Soli bleibt: CDU hält Abschaffung weiterhin für möglich

Der Solidaritätszuschlag darf weiter erhoben werden. Er ist verfassungsgemäß, wie das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch in Karlsruhe entschied. Eine Beschwerde von sechs früheren FDP-Bundestagsabgeordneten wurde damit zurückgewiesen (Az. 2 BvR 1505/20).
Der Zuschlag gilt unbefristet seit 1995, um unter anderem die Kosten der Wiedervereinigung zu finanzieren. Ende 2019 lief der Solidarpakt Ost aus. Der sogenannte Soli blieb, allerdings in abgespeckter Form.
Gericht stützt sich auf DIW-Gutachten
Seit 2021 zahlen ihn Gutverdiener und Unternehmen in Form eines Zuschlags von 5,5 auf die Einkommen- oder Körperschaftsteuer. Außerdem wird er auf Kapitalerträge erhoben. Der Soli kommt allein dem Bund zugute und bringt ihm 12 bis 13 Milliarden Euro jährlich ein.
Die früheren FDP-Abgeordneten – darunter der frühere Fraktionschef Christian Dürr – hielten die weitere Erhebung nach 2019 für nicht vereinbar mit dem Grundgesetz. Der Soli habe der Finanzierung der deutschen Einheit gedient und solle nach dem Auslaufen des Solidarpakts für alle entfallen, argumentierten sie.
Das Gericht sah das aber anders. Beim Soli handelt es sich um eine sogenannte Ergänzungsabgabe. Voraussetzung dafür sei ein „finanzieller Mehrbedarf“ des Bundes. Das Gericht prüft nur, ob für die zu finanzierende Aufgabe offensichtlich in keiner Weise mehr zusätzliches Geld gebraucht wird. Das sei derzeit nicht der Fall.
„Der Bund verzeichnet weiterhin einen wiedervereinigungsbedingten zusätzlichen Finanzierungsbedarf“, sagte Richterin Christine Langenfeld bei der Urteilsverkündung. Sie zitierte ein dem Gericht vorliegendes Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), wonach trotz positiver Entwicklungen noch „strukturelle Unterschiede“ zwischen Ost und West verblieben und der Bundeshaushalt noch bis zum Jahr 2030 in bestimmten Bereichen durch die Wiedervereinigung belastet sei.
CDU schließt Abschaffung dennoch nicht aus
Der Gesetzgeber ist deshalb aktuell nicht dazu verpflichtet, den Soli abzuschaffen. Das Auslaufen des Solidarpakts Ost ist nicht entscheidend. Eine solche Abgabe dürfe auch sozial gestaffelt werden, führte das Gericht aus. Dass nur noch etwa 10 Prozent der Steuerpflichtigen – die am besten verdienenden – den Zuschlag zahlen müssen, ist damit erlaubt. Die zusätzliche Steuerlast dürfe nach der Leistungsfähigkeit verteilt werden.
Für 2025 sind bereits 12,75 Milliarden fest im Haushaltsentwurf verplant. Hätten die Karlsruher Richter anders entschieden, wäre dem Bund womöglich eine Rückzahlungsverpflichtung von bis zu 66 Milliarden Euro entstanden. Dabei wäre es um jene Gelder gegangen, die der Bund seit 2020 aus dem Solidaritätszuschlag eingenommen hatte.
Ob der Soli weiter erhoben wird, ist also derzeit eine politische Entscheidung. Erst wenn für die Bewältigung der Wiedervereinigung kein zusätzliches Geld mehr gebraucht wird, muss eine solche Abgabe gestoppt werden. Union und SPD dürften bei ihren Koalitionsgesprächen nun auch über den Soli diskutieren – im Bundestagswahlkampf warb die Union damit, ihn abschaffen zu wollen. Die politische Debatte begann noch während der Urteilsverkündung.
Der stellvertretende Unionsfraktionschef Mathias Middelberg (CDU) schloss eine Abschaffung des Solis weiter nicht aus. Es werde „dringend eine steuerliche Entlastung von Unternehmen und Mittelstand“ gebraucht, sagte er der „Rheinischen Post“. Ob dies über eine Abschaffung des Solis „oder eine Unternehmenssteuerreform“ geschehe, sei Gegenstand der Koalitionsverhandlungen.
Auch die AfD fordert unabhängig vom Urteil ein endgültiges Ende für die Abgabe. „Die Karlsruher Richter spielen mit ihrem Urteil den Ball zurück ins Feld der Politik. Es wäre jedoch höchste Zeit, dass die Politik die Zeichen der Zeit erkennt. Statt immer neuer Ausgaben und Kostenblöcken und – wenn es nach der SPD geht – sogar Steuererhöhungen, brauchen die Bürger und Unternehmen dieses Landes vor allem eines: finanzielle Entlastung!“, schreibt der stellvertretende Bundessprecher der AfD, Peter Boehringer, auf der Internetseite der Partei.
AfD kritisiert, SPD und Grüne zufrieden
Der finanzpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Kay Gottschalk, bewertet das Urteil als „einen schweren Schlag für die Steuerzahler in Deutschland“. Seit dem Auslaufen des Solidarpakts II zum 31. Dezember 2019 fehle dem Solidaritätszuschlag jede verfassungsrechtliche Legitimation. „Dennoch wird er weiterhin erhoben, was wir als AfD-Fraktion von Anfang an kritisiert haben.“
Der geschäftsführende Bundesfinanzminister Jörg Kukies (SPD) begrüßte die Karlsruher Entscheidung. Das Urteil bestätige „unsere Rechtsauffassung, dass die Erhebung des Solidaritätszuschlags im Einklang steht mit unserer Verfassung, und schafft damit Klarheit für die Aufstellung des Bundeshaushalts“, erklärte er.
Die Grünen forderten die Union dazu auf, ihre Pläne zur Abschaffung des Zuschlags aufzugeben. „Man kann nicht einerseits hohe Schulden aufnehmen und andererseits daran arbeiten, den Reichsten im Land Steuergeschenke zu machen“, sagte der stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende Andreas Audretsch der „Rheinischen Post“.
Unternehmensvertreter appellierten dagegen an die Politik, für eine Entlastung der Firmen zu sorgen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sprach nach der Karlsruher Entscheidung von einem „herben Rückschlag für die Unternehmen“. Die Abschaffung des Zuschlags gehöre „in den Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung“, forderte Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner.
Auch die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) sah die Politik am Zug. Ein vollständiger Stopp des Zuschlags „wäre für Unternehmen ein wichtiges Signal für spürbare Entlastungen“, erklärte DIHK-Präsident Peter Adrian.
DGB: Abschaffung ein Milliardengeschenk, das sich Deutschland nicht leisten kann
Ähnlich äußerte sich die Wirtschaftsweise Veronika Grimm. „Die Abschaffung des Solis wäre meines Erachtens sinnvoll“, sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) dagegen begrüßte das Urteil ausdrücklich. „Ein ersatzloser Wegfall des Solis wäre ein Milliardengeschenk an reiche Haushalte und profitable Unternehmen gewesen, das sich Deutschland in diesen Zeiten wirklich nicht leisten kann“, erklärte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell.
Auch einer der Beschwerdeführer, der FDP-Politiker Florian Toncar, zeigte sich trotz des Scheiterns seiner Beschwerde optimistisch. Es sei „kein Blankoscheck an den Gesetzgeber ausgestellt worden“, sagte er in Karlsruhe. Seiner Meinung nach bekomme der Soli durch das Urteil ein „Verfallsdatum“.
Die ehemalige Bundestagsabgeordnete Katja Hessel (FDP) hält an der Kritik der Liberalen am Solidaritätszuschlag fest. „Nicht alles, was rechtens ist, ist auch politisch richtig“, sagte sie der Nachrichtenagentur AFP. „Der Soli ist schlicht ein Symbol für uneingelöste Versprechen der Politik: Einst für die Deutsche Einheit eingeführt, ist er heute eine Strafsteuer auf Qualifikation und für den fleißigen Mittelstand.“
Hessel gehörte ebenfalls zu den Beschwerdeführern. Den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts akzeptiere die FDP aber „selbstverständlich“. Sie kündigte aber an, dass sich die FDP weiter für die Abschaffung einsetzen werde. „Auch die Union muss jetzt zeigen, ob ihre Wahlversprechen noch etwas wert sind und seine Abschaffung durchsetzen.“
Papier: Mittelbedarf des Bundes ist zweifelhaft
Die Union hatte in ihrem Wahlprogramm das Aus für den Soli gefordert. Durch das kürzlich von Bundestag und Bundesrat beschlossene Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro müsse es möglich sein, „dieses Relikt Soli politisch abzuschaffen“, meint Hessel. „Es ist und bleibt eine Frage der politischen Glaubwürdigkeit, dass eine zeitlich befristete Sonderabgabe auch endlich einmal ausläuft.“
Kritisch äußerte sich auch der ehemalige Verfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier. So bezeichnete er die Annahme des Gerichts, dass der Zweck des Solidaritätszuschlags fortbestehe, als „Großzügigkeit“: Das sei „nicht unproblematisch“, sagte Papier dem „Handelsblatt“. Der ursprüngliche Mittelbedarf speziell des Bundes sei „sehr zweifelhaft geworden“.
Vor allem diese Teilabschaffung sieht Papier kritisch. Die Abschmelzung der Ergänzungsabgabe hin zu einer Belastung ausschließlich höherer Einkommen mache deutlich, „dass es dem Gesetzgeber gar nicht mehr um die Erfüllung oder Teilerfüllung des ursprünglich legitimierenden Erhebungszwecks ging“, sagte Papier. Vielmehr sei eine „sozialpolitische Korrektur des allgemeinen Einkommenssteuerrechts“ zu erkennen, wobei im Grunde eine „spezifische Tarifänderung bei der Einkommensteuer zulasten besser verdienender Personengruppen“ eingeführt worden sei.
Waigel hält Urteil für nachvollziehbar
Der ehemalige Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU), in dessen Amtszeit der Solidaritätszuschlag eingeführt wurde, hält das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Beibehaltung des Solis unterdessen für nachvollziehbar. „Ich hatte das Urteil erwartet“, sagte er dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“.
„Denn man kann nicht bestreiten, dass wir auch heute noch Geld für die Wiedervereinigung aufwenden müssen, wenngleich nicht mehr so viel wie früher. Eine Mehrheit, den Soli abzuschaffen, sehe ich zumindest für die nächsten zwei Jahre nicht. Damit werden sich auch mögliche Auseinandersetzungen bei den Koalitionsverhandlungen erledigen.“
Waigel fügte hinzu: „Man muss an die Adresse der Länder klipp und klar sagen, dass der Bund 80 Prozent der Ausgaben für die deutsche Wiedervereinigung erbracht hat, jedenfalls in den 1990er-Jahren. Heute wird es nicht weniger sein. Und der Soli war die einzige Refinanzierungsmöglichkeit des Bundes. Deshalb haben wir das damals so gemacht.“
„Allerdings haben wir bei seiner Wiedereinführung über 10 Milliarden Euro Subventionen abgebaut, um damit ein Zeichen zu setzen, dass es nicht nur um Steuererhöhungen geht, sondern auch um Ausgabenminderungen“, so Waigel. Solche Einsparungen sehe er derzeit nicht, obwohl bei Subventionen von 120 Milliarden Euro sicher Einsparungen von 15 bis 20 Milliarden Euro möglich wären. (afp/os)
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