Geplatzte Richterwahl – die Union im Krisenmodus

Nach der geplatzten Richterwahl wackelt nicht nur der Koalitionsfrieden – auch Jens Spahn gerät massiv unter Druck. Die Blicke richten sich nun auf Kanzler Merz.
Kanzler Merz stellt sich hinter Unionsfraktionschef Spahn.
Steht Kanzler Merz noch hinter Unionsfraktionschef Jens Spahn.Foto: Katharina Kausche/dpa
Von 13. Juli 2025

Die gestrige Wahl hätte eigentlich eine reine Formsache sein sollen: Die Koalition aus CDU, CSU und SPD hatten sich im Vorfeld auf drei Kandidaten für die Neubesetzung von Richterstellen am Bundesverfassungsgericht geeinigt. Doch am Freitag scheiterte die geplante Abstimmung im Bundestag – offenbar, weil ein erheblicher Teil der Stimmen aus der Union für die von der SPD nominierte Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf nicht zusammenkam.

Der Vorgang ist mehr als ein Betriebsunfall. Es ist ein politisches Signal und wirft grundlegende Fragen über die Stabilität der schwarz-roten Koalition auf. Neben der Frage nach der Stabilität der Regierung stehen aber auch zwei Namen im Zentrum der Ereignisse: Jens Spahn und Friedrich Merz.

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Dutzende wollen Vorschlag nicht unterstützen

Jens Spahn ist seit Mai Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Fraktion. Seine Aufgabe ist es, die Mehrheit für die Regierung zu beschaffen, die Abgeordneten auf Kurs zu halten, eine feine Sensorik in den eigenen Reihen aufzubauen und Konfliktlinien frühzeitig zu erkennen. Der langjährige SPD-Fraktionsvorsitzende Herbert Wehner beschrieb die Aufgabe eines Fraktionschefs im Jahr 1980 in einem Interview mit dem Journalisten Jürgen Kellermeier wie folgt:

„Ein Fraktionsvorsitzender muss wissen, was geschieht und was versucht wird, um einer Regierung den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Die Regierung selber muss das alles gar nicht wissen.“

Diese Äußerungen Wehners standen damals im Zusammenhang mit dem Misstrauensvotum gegen Willy Brand.

Der Widerstand gegen die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf kam in diesem Fall aus der Koalition. Bis zu 60 Bundestagsabgeordnete der Union hätten gestern nicht für die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf votiert, wäre es zu einer Abstimmung gekommen. Das sind die Zahlen, die nach Epoch-Times-Informationen auf den Fluren der Bundestagsfraktionen von mehreren Abgeordneten genannt wurden. Jens Spahn gelang es offensichtlich nicht, im Vorfeld ausreichende Unterstützung sicherzustellen. Spätestens am Freitagmorgen dürfte ihm klar gewesen sein, dass keine Mehrheit zustande kommen würde.

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Laut Aussagen einer Abgeordneten gegenüber der Epoch Times hatte die Fraktionsspitze bereits einige Tage zuvor eine Sondersitzung anberaumt. Geplant war auch eine Probeabstimmung, um das Stimmverhalten innerhalb der Fraktion abzuklären. In Vorbereitung darauf sei das sogenannte „Beichtstuhlverfahren“ eingesetzt worden, bei dem abweichende Positionen identifiziert werden. Es folgten Einzelgespräche mit Abweichlern, hieß es weiter.

Die Gespräche wurden von den Parlamentarischen Geschäftsführern, den Landesgruppenleitungen sowie von Fraktionschef Jens Spahn persönlich geführt. Der Gesprächston galt als höflich und verständnisvoll. Gleichzeitig wurde wiederholt auf mögliche Folgen für die Koalition hingewiesen, sollte die Wahl von Brosius-Gersdorf scheitern. Die Maßnahmen erzielten offenbar jedoch nicht das erhoffte Ergebnis.

Als Spahn am Freitagmorgen den Fraktionssaal betrat, hatte er sich von der Durchführung einer Probeabstimmung verabschiedet. Den Abgeordneten teilte der Fraktionschef mit, dass man die Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf von der Tagesordnung nehmen wolle. Begründet wurde diese Entscheidung mit Plagiatsvorwürfen, die der Plagiatssucher Dr. Martin Weber aber gar nicht erhebt. Ausschlaggebend für die Zustimmung zum SPD-Wahlvorschlag, so Spahn, sei die fachliche Kompetenz der Kandidatin gewesen. Mit dem Plagiatsverdacht stehe diese nun zumindest im Zweifel.

Spahn unter Druck

Nun steht der Unionsfraktionschef stark in der Kritik. Grüne Fraktionschefin Britta Haßelmann sieht Spahn für das Scheitern der Verfassungsrichterwahl am Freitag verantwortlich. Die Fraktion laufe dem CDU-Politiker davon und das sei nicht nur ein Ansehensverlust, sondern beschädige die Autorität Spahns als Fraktionschef so erheblich, dass sich Haßelmann fragt, „ob er sein Amt ausführen kann“.

Auch der Koalitionspartner zeigte sich sichtlich verärgert. In einer Pressemitteilung macht der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Dirk Wiese, keinen Hehl aus seiner Verärgerung. Wiese spricht von einer „Schmutzkampagne“ gegen eine qualifizierte Kandidatin und kritisiert das Unvermögen der Union, eine Mehrheit zu sichern.

„Das Problem heute ist, dass die Unionsführung die nötige Mehrheit in ihren eigenen Reihen nicht sicherstellen konnte. Die Unionsführung war schon Wochen vorher über unsere Vorschläge informiert und hatte Zustimmung signalisiert. Um weiteren Schaden vom Gericht abzuwenden, werden wir heute keine Wahlen mehr durchführen.“

Schon vor der Wahl hatte es in den Reihen der Union politische Vorbehalte gegen Frauke Brosius-Gersdorf gegeben, aufgrund ihrer liberalen Haltung zum Thema Abtreibung, aber auch wegen ihrer Position zur Impfpflicht während der Corona-Pandemie. Dass es Spahn nicht gelang, die Stimmung in seiner Fraktion zu drehen, dürfte das Vertrauen der SPD in den Koalitionspartner belasten.

Mit der verpatzten Verfassungsrichterwahl gerät Jens Spahn nun erneut unter Druck. Schon bei der Kanzlerkandidatenwahl von Friedrich Merz war es ihm nicht gelungen, die Fraktion im ersten Anlauf geschlossen hinter sich zu bringen – ein bislang einmaliger Vorgang. Als erster Kandidat in der Geschichte der Bundesrepublik scheiterte Merz im ersten Wahlgang. Für Spahn war das damals die Feuertaufe als Fraktionsvorsitzender.

Politische Verlässlichkeit steht auf dem Spiel

Es stellt sich nun die Frage, ob Jens Spahn als Fraktionschef weiterhin das volle Vertrauen von Bundeskanzler Merz genießt. Auf der Website der CDU kann man noch heute unter dem Titel „Warum Friedrich Merz der richtige Kandidat ist“ über die Qualitäten von Merz als Kanzler lesen:

Er sieht die Verantwortung, das Land wieder auf Kurs zu bringen: weg vom Ampel-Chaos, hin zu Stabilität, wirtschaftlichem Wachstum und politischer Verlässlichkeit.

Politische Verlässlichkeit und mehr Ruhe nach den Querelen der Ampel – davon ist im Moment nicht viel zu spüren. Mit der Lockerung der Schuldenbremse wurde ein Wahlversprechen gebrochen. Mit der Vertagung der Stromsteuerentlastung dann die nächste Zusage gebrochen. Die Stimmung ist angespannt. Und auch Spahn selbst hat in den vergangenen Wochen mit der Debatte um die Maskenkäufe in seiner Zeit als Minister für Unruhe gesorgt.

Ein Gutachten im Ministerium nach der Zeit von Spahn stellte fest, dass der damalige Gesundheitsminister zu Beginn der Pandemie entgegen dem Rat seiner Fachabteilungen in die Beschaffung der damals knappen Masken eingriff. Dabei setzte das Gesundheitsministerium auf ein Verfahren mit festen, hohen Preisen – ohne weitere Verhandlungen. Weil viele dieser Masken später nicht abgenommen wurden, reichten Lieferanten Klagen ein. Dem Bund drohen dadurch weiterhin Milliardenrisiken aus laufenden Rechtsstreitigkeiten.

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Wie stabil ist die Koalition?

Auch wenn die Reihen der Union in der Maskendiskussion bisher geschlossen hinter Spahn stehen, könnte die Stimmung nach der verpatzten Richterwahl kippen. Für Friedrich Merz stellt sich nun die Frage, wie stabil die Koalition mit der SPD unter den aktuellen Umständen bleibt. Immer wieder Vorwürfe, immer wieder Unruhe – am Ende könnte daran die Koalition zerbrechen. Das Beispiel der Ampel steht noch allen gut vor Augen.

Die SPD ihrerseits hat gerade erst betont, dass sie an ihrem Wahlvorschlag Frauke Brosius-Gersdorf festhalten wird.



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