Union und SPD sagen Richterwahl ab – wie es jetzt weitergehen könnte

Nach Vorwürfen der Union gegen die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf hat der Bundestag alle für Freitag geplanten Wahlen von Verfassungsrichtern von der Tagesordnung genommen. Die Abgeordneten stimmten am Mittag für einen entsprechenden Antrag mit den Stimmen von Union, SPD, Grünen und Linkspartei.
Die Unionsfraktion hatte am Morgen von der SPD den Verzicht auf die Wahl der Juristin Frauke Brosius-Gersdorf gefordert. Dabei wurde auf Plagiatsvorwürfe verwiesen. Gegen Brosius-Gersdorf gab es schon in den vergangenen Tagen massive Vorbehalte in der Union. Grund war insbesondere ihre Haltung zum Thema Abtreibung.
Die SPD setzte daraufhin eine Sondersitzung der Fraktion an. Die Sitzung im Plenum musste dafür für anderthalb Stunden unterbrochen. Nach Krisengesprächen zwischen den Regierungsfraktionen brachten Union und SPD einen gemeinsamen Antrag ein, um alle drei für Freitag geplanten Richterwahlen von der Tagesordnung zu nehmen. Dies forderten auch die Grünen. Beschlossen wurde dies dann auch mit den Stimmen der Linksfraktion. Die AfD votierte gegen die Verschiebung.
Richterwahl auf der Kippe: Die SPD hat eine Sitzungsunterbrechung beantragt, nachdem die Unionsfraktion ihre Unterstützung für die nominierte SPD-Richterin für das Bundesverfassungsgericht zurückgezogen hat. pic.twitter.com/QfownLvqhZ
— Epoch Times Deutsch (@EpochTimesDE) July 11, 2025
Unionsparlamentsgeschäftsführer Steffen Bilger (CDU) kritisierte zwar eine intensive öffentliche Debatte zu Brosius-Gersdorf, „die zum Teil auch jegliches Maß verloren hat“. Wesentliche Voraussetzung sei aber, dass die Kandidaten für das Verfassungsgericht „über jeden fachlichen Zweifel erhaben sind“. Dies sei aus Sicht der Union „nun nicht mehr vollständig gegeben“.
Die Unionsfraktion sei bereit gewesen, die beiden anderen Richterkandidaten noch am Freitag zu wählen, betonte Bilger. „Leider war es nicht mehr möglich, das heute zu vereinbaren.“
SPD-Parlamentsgeschäftsführer Dirk Wiese sprach von „einer Hetzkampagne“ und einer „Hetzjagd“ gegen Brosius-Gersdorf. Diese sei „eine hoch angesehene Staatsrechtslehrerin, eine hoch angesehene Juristin, die fachlich über jeden Zweifel erhaben ist“.
Scharfe Kritik an CDU/CSU äußerte Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann. „Es ist eine unverantwortliche Situation, in die Sie, Jens Spahn, uns gebracht haben“, richtete sich Haßelmann an den Unionsfraktionschef. „Mit dem heutigen Tag nimmt das Bundesverfassungsgericht erheblichen Schaden.“ Diesen hätten Spahn und Kanzler Friedrich Merz (CDU) zu verantworten.
Auch die Linken sehen vor allem die Union und Spahn für den Eklat verantwortlich. Fraktionschefin Heidi Reichinnek sprach von „haltlosen Vorwürfen“ gegen Brosius-Gersdorf.
Für AfD-Parlamentsgeschäftsführer Bernd Baumann zeigt der Eklat „absolute Instabilität“ der Bundesregierung.
Der Plagiatsverdacht
Brosius-Gersdorf war von der SPD, neben der Münchner Staatsrechtlerin Ann-Katrin Kaufhold, als Kandidatin für das höchste deutsche Gericht vorgeschlagen worden. Die Union hat den Richter am Bundesarbeitsgericht, Günter Spinner, für das Karlsruher Gericht nominiert.
Aus der Unionsfraktion heißt es nun mit Blick auf Frauke Brosius-Gersdorf, der Verdacht wissenschaftlicher Unredlichkeit lasse ihre Eignung für das Amt fraglich erscheinen. Eine künftige Verfassungsrichterin müsse jedoch „über jeden Zweifel erhaben“ sein.
Der Plagiatsverdacht gegen die Juristin betrifft ihre Dissertation aus dem Jahr 1997. Laut dem Plagiatsjäger Dr. Stefan Weber vom „Blog für wissenschaftliche Redlichkeit“ sollen darin mehrere Passagen ohne ausreichende Quellenangabe aus fremden Arbeiten übernommen worden sein. Eine formale Prüfung durch die Universität liegt bislang nicht vor. Brosius-Gersdorf selbst hat sich zu den Anschuldigungen bisher nicht öffentlich geäußert. Der Verdacht wiegt dennoch schwer – insbesondere angesichts der hohen ethischen Anforderungen an künftige Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts.
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Merz noch für Wahl Brosius-Gersdorfs geworben
Noch am Mittwoch hatte Bundeskanzler Merz im Bundestag öffentlich erklärt, er könne Brosius-Gersdorfs Wahl mit seinem Gewissen vereinbaren. Auch weitere Spitzenpolitiker der Union hatten sich zuvor für ihre Wahl ausgesprochen. In den vergangenen Tagen war sie jedoch aus Unionskreisen für frühere juristische Positionierungen – etwa zur Auslegung der Menschenwürde – kritisiert worden.
Offiziell soll die Absetzung der Wahl mit dem Plagiatsverdacht begründet werden, nicht mit den inhaltlichen Aussagen der Kandidatin. Die SPD nahm nach interner Kritik bereits Abstand von ihrem ursprünglichen Plan, Brosius-Gersdorf auch für das Amt der Vizepräsidentin des Gerichts vorzusehen. Damit hatte Unionsfraktionschef Jens Spahn versucht, seine Fraktion für die Wahl Brosius-Gersdorf auf Linie zu bringen.
Die Probeabstimmung heute Morgen dürfte aber deutlich gemacht haben, dass mit der Union eine Mehrheit für die Wahl im Bundestag nicht zu erreichen ist. Nach Epoch-Times-Informationen aus Fraktionskreisen soll der Fraktionschef die Richtung ausgegeben haben, dass die Union sich heute Mittag geschlossen enthalten wird, wenn die SPD die Wahl „durchziehen“ will.
Das ist eine 180-Grad-Wende der Fraktionsspitze von heute Nacht auf heute Morgen.
Wie könnte es nun weitergehen?
Das Bundesverfassungsgericht arbeitet jedenfalls weiter. Solange es keine Nachfolge gibt, bleiben die Richter geschäftsführend im Amt. Die Hälfte von ihnen wird im Bundestag gewählt und die andere Hälfte im Bundesrat. Für die aktuellen drei Neubesetzungen ist der Bundestag zuständig.
Eigentlich soll innerhalb von zwei Monaten nach Ende einer Amtszeit ein Nachfolger gewählt werden. Diese Frist ist in einem Fall bereits abgelaufen – dafür gibt es aber eine Regelung, die hier auch zum Zug kam.
Wenn innerhalb von zwei Monaten niemand gewählt ist, fordert der Wahlausschuss des Bundestags das Bundesverfassungsgericht auf, drei Vorschläge zu machen, die das Parlament aber nicht binden. Geht es um mehrere Positionen, bittet der Ausschuss um zwei Vorschläge pro Position.
Die Amtszeit von Verfassungsrichter Josef Christ, der im Ersten Senat tätig ist, lief Ende November aus, die von Doris König aus dem Zweiten Senat Ende Juni. Eine dritte Stelle soll Ende September frei werden, wenn Ulrich Maidowski (Zweiter Senat) auf eigenen Wunsch ausscheidet.
Die eigentliche Amtszeit von Christ ist also bereits seit mehr als zwei Monaten vorbei. Der Wahlausschuss forderte das Gericht darum schon vor einiger Zeit zu Vorschlägen auf. Am 22. Mai machte dieses schließlich drei Vorschläge. Einen dieser Vorschläge hat die Union übernommen und Günter Spinner vorgeschlagen – zur Wahl kam es aber nun noch nicht.
Für die anderen beiden Posten hat das Gericht noch keine Vorschläge gemacht und ist darum auch noch nicht gebeten worden. Am Freitag war die letzte reguläre Sitzung des Bundestags vor der Sommerpause. Wenn keine Sondersitzung angesetzt wird, müsste der Wahlausschuss das Gericht also noch vor der nächsten Sitzungswoche, die am 8. September beginnt, um Vorschläge für die Nachfolge von König bitten.
Das Gericht selbst ist dabei an keine Frist gebunden – wenn es Vorschläge schickt, gilt aber eine Frist von drei Monaten für den Bundestag. Sollte der Bundestag innerhalb von drei Monaten nach den Vorschlägen des Gerichts immer noch niemanden gewählt haben, könnte der Bundesrat übernehmen. Das sieht der sogenannte Ersatzwahlmechanismus vor, der zum Jahreswechsel in Kraft trat.
Sondersitzung der SPD-Fraktion und Grünen-Fraktion
Für eine erfolgreiche Wahl ist im Bundestag eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden Abgeordneten erforderlich. Union, SPD und Grüne verfügen bei vollständiger Besetzung des Parlaments gemeinsam über sieben Stimmen zu wenig. Das erfordert Zustimmung aus der Opposition – ein sensibles Unterfangen, gerade bei so hochkarätigen Posten wie denen am Bundesverfassungsgericht.
Mit Material von Agenturen
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