Verfassungsschutz prüft immer mehr Förderanträge – Kritik an wachsender „Verdachtskultur“

Zwischen 2020 und 2024 überprüfte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) über 2.500 Förderanträge auf verfassungsschutzrelevante Hinweise. In 8,25 Prozent der Fälle wurden solche Erkenntnisse festgestellt. Linken-Politiker kritisieren die Praxis als „Verdachtskultur“ und Einschränkung der Zivilgesellschaft.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz warnt besonders vor Einflussversuchen auf die Bundestagswahl aus Russland.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz leistet auch anderen Bundesbehörden auf Antrag Amtshilfe, wenn es um externe Bitten nach Fördermitteln durch die Zivilgesellschaft geht. Grundlage ist der umstrittene „Haber-Erlass“.Foto: Oliver Berg/dpa
Von 19. Oktober 2025

In Kürze:

  • Im Auftrag der Behörden: Der Bundesverfassungsschutz gab 2020 bis 2024 gut 2.500-mal Auskunft über das Vorliegen verfassungsschutzrelevanter Erkenntnisse zu Fördergeldantragstellern aus der Zivilgesellschaft.
  • In 8,25 Prozent der Checks lagen entsprechende Erkenntnisse vor.
  • Die Linken-Abgeordnete Bünger kritisiert die Bundesregierung als „Regime der geheimdienstlichen Ausspähung“.
  • BfV-Anfragen durch Bundesbehörden sind seit 2004 per „Haber-Verfahren“ üblich.

 

Mitarbeiter des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) haben zwischen 2020 und 2024 auf Anfrage anderer Bundesbehörden insgesamt 1.250-mal in ihren Datenbanken überprüft, ob eine Nichtregierungsorganisation (NGO) als „verfassungsschutzrelevant“ eingestuft ist. Bei 1.296 Einzelpersonen wurde derselbe Abgleich vorgenommen.

Betroffen waren ausschließlich NGOs oder Personen, die zuvor einen Antrag auf öffentliche Fördermittel gestellt hatten. Das berichtet das „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (RND) unter Berufung auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion der Linken.

Die Auskunftsanfragen erfolgten demnach stets im Rahmen des sogenannten Haber-Verfahrens, eines Angebots des Bundesinnenministeriums (BMI). Dieses soll verhindern, dass Fördermittel aus dem Bundeskanzleramt, aus Bundesministerien oder anderen Bundesbehörden in falsche Hände geraten.

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Anstieg der Fördermittelüberprüfungen

In 210 von insgesamt 2.546 Überprüfungen bestätigte das BfV, dass zu den betreffenden Personen oder NGOs, die um Fördergelder gebeten hatten, „verfassungsschutzrelevante Erkenntnisse“ vorlagen. Das entspricht einem Anteil von 8,25 Prozent. Das BMI sprach in jedem dieser Fälle eine Empfehlung aus, keine finanzielle Förderung zu gewähren. Ob die jeweiligen Ressorts dieser Empfehlung tatsächlich gefolgt sind, ist allerdings unklar.

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In den beiden Jahren zuvor, 2018 und 2019, hatte es laut RND auf Antrag von Ministerien und Behörden lediglich 330 Überprüfungen von Bittstellernamen durch den Verfassungsschutz gegeben. Setzt man diesen Jahresdurchschnitt mit dem der Jahre 2020 bis 2024 in Relation, zeigt sich, dass sich der Überprüfungsbedarf in den letzten Jahren offenbar verdreifacht hat.

Recherchen des RND ergaben zudem, dass eine weitere Anfrage der Linken aus dem Jahr 2018 zeigte, dass zwischen 2004 und 2018 auf Wunsch potenzieller behördlicher Steuergeldgeber lediglich 50 entsprechende Kurzauskünfte vom BfV erteilt wurden. Diese Anfragen bezogen sich ausschließlich auf das Förderprogramm „Demokratie leben!“.

„In der vergangenen Förderperiode wurde das ‚Haber-Verfahren‘ im Bundesprogramm ‚Demokratie leben!‘ nicht durchgängig durchgeführt und statistisch erfasst“, hatte Michael Brand, Parlamentarischer Staatssekretär im Familienministerium, bereits am 18. September in einer schriftlichen Antwort auf eine Frage der Grünen-Abgeordneten Misbah Khan erklärt. (PDF, Seite 56)

Prien verschärft Fördermittelkontrolle bei „Demokratie leben!“

Nach Einschätzung des RND ist für 2025 mit einer weiteren Zunahme der Auskunftsanfragen zu rechnen. Ursache sei die Ankündigung der Bundesfamilienministerin Karin Prien (CDU) vom August 2025, Tausende Förderprojekte aus dem von Vorgängerregierungen übernommenen Programm „Demokratie leben!“ überprüfen zu lassen.

Das Portal „Netzpolitik.org“ hatte Anfang September einen Brief von Prien an die Unionsabgeordneten veröffentlicht (PDF), in dem sich die Ministerin bemühte, deren Kritik an der Erhöhung der Haushaltsmittel für die Förderprojekte auf jährlich gut 200 Millionen Euro zu entkräften.

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Die „rechtssichere“ Evaluierung der „Demokratie leben!“-Projekte sei Teil des aktuellen Koalitionsvertrags, heißt es in dem Schreiben. Für Prien stand bereits damals fest: „Bei ‚Demokratie leben!‘ wird sich Grundlegendes ändern.“

Die frühere Bildungsministerin Schleswig-Holsteins kündigte unter anderem an, „die Pflichten zum Nachweis der korrekten Mittelverwendung“ zu verstärken und bei Verstößen Gelder zurückzufordern. Zudem sollen Projekte, die nicht erfolgreich sind, „gestrichen und nicht mehr gefördert“ werden.

Kritik an BfV-Kurzauskünften und Verdachtskultur

Diese Vorhaben sowie die ohnehin gestiegene Zahl der BfV-Kurzauskünfte zu Fördergeldantragstellern stoßen bei Clara Bünger, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, auf Kritik. Gegenüber dem RND sprach sie von einer „Verdachtskultur“ und einem „Regime der geheimdienstlichen Ausspähung“, das das BMI und „der sogenannte Verfassungsschutz“ in den vergangenen Jahren „gegenüber der Zivilgesellschaft“ etabliert hätten.

Bünger beklagte, dass jede Bundesregierung der Zivilgesellschaft „seit Jahren großes Misstrauen“ entgegengebracht habe. Auch von der „Merz-Union“ sei bekannt, dass sie Initiativen, die sich gegen den Rechtsruck sowie für die Rechte von Geflüchteten und queeren Menschen einsetzen, „misstrauisch bis feindlich“ gegenüberstehe.

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Eine Frage der Epoch Times an die Linksfraktion, inwiefern ihre Abgeordneten planen, die Erkenntnisse aus der Regierungsantwort im Bundestag zu thematisieren, blieb bis zur Veröffentlichung dieses Artikels unbeantwortet. Auch die erbetene Kleine Anfrage und die Regierungsantwort im Original blieben aus. Das BMI schickte trotz Nachfrage bislang keine Stellungnahme zu Büngers Kritik am Bundesverfassungsschutz.

Haber-Verfahren als Prüfgrundlage

Grundlage für die behördliche Praxis der verfassungsschutzrelevanten Überprüfungsanfragen beim BfV ist das sogenannte Haber-Verfahren, auch „Haber-Erlass“ genannt. Nach Angaben des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags wurde dieses Angebot für Fördermittelvergeber 2004 vom BMI eingeführt, damals unter der Leitung von Otto Schily (SPD).

„Ziel des Haber-Verfahrens ist es, durch eine frühzeitige Einbeziehung des BfV missbräuchliche Inanspruchnahme staatlicher Leistungen durch extremistische und terroristische Organisationen, Gruppierungen und Einzelpersonen ‚noch effektiver als bisher auszuschließen‘“, schreibt der Wissenschaftliche Dienst in einer Ausarbeitung aus dem Jahr 2020. (PDF)

Als Quelle berufen sich die Autoren auf ein Rundschreiben aus der Feder der BMI-Staatssekretärin Dr. Emily Haber, die die Bundesministerien im Februar 2017 ausdrücklich auf die Möglichkeit eines BfV-Überprüfungsauftrags hingewiesen hatte. (PDF) Grundlage dafür ist laut Haber der Paragraf 19 (1) des Bundesverfassungsschutzgesetzes.

„Die Entscheidungskompetenz der Ressorts bleibt hiervon jedoch ausdrücklich unberührt“, schrieb Haber. Mit anderen Worten: Es liegt stets im Ermessen der jeweiligen Behörde, ob sie Fördermittel auch dann vergibt, wenn das BfV einen Auftrag mit der Rückmeldung „Verfassungsschutzrelevante Erkenntnisse zu […] liegen vor“ abschließt. Bei weiterreichendem Interesse müssten sich die behördlichen Anfragesteller direkt an das beratende BMI wenden.

Funktionsweise des Haber-Verfahrens

Nach Angaben des Wissenschaftlichen Dienstes wird das BfV nach Anfrage via Haber-Erlass nur insofern aktiv, als es ausschließlich „bereits vorhandene Informationen über die in der Abfrage bezeichnete natürliche oder juristische Person überprüft“. Das BfV nehme ein Auskunftsersuchen über einen Fördermittelantragsteller dagegen nicht zum Anlass, „weitergehende Informationen zu sammeln“. Diese Praxis sei „den Antworten der Bundesregierung auf verschiedene Kleine Anfragen […] zu entnehmen“.

Der Wissenschaftliche Dienst weist zugleich auf das grundsätzliche Dilemma des Haber-Verfahrens hin. Die Pflicht der Fördermittelgeber, sicherzustellen, dass Steuergelder nicht an extremistische oder terroristische Organisationen fließen, stehe im Widerspruch zu dem Recht der Antragsteller auf informationelle Selbstbestimmung.

„Dagegen lässt sich allerdings einwenden, dass es hier letztlich um die Bewilligung einer staatlichen Leistung und damit um den Bereich der Leistungsverwaltung geht“, schreibt der Wissenschaftliche Dienst weiter. „Die Organisationen und Personen setzen selber den Anlass für eine Überprüfung, indem sie sich um eine Förderung bemühen. Dies steht ihnen aber grundsätzlich frei.“



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