Merkel mahnt Merz: „Maß und Mitte bewahren“ – weiterhin heftige Reaktionen auf „Stadtbild“-Aussage

Altkanzlerin Angela Merkel hat Bundeskanzler Friedrich Merz in der Debatte um dessen „Stadtbild“-Äußerung indirekt kritisiert. Bei einer Lesung in Bonn mahnte sie, demokratische Parteien müssten „Maß und Mitte“ wahren. Prominente Frauen und Thüringens AfD-Chef Björn Höcke haben sich ebenfalls in die Debatte eingeschaltet.
Eine Frau als Bundespräsidentin? Für Angela Merkel natürlich denkbar.
Altbundeskanzlerin Angela Merkel mahnt Amtsinhaber Friedrich Merz in der Stadtbild-Debatte zu maßvoller Rhetorik.Foto: Angelika Warmuth/dpa
Von 28. Oktober 2025

In Kürze:

  • Angela Merkel kritisiert Kanzler Merz für seine „Stadtbild“-Aussage und mahnt „Maß und Mitte“ an.
  • Offener Brief von 60 prominenten Frauen fordert ernsthafte Diskussion über Sicherheit statt „rassistischer Narrative“.
  • Umfragen zeigen gespaltene öffentliche Meinung: Mehrheit erkennt Veränderung im Stadtbild, aber Kritik an Tonfall des Kanzlers.
  • Bundesbankpräsident Nagel betont weiterhin die Notwendigkeit von Einwanderung für Europas Wirtschaft.

 

In der Debatte um seine „Stadtbild“-Äußerung hat Bundeskanzler Friedrich Merz nun auch Gegenwind von Altkanzlerin Angela Merkel bekommen. Diese hatte am Montagabend, 27. Oktober, in Bonn aus ihrer Autobiografie „Freiheit“ vorgelesen. Ohne Merz beim Namen zu nennen, mahnte sie dazu, „Maß und Mitte“ zu bewahren. Dies sei für „demokratische Parteien“ die Basis des Erfolgs.

Die übergroße Mehrheit der Menschen, so Merkel, habe ein „untrügliches Gespür“ dafür, aus welchen Überlegungen heraus Politiker handeln. Insbesondere ahnten sie, ob sie aufrichtig daran interessiert seien, Probleme zu lösen, oder „sich sogar von der AfD gleichsam am Nasenring durch die Manege führen lassen“. Merkel übte auch Kritik an der Verwendung des Begriffs „Flüchtlingsstrom“ für die Situation im Sommer 2015. Man müsse „immer den einzelnen Menschen sehen“.

Was Kanzler Merz genau zum „Stadtbild“ sagte

Friedrich Merz hatte die Debatte am 14. Oktober ausgelöst. Gegenüber Reportern hatte er bei einem Termin in Brandenburg erklärt, die Bundesregierung habe in der Migrationspolitik bedeutsame Erfolge erzielt. So sei die Zahl der Asylanträge im laufenden Jahr gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres um 60 Prozent zurückgegangen.

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Anschließend fügte der Kanzler jedoch hinzu, man habe „natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem“. Deswegen sei der Bundesinnenminister ja dabei, „jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen“.

Bei einer späteren Pressekonferenz wurde Merz auf die Äußerung angesprochen und gefragt, auf wen oder was diese bezogen gewesen sei. Pressevertreter richteten angesichts öffentlicher Kritik an dieser auch die Frage an den Kanzler, ob dieser sich dafür entschuldigen wolle. Daraufhin erklärte Merz:

„Ich weiß nicht, ob Sie Kinder haben. Und wenn unter diesen Kindern Töchter sind, dann fragen Sie mal Ihre Töchter, was ich damit gemeint haben könnte. Ich vermute, Sie kriegen eine ziemlich klare und deutliche Antwort.“

Kritik aus gesellschaftlichen Gruppen – aber auch aus der Wirtschaft

Am vergangenen Mittwoch präzisierte der Kanzler, dass er mit den „Problemen im Stadtbild“ nur Migranten ohne legalen Aufenthaltsstatus gemeint habe, die gegen Rechtsnormen verstießen. Einwanderung als solche brauche Deutschland weiterhin – vor allem für den Arbeitsmarkt. In mehreren Städten des Landes hatte es bereits zuvor Demonstrationen gegen die Aussagen des Kanzlers gegeben.

Im Vorfeld seiner Klarstellung hatten auch Persönlichkeiten aus der Wirtschaft Kritik an der Aussage von Merz und vor allem deren potenzieller Wirkung geübt. In einem Vortrag vor der New York University Stern School of Business wies Bundesbankpräsident Joachim Nagel auf die alternden Gesellschaften in Europa hin. Er betonte: „Wir brauchen Einwanderung in Europa, weil wir sonst viel wirtschaftliche Macht verlieren.“

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Umfragen wie jene von INSA für „Bild“ zeigen zum einen, dass große Teile der Bevölkerung die Aussagen des Kanzlers nachvollziehen können. Eine relative Mehrheit von 43 Prozent der Befragten ist tatsächlich der Meinung, das Stadtbild ihres Wohnorts habe sich seit Mitte der 2010er-Jahre zum Schlechteren verändert. Auf der anderen Seite sehen sich jedoch auch Bedenken der Kritiker der Merz-Äußerung bestätigt, die dem Kanzler vorwerfen, dadurch Rassismus zu schüren.

Zustimmung zu Einschätzung von Merz – aber auch darüber hinausreichende Ressentiments

So beziehen 34 Prozent der von INSA Befragten die Aussage über „Probleme im Stadtbild“ nicht allein auf irregulär eingereiste oder straffällige Ausländer. Sie fühlen sich im Stadtbild nach eigener Aussage vielmehr durch „die Präsenz von Menschen mit nicht weißer Hautfarbe oder nicht christlicher religiöser Kleidung“ gestört. Auf Staatsangehörigkeit oder Aufenthaltsstatus wurde bei dieser Frage explizit kein Bezug genommen.

Unterdessen haben 60 Frauen des öffentlichen Lebens am Dienstag einen offenen Brief an Kanzler Merz gerichtet. Unter diesen befinden sich unter anderem Klimaaktivistin Luisa Neubauer, Sängerin Joy Denalane und Schauspielerin Melika Foroutan. Aber auch aktuelle und ehemalige Grünen-Politikerinnen wie Ricarda Lang oder Sarah Lee Heinrich haben das Schreiben unterzeichnet.

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In dem Brief heißt es, man wolle „gerne über Sicherheit für Töchter, also Frauen sprechen“. Allerdings wolle man dies „ernsthaft tun, und nicht als billige Ausrede dienen, wenn rassistische Narrative gerechtfertigt werden sollen“. Betroffene von Sexismus und Betroffene von Rassismus dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Auf die Frage einer Journalistin, ob er auf die Forderungen eingehen werde und wo er Handlungsbedarf sehe, wollte Merz bei einem Besuch der Handwerkskammer in Dresden nicht antworten.

Er sei bei der Handwerkskammer, um sich „mit den Themen, die die Menschen wirklich in der Breite und Tiefe beschäftigen, zu befassen“, sagte er. Der CDU-Vorsitzende nannte die Berufsausbildung und die Frage, wie junge Menschen – „auch junge Frauen“ – für Handwerksberufe gewonnen werden könnten. „Das ist hier das Hauptthema meines heutigen Besuches.“

Frauen fühlen sich unsicher im öffentlichen Raum – „Stadtbild“-Aussage aber umstritten

Die Unterzeichnerinnen führen einen Zehn-Punkte-Forderungskatalog auf. Dieser reicht von mehr Förderung für Frauenhäuser und einer konsequenteren Anwendung des Gewaltschutzgesetzes über bessere Strafverfolgung sexualisierter und häuslicher Gewalt bis hin zur Stärkung der finanziellen Unabhängigkeit von Frauen.

Eine weitere Umfrage von Civey unter Frauen in Deutschland im Auftrag der „Funke Mediengruppe“ zeigt, dass sich 55 Prozent der Befragten in Teilen des öffentlichen Raums in Deutschland nicht sicher fühlen. 49 Prozent fühlen sich an keinem öffentlichen Ort sicher. Am größten ist die Unsicherheit in Clubs oder auf Bahnhöfen.

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Allerdings bewerteten auch nur 47 Prozent der Befragten in der Civey-Frauenumfrage die Kommunikation des Kanzlers als positiv, 42 Prozent lehnten sie ab. Das Meinungsforschungsinstitut hat im Zeitraum vom 23. bis 27. Oktober online 5.000 Menschen ab 18 Jahren befragt.

Höcke sieht sich durch Warken-Aussagen bestätigt

Unterdessen fühlt sich AfD-Politiker Björn Höcke durch aktuelle Äußerungen von Bundesgesundheitsministerin Nina Warken bestätigt. Diese hatte gegenüber „table.briefings“ im Kontext der „Stadtbild“-Debatte erklärt, es gebe an bestimmten Orten „No-go-Areas für Frauen“ gebe. Dies sei „auch ein Migrationsthema“, so Warken.

Höcke äußerte sich mit Blick auf die 2015 ausgestrahlte Fernsehdiskussion mit Günter Jauch, an der er teilgenommen hatte:
„Bereits vor 10 Jahren sagte ich das Entstehen von Angsträumen für Frauen voraus. Vielleicht hätte ich in Deutschland lieber von ‚No-Go-Areas‘ sprechen sollen, um verstanden zu werden?“



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