Tübingen: Geburtstagsgruß ruft Datenschützer auf den Plan
In Kürze:
- Datenschutzverfahren gegen Tübingen wegen eines veröffentlichten Geburtstagsgrußes
- Stadt stoppt sämtliche Glückwünsche im Amtsblatt
- OB Palmer spricht von Bürokratie, die Gemeinschaftsleben zerstöre
- Landesdatenschutzbeauftragter verteidigt Vorgehen als gesetzliche Pflicht
Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer hat sich fassungslos über ein Schreiben des baden-württembergischen Landesdatenschutzbeauftragten gezeigt. Auf Facebook veröffentlichte er am Mittwoch, 3. Dezember, ein von der Behörde stammendes Schreiben.
Die Nachricht vom 24. November setzt Palmer darüber in Kenntnis, dass die Landesbehörde ein datenschutzaufsichtsbehördliches Verfahren gemäß Paragraf 77 der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) eingeleitet hat. Anlass sei die Beschwerde eines Bürgers gegen die Richtlinien Tübingens, die Veröffentlichungen des Amtsblatts betreffen.
Palmer spricht von „Gipfel der Absurdität“
Als Palmer sich näher mit dem Anlass befasste, stellte sich heraus, dass es sich um einen Geburtstagsgruß gehandelt hat. Der 75-jährige pensionierte Steuerrechtsprofessor Klaus D. von der Hochschule Ludwigsburg sah sich im Amtsblatt von Unterjesingen namentlich genannt und hatte sich darüber beschwert.
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Er sei „ein privater Mensch, und auch mein Geburtstag ist eine persönliche Sache“, erklärte der Rentner gegenüber der „Stuttgarter Zeitung“. Aufgrund der Veröffentlichung hätten ihm zahlreiche Menschen zum Geburtstag gratuliert. D. meinte dazu:
„Das war zwar nett gemeint, aber ich möchte das nicht.“
Die Konsequenz daraus ist jedoch, dass das Amtsblatt künftig überhaupt keine Geburtstagsgrüße mehr für Jubilare veröffentlichen wird. Palmer empört sich auf Facebook unterdessen über das, was er als den „Gipfel der Absurdität“ bezeichnet:
„Wenn jemand fragt, wo unsere Steuergelder hinfließen: Dort fließen sie hin. Und das bringt null Wertschöpfung.“
„Notorische Beschwerdefreunde“ verhageln Tausenden Bürgern Anerkennung
Palmer wirft in weiterer Folge den Datenschutzbehörden vor, durch ein bürokratisches Rechtsverständnis Einzelpersonen mit querulatorischen Neigungen in die Hände zu spielen. Dies unterminiere die Gemeinschaft:
„Die Behörde erwartet ernsthaft, dass wir künftig allen Bürgerinnen und Bürgern vorab schriftliche Einwilligungen abverlangen – für Glückwünsche. Für drei Zeilen im Amtsblatt. Für etwas, das jahrzehntelang völlig normal war und vielen eine Freude gemacht hat.“
Es sei der Stadtverwaltung nicht zuzumuten, alle Bürger einzeln anzuschreiben und um ein Einverständnis zu bitten, um Geburtstagsgrüße im Amtsblatt zu veröffentlichen. Schon als Mitglied im Verwaltungsrat der Kreissparkasse habe er erlebt, so Palmer, dass man alle 90.000 Kunden anschreiben musste. Dabei sei es lediglich darum gegangen, sich rückzuversichern, ob man mit ihnen noch kommunizieren könne.
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Man werde diesen Aufwand nicht treiben, wenn es um eine simple Gratulation an die Jubilare gehe. Dann sorgten eben „ein paar notorische Beschwerdefreunde dafür, dass Tausende andere Menschen keine öffentliche Anerkennung mehr bekommen“. Mit Blick auf den pensionierten Professor äußerte der OB:
„Außer einem pensionierten Professor für öffentliche Verwaltung hat zehn Jahre lang nie jemand ein Problem mit den Glückwünschen im Blättle gehabt. Jetzt ist er zufrieden und viele andere Menschen sind ein Stück einsamer. Herzlichen Glückwunsch zu diesem großartigen Sieg, Herr Professor!“
Frühere Weitergabeermächtigungen mittlerweile gegenstandslos
Der Landesdatenschutzbeauftragte Tobias Keber verteidigte sein Vorgehen. Es sei der gesetzliche Auftrag der Datenschutzbehörden, Beschwerden nachzugehen. Eingaben mit ähnlichem Hintergrund wie bei den Jubilaren in Tübingen gebe es zwei- bis dreimal im Monat.
In alten Gesetzen seien diese Auskünfte und diese Vorgehensweise der Kommunen verankert gewesen. Die Meldebehörde durfte früher Namen, Doktorgrad, Anschriften sowie Tag und Art des Jubiläums von Alters- und Ehejubilaren veröffentlichen. Darauf beruht auch die geltende Tübinger Verwaltungspraxis.
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Diese durften sie auch an Presse und Rundfunk zum Zwecke der Veröffentlichung übermitteln. Mittlerweile sei dem aber nicht mehr so. Die strengeren Vorgaben seien auch sinnvoll, heißt es vonseiten der Datenschützer. Eine Einwilligung sei erforderlich – insbesondere auch angesichts der Risiken möglicher „Schockanrufe“ oder „Enkeltrick“-Betrügereien.
Palmer: Kriminelle durchforsten keine Amtsblätter
Ein Argument, das Palmer nicht gelten lässt. Kriminelle hätten für so etwas andere Quellen als die Amtsblätter von Kommunen. Er hält die Vorgehensweise für unverhältnismäßig:
„Als ob ein 75. Geburtstag ein streng gehütetes Staatsgeheimnis wäre, das nur mit mehrstufiger Sicherheitsfreigabe veröffentlicht werden darf.“
Während die Verwaltung seiner Kommune täglich versuche, echte Probleme zu lösen, „beschäftigt uns nun ein bürokratisches Ritual, das jeder Satire würdig wäre“. Im Unterjesinger Amtsblatt erscheinen ab sofort keine Einträge über Jubiläen mehr.
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