Krankenkassen bringen Milliardenklage gegen Bund auf den Weg
Die gesetzlichen Krankenkassen wollen den Bund vor Gericht verklagen, um eine Entlastung bei den hohen Kosten für die Versicherung von Bürgergeldempfängern zu erstreiten.
Für die Krankenversicherung von Menschen mit Bürgergeldbezug bleibe „der Bund den gesetzlichen Krankenkassen Jahr für Jahr rund zehn Milliarden Euro schuldig“, sagte Susanne Wegemann, die Verwaltungsratsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands, am Donnerstag in Berlin. Diese Unterfinanzierung sei rechtswidrig.
Auf Kosten der Beitragszahler
Für diese Kosten müssen nach aktueller Praxis die gesetzlichen Kassen aufkommen und damit die 75 Millionen gesetzlich Versicherten und ihre Arbeitgeber.
Der GKV-Verwaltungsrat habe deshalb bei seiner Sitzung am Donnerstag in Berlin beschlossen, Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland einzureichen, um den Bund für diese Kosten heranzuziehen, hieß es in einer Pressemitteilung.
„Wir erleben bei den Beiträgen für Bürgergeldempfänger, dass sich der Staat auf Kosten der GKV-Beitragszahlenden entlastet“, sagte Wegemann. Die Folge seien höhere Arbeitskosten für die Unternehmen und weniger Netto vom Brutto für die Beschäftigten.
„Dieses Vorgehen der Bundesregierung schadet dem Wirtschaftsstandort Deutschland, denn so wird Arbeit immer teurer“, sagte Wegemann.
Rund zwei Drittel der Kosten
Der Ko-Verwaltungsratsvorsitzende Uwe Klemens erklärte: „Nun reicht es! Wir sehen uns jetzt gezwungen, den Rechtsweg zu beschreiten und zu klagen.“
Der Spitzenverband wolle damit erreichen, „dass unsere Versicherten und deren Arbeitgeber nicht länger mit einer Finanzierungsaufgabe des Staates belastet werden“. Bislang sei es so, dass der Bund die Kassen bei den Versicherungskosten für die Empfänger von Bürgergeld „auf rund zwei Dritteln der Kosten sitzen lässt“.
Laut GKV zahlte der Bund im Jahr 2022 für Bürgergeldempfänger eine Beitragspauschale von monatlich 108,48 Euro. Um die Ausgaben der Kassen zu decken, hätte der Bund aber 311,45 Euro im Monat zahlen müssen.
Durch derartige Diskrepanzen werde „die Solidargemeinschaft der GKV seit vielen Jahren in Milliardenhöhe belastet“, sagte der Verband.
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
In seiner Klage argumentiert der Verband, dass die Finanzierung des Versicherungsschutzes für Bürgergeldempfänger „in die alleinige Verantwortung des Bundes“ falle.
Die aktuelle Unterfinanzierung stelle einen „rechtswidrigen Eingriff in das Recht der Sozialversicherungsträger zu organisatorischer und finanzieller Selbstständigkeit“ dar.
Zugleich verweist der GKV-Spitzenverband auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach Sozialversicherungsbeiträge nicht zur Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben verwendet werden dürften.
Beklagt wird die Bundesrepublik Deutschland, die durch das Bundesamt für Soziale Sicherung vertreten wird. Erstinstanzlich zuständig für die Verfahren ist das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen.
Die Gesamtausgaben der gesetzlichen Kassen lagen im vergangenen Jahr bei mehr als 327 Milliarden Euro – mit deutlich steigender Tendenz. Die Bundesregierung fasst deshalb eine Reform ins Auge, um die Kostensteigerungen zu begrenzen.
Die Opposition forderte die Koalition zu raschem Handeln auf. „Es ist traurig, dass diese Klage überhaupt notwendig ist“, sagte BSW-Chefin Sahra Wagenknecht.
„Die Gesundheitsministerin und der Finanzminister sollten schnellstmöglich die Zehn-Milliarden-Lücke schließen, um nicht nur den nächsten Anstieg der Krankenkassenbeiträge zu verhindern, sondern sie mal wieder zu senken.“
Weitere Reaktionen zur Klage
Der Chef der Techniker Krankenkasse (TK), Jens Baas, nannte die Klage „eine Gerechtigkeitsfrage“.
Durch die derzeitige Regelung würden die Beitragszahlenden der GKV benachteiligt, weil zum Beispiel Privatversicherte nichts zahlen müssten.
Die Versorgung der Bürgergeldbeziehenden sei „eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, sagte Baas.
Auch die Gewerkschaft Verdi begrüßte die Klage. Die gesetzlichen Krankenkassen müssten entlastet werden, sonst drohten ihren Versicherten „Leistungseinschränkungen, höhere Beiträge und nach den Plänen mancher Politiker sogar Gesundheitsschutz nach dem individuellen Geldbeutel“, warnte der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke.
Vor drohenden Sparmaßnahmen in der gesetzlichen Krankenversicherung warnte auch der Linken-Gesundheitsexperte Ates Gürpinar. „Darum ist es gut und richtig, dass die Krankenkassen nun realistische Beiträge für die Versorgung von Bürgergeldbeziehenden einfordern“, erklärte er in Berlin. Gürpinar pochte zudem auf eine solidarische Kranken- und Pflegeversicherung, „in die alle einzahlen“.
Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) will an diesem Freitag in Berlin die von der Regierung beschlossene neue Kommission zur Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung vorstellen. (afp/red)
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