Organisierter Sozialbetrug durch Scheinfirmen – Krankenkassen fordern besseren Schutz

Scheinfirmen und Strohmänner machen den Krankenkassen das Leben schwer. Betrüger erbeuten Millionen. Doch die Handlungsmöglichkeiten der Krankenkassen sind begrenzt.
Die gesetzlichen Krankenkassen haben 2024 ein Defizit von 6,2 Milliarden Euro verzeichnet. (Foto Illustration)
Die gesetzlichen Krankenkassen haben 2024 ein Defizit von 6,2 Milliarden Euro verzeichnet. (Foto Illustration)Foto: Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/dpa
Von 11. April 2025

Immer wieder und immer häufiger kommt es zu Betrügereien im deutschen Sozialsystem durch Scheinfirmen und unter Einsatz von Strohmännern. Der Schaden für die gesetzlichen Krankenkassen und die Sozialkassen durch oftmals regelrechte Netzwerke beläuft sich auf Millionenbeträge – jährlich. Recherchen des rbb24 zeigen ein systematisches Vorgehen der Täter und deuten auf Lücken in den Schutzmechanismen der Kassen.

Ein Beispiel aus Berlin stellt die Systematik solcher Vorgehen dar. Statt Insolvenz anzumelden, heuert eine überschuldete Immobilienfirma einen Strohmann aus Osteuropa an, in diesem Fall aus Polen. Diesem wird die Firma samt Schulden übertragen und die Geschäftsleitung übergeben. Nach dem Notartermin verschwindet der haftende „Geschäftsführer“ und ist für die Gläubiger der Firma nicht mehr auffindbar.

Die Firma besteht als Hülle jedoch formal weiter. Die kriminellen Hintermänner des Strohmanns melden daraufhin auf gefälschten Verträgen basierend 40 Scheinbeschäftigte bei insgesamt neun Krankenkassen an. Diese haben damit Anspruch auf Sozialversicherungsleistungen wie Krankengeld und Arbeitslosengeld sowie auf ärztliche Behandlung – und die Firma auf Erstattung von Lohnfortzahlungen im angeblichen Krankheitsfall.

Allerdings – wie sich später herausstellte – arbeiten diese „Mitarbeiter“ überhaupt nicht und befinden sich im Ausland oder sind überhaupt nicht auffindbar. Den rbb-Recherchen nach wurden innerhalb von zwei Jahren auch keine Sozialleistungen abgeführt. Erst drei Jahre nach der Übernahme durch den Strohmann entdeckt die AOK Nordost das Problem und stellt einen Insolvenzantrag. Zu diesem Zeitpunkt beträgt der Schaden laut dem Sender bereits rund 900.000 Euro.

„Diese Scheinfirmen sind ein Einfallstor in das deutsche Sozialversicherungssystem“, beklagt Ralf Selle von der AOK Nordost. Der Beauftragte zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen erklärte, dass die Kassen sich zunächst auf die gemeldeten Daten verlassen würden – „eigene Kontrollen sind nicht vorgesehen“, so Selle.

Das führe in der Praxis dazu, dass „Menschen über lange Zeit versichert bleiben und Leistungen beziehen, obwohl sie nicht arbeiten und keine Beiträge für sie abgeführt werden“. Die gesetzlichen Verfahren von Mahnung, Pfändung und Insolvenzantrag würden sich lange hinziehen, vor allem wenn ein Inhaberwechsel hinzukomme.

Der GKV-Spitzenverband der bundesweiten Krankenkassen hofft nun auf eine dringende Verbesserung des Informationsaustausches zwischen Krankenkassen, Rentenversicherung und Arbeitsagenturen, „um solche Strukturen frühzeitig zu erkennen“, wie Verbandssprecher Florian Lanz erklärte.



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