Migrationsforscher: Regierung wird alle Prozesse zu Zurückweisungen verlieren

Drei nach Polen zurückgewiesene Somalier haben erreicht, dass Deutschland prüfen muss, welcher EU-Staat für ihre Asylverfahren zuständig ist. Was bedeutet das über die Einzelfälle hinaus?
Kurz nach dem Regierungswechsel waren die Grenzkontrollen verschärft worden. (Archivbild)
Kurz nach dem Regierungswechsel waren die Grenzkontrollen verschärft worden (Archivbild).Foto: Gian Ehrenzeller/KEYSTONE/dpa
Epoch Times3. Juni 2025

Das Verwaltungsgericht Berlin hat am Montag festgestellt, dass die Zurückweisung von Asylsuchenden bei Grenzkontrollen auf deutschem Gebiet rechtswidrig ist. Ohne eine Klärung, welcher EU-Staat für ihren Asylantrag zuständig ist, dürfen sie nicht abgewiesen werden.

Migrationsforscher weisen auf verschiedene Folgen der Eilentscheidung hin. Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) verteidigt die Praxis der Zurückweisungen iim Rahmen verschärfter Grenzkontrollen.

Frei: Entscheidung in Hauptsache nötig

Der Gerichtsentscheid sei kein Rückschlag gewesen, sagte Frei in der Sendung „RTL Direkt“. „Wir haben versprochen, Migration zu ordnen, zu steuern und zu begrenzen, um eine Wende in der Migrationspolitik zu erreichen.“ Die Zurückweisungen seien dabei „ein wesentlicher Baustein neben vielen anderen Dingen“.

Das Urteil sei bislang nur eine Eilentscheidung, sagte Frei.

Es geht darum, dass man auch eine Entscheidung in der Hauptsache erreicht, wo man dann auf die Argumentation des Gerichts eingehen kann und vor allen Dingen die eigenen Gründe dezidiert vorbringen kann.“

Das Gericht habe Hinweise zur Begründungspflicht gegeben, so der CDU-Politiker weiter. „Da muss ganz offensichtlich noch mal nachgearbeitet werden. Aber das werden wir tun.“

Die Sorge, dass die Grenzpolizei durch die Rechtslage verunsichert sei, wies Frei zurück. „Die Polizisten, die an der Grenze tätig sind, die wissen genau, dass sie sich auf diese Regierung verlassen können“, sagte er. Die politische Verantwortung liege bei der Bundesregierung. „Und deswegen werden wir auch dafür sorgen, dass alle Voraussetzungen gegeben sind, die diese Zurückweisungen auch rechtmäßig machen.“

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Knaus: Regierung wird alle Prozesse zu Zurückweisungen verlieren

Der Migrationsforscher Gerald Knaus hält die Zurückweisungen nach dem urteil für gescheitert. „Alle Fälle, die vor Gericht kommen werden, wird die Bundesregierung verlieren bis hinauf zum Europäischen Gerichtshof. Die Frage ist nur, wie lange sie das noch durchziehen will“, sagte Knaus im „Stern“-Podcast „5-Minuten-Talk“.

Er zeigte sich irritiert über die Ankündigung von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU), an dem bisherigen Konzept festzuhalten: „Irgendwann muss ja auch die SPD – sie stellt ja die Justizministerin – die Frage stellen, wie kann man eigentlich die Bundespolizei losschicken, was zu tun, was offensichtlich rechtswidrig ist.“

Knaus forderte, die Regierung solle auf bewährte Konzepte setzen, die „schon einmal die Zahlen reduziert haben“ wie etwa sichere Drittstaatenabkommen nach dem Vorbild des EU-Türkei-Deals.

Die EU-Kommission habe vor zwei Wochen Vorschläge gemacht, die dies rechtlich ermöglichen würden. „Jetzt müssten SPD, CDU und CSU im Europaparlament dafür sorgen, dass es möglichst schnell durchkommt. Die meisten in der EU wollen das“, so Knaus. „Dann könnte man parallel dazu jetzt schon mit Verhandlungen und Angeboten beginnen.“

Bleibt es bei den Zurückweisungen?

Ob die Bundesregierung die Zurückweisungen dauerhaft aufrechterhalten kann, ist nach Einschätzung des Migrationsrechtsexperten Winfried Kluth offen. Der Vorsitzende des Sachverständigenrats für Integration und Migration erklärte, die Entscheidung des Verwaltungsgericht liege „ganz auf der Linie der herrschenden Meinung im Migrationsrecht und der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs“ (EuGH).

Kluth sagte weiter: „Die neue Bundesregierung will die Rechtsprechung dazu bringen, ihren Standpunkt zu ändern.“ Angestrebt würden Entscheidungen des EuGH, die mehr Spielräume böten.

Winfried Kluth ist Professor für Öffentliches Recht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und derzeit Vorsitzender des Sachverständigenrats für Integration und Migration. (Archivbild)

Winfried Kluth ist Professor für Öffentliches Recht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und derzeit Vorsitzender des Sachverständigenrats für Integration und Migration (Archivbild). Foto: Peter Gercke/dpa-Zentralbild/dpa

Zudem versuche die Regierung, mit Verweis auf die Überlastung der Kommunen eine neue Argumentation zu entwickeln. Diese solle die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit nach Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union rechtfertigen. Diese sogenannte Notlagenklausel erlaubt Ausnahmen.

„Ob man von der Lage in einzelnen Kommunen auf ganz Deutschland schließen kann, ist aber sehr fraglich“, gab Kluth, Professor für Öffentliches Recht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Wer entscheidet über die Ausnahmelage?

Solange das höchste zuständige Gericht nicht anders entscheidet, sei es möglich, eine neue Auslegung einer Norm anzustreben, erklärte Kluth.

Der Fall werfe jedoch die Frage auf, wer eine Ausnahmelage im Sinne von Artikel 72 feststellen könne.

Das ist eine Entscheidung von großer Tragweite, weil damit der Vorrang des Unionsrechts partiell durchbrochen wird.“

Aus Kluths Sicht müsste die gesamte Bundesregierung oder sogar der Bundestag eine solche Entscheidung treffen – ähnlich wie die Entscheidung über die epidemische Lage von nationaler Tragweite in der Corona-Pandemie.

Dies Entscheidung müsste dann auch förmlich den Nachbarstaaten und der EU-Kommission mitgeteilt werden. (dpa/dts/red)



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