Initiative für einen handlungsfähigen Staat sieht gestörtes Staat-Bürger-Verhältnis

Hoffnungsvoll und doch angespannt zeigten sich die vier Initiatoren der „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ bei der Vorstellung ihres rund 160-Seiten starken Abschlussberichts. Sie sehen eine hohe Dringlichkeit darin, das Vertrauen der Bürger in die Politik durch einen funktionierenden Staat zurückzugewinnen. Ansonsten befürchten sie grundlegende politische Machtverschiebungen.
Titelbild
Die vier Initiatoren der Initiative für einen handlungsfähigen Staat (v. l.): Der ehemalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD), die Verlegerin Julia Jäkel, der ehemalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle.Foto: Matthias Kehrein/Epoch Times
Von 15. Juli 2025

In Kürze:

Die Handlungsfähigkeit des Staates zurückgewinnen sei notwendig für einen neuen Vertrauensaufbau, sagt die Initiative.

Peer Steinbrück sieht gestörtes Staat-Bürger-Verhältnis.

Eine politische Machtverschiebung befürchten die Initiatoren.

Eine große Herausforderung für die Demokratie sieht der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts.


 

Die Regierung muss jetzt liefern, so die einhellige Meinung der Initiatoren der „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ am Montag, 14. Juli, bei der Vorstellung ihres Abschlussberichts im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin.

„Um das Vertrauen der Bürger in die Handlungsfähigkeit des Staates zurückzugewinnen, bedarf es grundlegender Reformen. […] Wenn nicht erste Erfolge aus dieser Reform in der Legislaturperiode sichtbar sind, dann wird unsere Demokratie in Deutschland nachhaltig Schaden nehmen“, so Andreas Voßkuhle, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts und einer der vier Initiatoren.

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Denn das Vertrauen der Bürger in die Politik hänge unmittelbar von dem Vertrauen ab, dass dieser Staat handlungsfähig sei und funktioniere, erklärte der Rechtsprofessor.

Die anderen drei Initiatoren sind die Verlegerin Julia Jäkel, der ehemalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und der ehemalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD).

Laut den Initiatoren befindet sich das Land in einer strukturellen Krise. „Deutschland ist nicht wirklich verteidigungsfähig, unsere Infrastruktur marode, die sicher geglaubte Versorgung mit bezahlbarer Energie verschwunden, die Folgen des Klimawandels nicht beherzt genug angepackt, Bund und Länder verhakt und die Digitalisierung verschleppt“, fassten die Initiatoren zusammen.

De Maizière: Alle für Zustand verantwortlich

Als Ursache für den jetzigen Zustand des Staates habe es für de Maizière nicht die eine falsche Weichenstellung gegeben, wo man vor zehn Jahren falsch abgebogen sei, so der ehemalige CDU-Politiker auf Nachfrage der Epoch Times. „Und wenn es so wäre, würden wir es nicht sagen, weil wir auf Schuldzuweisungen der Vergangenheit verzichten wollen.“

Der CDU-Politiker musste in der Vergangenheit viel Kritik einstecken, da er 2015 die Entscheidung der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zur Einreise von einer Million Migranten mitverantwortete. Er war unter anderem Bundesinnenminister im Kabinett Merkel III.

Für den Zustand, in dem wir leben, sind alle verantwortlich“, so der CDU-Politiker weiter.

Als Beispiel führte er auf: „Wenn wir selbst ein Haus bauen wollen, dann wollen wir möglichst keine Regeln. Wenn der Nachbar ein Haus baut, dann soll es ganz pingelige Regeln geben. […] Diese Art von Erwartungsspirale hat uns dahin gebracht, wo wir sind.“

Auch habe das Zusammenwirken von Bund und Ländern sich verheddert, oft aufgrund von finanziellen Gründen, erklärte de Maizière.

Auf die Zukunft bezogen sei für ihn die Herbeiführung von „besseren und schnelleren Entscheidungsprozessen aller Art auf allen Ebenen“ von ausschlaggebender Bedeutung. Zudem müsse die Verteidigungsfähigkeit noch weiter ausgebaut werden.

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Steinbrück sieht gestörtes Staat-Bürger-Verhältnis

Für Steinbrück ist eines der Hauptprobleme, dass man in Deutschland versuche, jedes Risiko auszuschließen und sei es „noch so unwahrscheinlicher Art“, so der Ex-Minister auf Nachfrage der Epoch Times. Dies spiegele sich in diversen Verordnungen und Normen wider und sei mit „massivem bürokratischem Aufwand“ verbunden, über den man sich anschließend beklage.

Auch sehe er eine Fehlerorientierung beim Staat in seinem Verhältnis zum Bürger. So würde dieser den Menschen nicht ertüchtigen, indem er ihn machen lässt. Stattdessen würde der Staat eher mit einem Misstrauensvorschuss gegenüber seinen Bürgern agieren.

Umgekehrt sieht er auch bei den Bürgern eine verbreitete Tendenz, einen Gewährleistungsstaat haben zu wollen, „der auch verantwortlich ist für die Kompensation jedweder Widrigkeit“, so Steinbrück.

„Das aufzulösen ist sehr schwierig und hat auch viel mit Mentalitäten zu tun“, erklärte der ehemalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Um aus dieser „Verkrustung“ herauszukommen, bedarf es einer breiten öffentlichen politischen Debatte.

Vorstellung des Abschlussberichts der „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“. Mit v.l. Julia Jäkel, Peer Steinbrück, Thomas de Maizière und Andreas Voßkuhle. Foto: Matthias Kehrein/Epoch Times

Für die Verlegerin Jäkel habe sich die Welt da draußen in den vergangenen Jahren massiv verändert – Stichwort: KI und Digitalisierung. Auch daher müssten Dinge grundlegend anders gemacht werden.

Voßkuhle sieht „perfektionistischen Staat“

Der Rechtsgelehrte Voßkuhle fordert robustere Regeln für das Verwaltungswesen: „Wir sind ein perfektionistischer Staat geworden und sind dadurch auch sehr anerkannt gewesen in der Welt, in dem, was wir produzieren und was wir machen.“ Aber es gebe Kipppunkte, wenn wir den „Perfektionismus um seiner selbst willen pflegen“ würden, aber nicht, um erfolgreich zu sein.

„Davon müssen wir weg“, so Voßkuhle. Er wünscht sich „robustere Regelungen“ und „etwas Zupackendendes, Mutiges“, nicht nur in der Verwaltung, sondern auch in der Politik und der Art und Weise, wie Bürger mit Problemen umgehen.

So sei etwa in der Verwaltungsrechtsprechung ein Niveau an Kompliziertheit erreicht, wo es mittlerweile nicht mehr um die Durchsetzung der Bürgerrechte gehe. Stattdessen habe das Ganze einen hemmenden Charakter.

„Wenn ich nach sieben oder acht Jahren in einem Prozess Recht bekomme, dann ist es häufig schon zu spät, auch wenn das ein sozusagen perfektes Urteil ist, hilft es mir in meiner Lebenswelt vielleicht nicht so sehr wie eine etwas robustere Entscheidung nach einem Jahr“, führte der ehemalige Verfassungsrichter als Beispiel an.

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Initiatoren sehen Gefahr in politischer Machtverschiebung

Alle vier Initiatoren sehen, ohne dass sie die AfD namentlich nennen, eine große Gefahr in einem möglichen weiteren Erstarken der Partei. Dies könnte aus ihrer Sicht eintreten, wenn notwendige Staatsreformen ausbleiben und damit das Zurückgewinnen von Vertrauen in der Bevölkerung nicht gelingt.

„Wenn die Bürger das Gefühl haben, dass ihr Staat nicht funktioniert, dann schauen sie nach einer Alternative und sie machen das nicht von ideologischen Fragen abhängig“, so Voßkuhle.

Wenn die Bürger sehen, dass „die Schule kein Dach hat, die Brücke zusammengebrochen ist, die Bahn nicht funktioniert“, dann denken sie, dass einmal „andere ran müssten“.

Das könne das Land „in eine andere politische Richtung lenken, die sich von demokratischen Strukturen vielleicht abwendet“, befürchtet der ehemalige Verfassungsrichter. Er sieht darin für das demokratische System eine große Herausforderung.

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Initiative hat sich aufgelöst

Mit der Übergabe des Abschlussberichts am 14. Juli an den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier (SPD) endete die im November 2024 begonnene Arbeit der vier Initiatoren und ihrer Initiative.

Zur Erarbeitung ihrer Vorschläge hätten sie laut eigenen Angaben mit 54 Experten aus unterschiedlichen Lebensbereichen in sieben Arbeitsgruppen „intensiv“ debattiert. Außerdem habe man sich den Rat von externen Fachleuten herangezogen.

Finanziert wurde die Arbeit der Initiative durch die Fritz Thyssen Stiftung, der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung, der Stiftung Mercator und der ZEIT Stiftung Bucerius.

Hier können Sie die komplette Pressekonferenz als Video anschauen:

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