den Sozialstaat

In der SPD stoßen die Ankündigungen von Merz auf Widerstand. Bundesvize Serpil Midyatli erklärte, der Sozialstaat sei „nicht nice to have“ und die Sozialdemokratie habe in mehr als 160 Jahren ihres Bestehens dafür gekämpft. Gegenüber „Bild“ äußerte sie:

„Das allein auf die Kassenlage zu reduzieren, wird es mit uns nicht geben.“

Sachsens Sozialministerin Petra Köpping warnte ebenfalls davor, „Ängste vor Kahlschlag und Sozialabbau“ zu schüren. Reformen seien nötig, so die Politikerin, die ebenfalls stellvertretende Bundesvorsitzende ist. Es sei jedoch nicht angebracht, schwarzzumalen und Krisenszenarien zu beschwören.

Der Sozialstaat sei „keine Belastung, die man sich leisten wollen muss, sondern ein Sicherheitsanker von elementarem Wert“, meinte SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf. Richtig sei jedoch, dass Deutschland wieder wirtschaftliches Wachstum brauche.

(Mit Material von Agenturen)



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