Union mahnt nach geplatzter Richterwahl zur Ruhe – Linke bietet Verhandlungen an

Im Koalitionsstreit um die Neubesetzung am Bundesverfassungsgericht ist keine schnelle Lösung in Sicht. Allerdings wollen die Spitzen von CSU/CDU und SPD den Schaden begrenzen. Bei internen Beratungen sprachen SPD-Vorstand und -Fraktion über die Möglichkeit eines direkten Gesprächs zwischen der SPD nominierten Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf und der Unionsfraktion.
Zuvor war die Wahl von Brosius-Gersdorf und zwei weiteren neuen Richtern für Karlsruhe kurzfristig von der Tagesordnung des Bundestags abgesetzt worden. Seit Tagen hatten sich die schwarz-roten Turbulenzen zum Start der Sommerpause wegen Widerstands in der Unionsfraktion gegen Brosius-Gersdorf abgezeichnet.
SPD-Fraktionsvize Sonja Eichwede begrüßte im Fernsehsender „Welt“, „dass Frau Professorin Frauke Brosius-Gersdorf auch bereit wäre, sich bei der Unionsfraktion persönlich vorzustellen, um eben Zweifel auszuräumen“. SPD-Fraktionschef Matthias Miersch machte deutlich, dass man rasch von Angesicht zu Angesicht sprechen müsse.
CSU-Landesgruppenchef will sich Zeit nehmen
CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann plädierte dafür, nichts zu überstürzen. „Wir stehen als Koalition in der Verantwortung, uns auf ein gemeinsames Kandidaten-Paket für das Bundesverfassungsgericht zu verständigen. Dazu gehört, dass wir uns jetzt Zeit nehmen und uns nicht verrennen“, sagte Hoffmann der dpa.
Zum Vorschlag der SPD, dass Brosius-Gersdorf sich persönlich den Unionsfragen stellt, gab es in der Unionsfraktionsführung zunächst keine direkte Zustimmung. Der Parlamentarische Geschäftsführer Steffen Bilger meint: „Jetzt sollten erst mal alle etwas runterkommen und dann besprechen wir in Ruhe mit der SPD das weitere Verfahren.“
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CDU-Abgeordneter: SPD soll neuen Vorschlag vorlegen
Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“: „Ich bin sicher, dass die Koalitionsfraktionen über den Sommer eine tragfähige Lösung finden werden.“
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Bareiß kritisierte auch die SPD: „Beide Seiten haben sich in den letzten Wochen nicht gerade mit Ruhm bekleckert.“ Dies gilt insbesondere für die Ankündigung der Sozialdemokraten, an der von ihnen nominierten Kandidatin festzuhalten, wie er dem „Tagesspiegel“ sagte: „Klug war dieser Schnellschuss auf alle Fälle nicht. Die SPD belastet damit das weitere Verfahren, und vor allem schadet sie damit auch der Kandidatin selbst.“
Er fordert nun von den Sozialdemokraten, dass sie „einen neuen Vorschlag vorlegen“. Dies gelte schon „deshalb, weil ja nicht nur große Bedenken innerhalb der CDU und CSU gegenüber Frau Brosius-Gersdorf bestehen“, sondern auch „herausragende Vertreter“ der SPD sich „sehr kritisch“ geäußert hätten.
Die SPD will an Brosius-Gersdorf festhalten, wie Eichwede, selbst Richterin, bekräftigte. „Wir haben einen guten Vorschlag, eine herausragende Wissenschaftlerin, die in Karlsruhe sehr gut arbeiten kann.“ Kritikern warf Eichwede vor, Brosius-Gersdorf teils falsch darzustellen. „So kann man in einer Demokratie nicht miteinander umgehen.“
Die Frage der Abtreibung
Vorbehalte gegen die 54-Jährige von konservativer Seite werden unter anderem damit begründet, dass sie in einem Bericht einer Expertenkommission zum Thema ungeborenes Leben und Abreibung geschrieben haben soll: „Es gibt gute Gründe dafür, dass die Menschenwürdegarantie erst ab Geburt gilt.“
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Auch die katholische Kirche übt Kritik an Brosius-Gersdorf. So spricht etwa der Bamberger Erzbischof Herwig Gössl in seiner für Sonntag geplanten Predigt mit Blick auf Brosius-Gersdorfs Haltung zum Abtreibungsrecht von einem „innenpolitischen Skandal“. In dem am Samstag vorgelegten Predigtmanuskript ist in diesem Zusammenhang zudem von einem „Abgrund der Intoleranz und Menschenverachtung“ die Rede.
Ein anderer Punkt ist, dass sie bei Corona für eine Impfpflicht gewesen sei. Dabei hatte die Union sie im Richterwahlausschuss mit nominiert und die Unionsfraktionsführung sich für ihre Wahl ausgesprochen.
Merz-Stellungnahme am Sonntag erwartet
Spahn und Merz (beide CDU) äußerten sich zunächst nicht. Spahn ist erneut Zielscheibe teils heftiger Kritik vor allem der Opposition. Am Sonntag wird Merz im ARD-Sommerinterview zu aktuellen Vorgängen Stellung beziehen.
Auf Unionsseite steht vor allem Fraktionschef Jens Spahn (CDU) im Visier – ihm wird vorgeworfen, dabei versagt zu haben, die Zustimmung seiner Fraktion zu Brosius-Gersdorf sicherzustellen. Besonders scharf ging der frühere Verfassungsrichter und Ex-CDU-Politiker Peter Müller den Fraktionschef an. Der Vorgang zeige „ein eklatantes Führungsversagen der Union“, sagte Müller der „Süddeutschen Zeitung“. „So etwas darf nicht passieren.“
Man könne nicht der SPD zusagen, die Wahl einer Richterkandidatin mitzutragen, „um später festzustellen, dass die notwendigen Mehrheiten in der eigenen Fraktion dafür nicht vorhanden sind“, kritisierte Müller, der von 2011 bis 2023 Richter am Bundesverfassungsgericht und davor Ministerpräsident des Saarlands war.
Zuvor hatte schon die Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann im ZDF gesagt: „Dafür trägt Jens Spahn die Verantwortung.“ Haßelmann bekräftigte die Forderung einer Sondersitzung des Bundestags für einen Neuanlauf kommende Woche. „Wir wollen doch keine Hängepartie über den ganzen Sommer.“
Linke bietet Union Verhandlungen an
Die Linke ist offen für Verhandlungen mit der Union, um in einem neuen Anlauf im Bundestag eine Mehrheit zu organisieren.
„Wir als Linke und ich persönlich sind selbstverständlich bereit, mit der Union zu reden, das hätten wir vor der verpatzten Richterwahl gemacht und auch jetzt“, sagte Janine Wissler, Mitglied im Fraktionsvorstand der Linken, der „Welt am Sonntag“.
Zuvor hatte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) nach der wegen fehlender Stimmen der Union geplatzten Wahl erklärt, er könne Kontakt zur Linken aufnehmen, um eine Lösung zu finden. Eigentlich hatte sich die Union ein Kooperationsverbot mit den Linken auferlegt. Das aber bröckelt schon länger, zu Gunsten der ebenfalls selbst verordneten „Brandmauer“ zur AfD.
Linken-Chefin Ines Schwerdtner sagte am Sonntag der Nachrichtenagentur AFP. „Nach dem beispiellosen Fiasko bei der Richterwahl steht die Union nun in der Pflicht, weiteres Chaos zu verhindern.“ Und auch: „Wenn Dobrindt nach dem Wahlchaos plötzlich mit der Linken reden will, ist das so, als würde einem Bäcker nach dem Backen auffallen, dass er die Hefe vergessen hat“.
Voraussetzung für Gespräche mit der Linken sei eine klare Abgrenzung der Union von der AfD. „Wir machen keine faulen Kompromisse und lassen uns nicht auf schmutzige Deals ein“, sagte Schwerdtner. „Wir wollen Klarheit schaffen – nur mit demokratischen Mehrheiten.“
Hier müsse sich die Union „erstmal selbst ehrlich machen“, forderte Schwerdtner. „Will sie mit Spahn & Co ernsthaft auf Stimmen von der AfD setzen – oder gibt es in der Union noch einen Funken Anstand?“ Ihre Erwartungen an eine klare Abgrenzung der Union von der AfD seien „gering“.
Werden lange Verfahren in Karlsruhe aufgeschoben?
Der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Ferdinand Kirchhof, sieht durch die geplatzte Wahl Folgen für die Arbeit des Gerichts.
Zwar seien dessen Unabhängigkeit und Funktionsfähigkeit nicht gefährdet, weil ausscheidende Richter ihr Amt fortführen müssen, bis ein Nachfolger gewählt ist, wie er bei „ZDFheute live“ sagte. Jedoch werde das Gericht voraussichtlich nur noch kurze Verfahren durchführen können.
Brosius-Gersdorf hat sich bisher nicht geäußert. Aus Teilnehmerkreisen der SPD-Schalte hieß es laut „Tagesspiegel“, die gebürtige Hamburgerin stehe für ein offenes und klares Gespräch mit der Spitze der Union bereit.
Die 16 Richter des Bundesverfassungsgerichts werden jeweils zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat mit jeweils mindestens zwei Dritteln gewählt. Brosius-Gersdorf leitet an der Universität Potsdam den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Verfassungsrecht und Sozialrecht. (dpa/dts/afp/red)
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