„Nachhilfe in Diskussionskultur“ oder „Volksverdummung“?

Die erste Liveausgabe der ARD-Mitmachsendung „Die 100 – was Deutschland bewegt“ hat viel Resonanz erfahren: Die Reaktionen reichten von Lob über Spott bis hin zu Fassungslosigkeit. Besonders der scheinbar regierungstreue Teil von Moderatorin Anna Planken und eine Karte zum Hautfarbenabgleich erregten die Gemüter.
„Deutschlandmaskottchen“ Schlandi, Friedrich Merz als Pappfigur und Moderatorin Anna Planken feierten Deutschland. Foto: Bildschirmfoto/ARD-„Mediathek“
Anlässlich der ersten Liveausgabe der ARD-Sendung „Die 100 – Was Deutschland bewegt“ feierten „Deutschlandmaskottchen“ Schlandi, Friedrich Merz als Pappfigur und Moderatorin Anna Planken die Erfolge Deutschlands.Foto: Bildschirmfoto/ARD-„Mediathek“
Von 11. Dezember 2025

In Kürze:

  • Die ARD-Sendung zum Thema „Werden wir gut regiert?“ löst teils heftige Reaktionen aus.
  • Manche Social-Media-Nutzer bezeichneten Anna Plankens Auftritt, der die Regierungspolitik erklärte, als „Propaganda“.
  • Die Redaktion wählt das Publikum aus dem Bewerberkreis nach „unterschiedlichen Ansichten“ aus.

 

Das ARD-Mitmachformat „Die 100 – Was Deutschland bewegt“ wurde am 8. Dezember 2025 zum ersten Mal live ausgestrahlt. Ort der 60-minütigen Meinungsshow war die Göttinger Lokhalle. Anna Planken, Till Nassif und Ingo Zamperoni führten durch die Sendung. Zwischendurch wurde das 100-köpfige Saalpublikum befragt und durfte über aktuelle politische Themen abstimmen.

Während Nassif für den vorwiegend kritischen Part der Themenaufbereitung zuständig war, bemühte sich Planken, den Gästen vor Ort und den Fernsehzuschauern zur Titelfrage „Werden wir gut regiert?“ ein überzeugtes „Ja!“ zu entlocken.

Milliardenschulden? – „Investitionspaket!“

Kurz nach der Anmoderation hatte Planken eine „Deutschlandparty“ ausgerufen, um unter den Klängen von Stimmungshits die Politik der schwarz-roten Bundesregierung in ein positives Licht zu rücken.

Einige Auszüge aus ihrer Liste von „Super Facts“: Die Bundesrepublik sei trotz aller Krisen immer noch die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, liege bei der Anzahl der Patentanmeldungen auf Rang fünf, und wegen des 500 Milliarden Euro schweren „Investitionspakets“ könnten sich die Deutschen – dank „Macher“ Friedrich Merz – spätestens ab 2026 auf eine bessere Infrastruktur freuen.

Das Wort Schulden blieb unerwähnt. Stattdessen hieß es: „Party on! Deutschland hat Grund zum Feiern!“

Das „500_Milliarden_Investitionspaket!“ der Bundesregierung sollte nach Meinung von WDR-Moderatorin Anna Planken für gute Laune und Zuversicht sorgen. Foto: Bildschirmfoto/ARD-„Mediathek“

Das „500 Milliarden Investitionspaket“ der Bundesregierung sollte nach Meinung von WDR-Moderatorin Anna Planken für gute Laune und Zuversicht unter den Deutschen sorgen. Foto: Bildschirmfoto/ARD-„Mediathek“

Auch um das Know-how bei der Weltraumtechnologie werde man international beneidet, so Planken, und überhaupt seien zwei Drittel der Menschen mit ihrem Wohlstand zufrieden.

Im Hinblick auf die Migrationswende habe Merz „geliefert wie bestellt“. Das zeige sich schon daran, dass die Zahl der Asylbewerber sinke und viele Flüchtlingsbetten mittlerweile abgebaut würden. Das bedeute weniger Stress an den Schulen und auf dem Wohnungsmarkt.

Eine mit schwarz-rot-goldener Perücke ausgestattete Pappfigur in Gestalt des Bundeskanzlers und ein „Deutschlandmaskottchen“ namens „Schlandi“ im Adlerkostüm feierten dazu auf der Bühne mit, La-Ola-Rumpfbeugen inklusive.

Hautfarbe als Kern der Stadtbild-Debatte

Nassif verwies in seiner Rolle als Regierungskritiker auf die steigenden Kosten für Lebensmittel, Energie, Krankenversicherungen, auf die steigenden Insolvenzen und Arbeitslosenzahlen sowie auf das schwächelnde Wirtschaftswachstum.

Besonders viel Zeit nahm er sich allerdings für die Frage, welches Fass Merz mit seiner „Stadtbild“-Aussage aufgemacht hatte. Ein grundsätzliches Problem mit der Migration sah er – wie Planken – allerdings nicht.

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Um seinen Standpunkt zu veranschaulichen, griff Nassif auf eine Taschenlampe und eine Farbskala aus der satirischen US-Zeichentrickserie „Family Guy“ zurück: Ein Mensch mit dunkler Hautfarbe wäre demnach „nicht okay“. Ein junger Mann mit dunklem Teint nahm es mit Humor, beklagte aber auch den „Populismus“ im Internet. Deshalb sei es „in letzter Zeit irgendwie schlimmer“ geworden.

Moderator Till Nassif hielt einem stark pigmentierten jungen Mann eine Hautfarbenskala entgegen: Wäre er im Sinne der Merzschen „Stadtbild“-Debatte noch „okay“? Foto: Bildschirmfoto/ARD-„Mediathek“

„Wie fühlt sich das an?“ Moderator Till Nassif hielt einem jungen Mann mit dunkler Hautfarbe eine Hautfarbenskala entgegen: Wäre er im Sinne der Merzschen „Stadtbild“-Debatte noch „okay“? Foto: Bildschirmfoto/ARD-„Mediathek“

Per Videoeinspieler teilte gleich im Anschluss ein türkischstämmiger Facharzt mit, wie sehr ihn die Worte des Kanzlers verletzt hätten. Tosender Applaus aus dem Publikum erschallte. Nach mahnenden Worten Nassifs, der Bundeskanzler dürfe nicht „mit einem Geraune von einem ‚Stadtbild‘ Millionen Bürger vor den Kopf stoßen“, denn sonst regiere er „nicht gut“, entschieden sich schließlich 79 Prozent des Saalpublikums für die Aussage „Merz spaltet die Gesellschaft“.

Direkt vor der Sendung hatte sich der Kanzler im Ersten den Fragen der Bürger gestellt. Sein Auftritt bei „Arena“ hatte 3,25 Millionen Zuschauer vor die Bildschirme gelockt, bei der nachfolgenden „Die 100“-Ausgabe sahen 2,43 Millionen zu.

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Planken mit Plädoyer für Kompromissfähigkeit

Dann war wieder Planken dran. Sie sei froh, dass Merz nicht wie US-Präsident Donald Trump mit KI-generierten Fäkal-Videofilmen „gegen Andersdenkende“ vorgehe oder wie der argentinische Präsident Javier Milei mit der Kettensäge hantiere, erklärte die Moderatorin. Es sei eben „ein mühseliger Weg, demokratisch zu sein“, sagte Planken, während im Hintergrund Bilder vom nordkoreanischen Parlament zu sehen waren.

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Der deutsche Kanzler hingegen sei „nicht nur bei uns im Sinne des Kompromisses unterwegs“, sondern setze sich auch international für eine „Friedenslösung“ und für „gemeinsame europäische Wege“ ein. Dass Merz beim Rentenpaket mit der Opposition kooperiert habe, sei „lebendige Demokratie“, lobte Planken, ohne den Unvereinbarkeitsbeschluss der Union zu den Linken zu erwähnen.

Am Ende entschieden sich dennoch 74 Prozent des Publikums für die Aussage, dass Deutschland derzeit nicht gut regiert werde. Lediglich 17 Prozent hielten das Gegenteil für richtig. Zu Beginn der Sendung hatte es 76:15 gestanden.

Trotz der überwiegenden Skepsis im Publikum zur Qualität der Regierungsleistung wurden während der Sendung „Die 100“ eine „Deutschlandparty“ gefeiert. Foto: Bildschirmfoto/ARD-„Mediathek“

Trotz der überwiegenden Skepsis im Publikum hinsichtlich der Qualität der Regierungsleistung wurde während der Sendung „Die 100“ eine „Deutschlandparty“ gefeiert. Foto: Bildschirmfoto/ARD-„Mediathek“

Reaktionen: Von Lob bis Häme

Der „Focus“ wertete die Sendung als „60 Minuten geballte Nachhilfe in Diskussionskultur“, mit der die ARD endlich ihrem Bildungsauftrag nachkomme. Dass es während der Debatten im Publikum keine Meinungen gegeben habe, die stark vom Mainstream abwichen, sei lediglich ein „kleiner Makel“.

„Selbst bei der Volksverdummung gibt sich die ARD keine Mühe mehr“, titelte dagegen die „Berliner Zeitung“. Das Format habe so gewirkt, als ob „sich eine Social-Media-Abteilung, eine Eventagentur und die PR-Agentur der Bundesregierung in einem Studio eingeschlossen und ausbaldowert“ hätten, „wie sich aus der Krise dieses Landes eine Motto-Party machen lässt“.

Es sei „absurd“, die „politisch hochkomplexen Entwicklungen auf zwei Sätze“ zu schrumpfen. Der „Hautfarben-Check“ sei der „Tiefpunkt des Abends“ gewesen, meint Kommentatorin Sophie-Marie Schulz:

„Die ARD […] reproduziert rassistische Stereotype, verkauft diese als pädagogisches Experiment und garniert sie mit Betroffenheitsmiene.“

Insgesamt sei die Sendung ein weiterer Beleg dafür, „dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk längst zur Karikatur seiner selbst verkommen“ sei.

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Social Media: Billigste Form der Propaganda?

Der X-Nutzer „horizont“ postete ein Foto des lächelnden Publikums und schrieb dazu in Anspielung auf George Orwells Roman „1984“: „Krieg ist Frieden. Freiheit ist Sklaverei. UNWISSENHEIT IST STÄRKE. #Die100“.

Dr. David Lütke nannte die Sendung auf seinem X-Kanal „die schlimmste Propaganda seit 1989“.

Der Diplom-Betriebswirt und ehemalige Berufssoldat Georg Pazderski twitterte von „ÖRR-Schwachsinn“:

„Mit der armseligen, an DDR-Zeiten erinnernden ARD-Propagandashow ‚Die 100‘ will man zeigen, wie toll es Deutschland geht und wie supertoll MERZ ist.“

Der YouTuber „Andi in Deutschland“, ein TV-Talkshowkommentator mit 87.000 Abonnenten, sprach angesichts von Plankens „Deutschlandparty“ von der „billigsten Form der Propaganda“. Viele Wirtschaftsexperten und Journalisten sähen angesichts des Umgangs mit den Sonderschulden längst einen „Verschiebebahnhof“, der für konsumptive Ausgaben verwendet würde.

NDR: Menschen „mit unterschiedlichen Ansichten“ als Teilnehmer ausgewählt

Der NDR als koproduzierende Anstalt ließ die Frage nach dem Ausmaß der negativen oder positiven Reaktionen auf die Sendung unbeantwortet. „Eine Sendung wie ‚Die 100‘ ist darauf ausgelegt, vielfältige Meinungen abzubilden und eine Debatte anzustoßen“, hieß es vonseiten des NDR-Presseteams.

Bei der Auswahl der 100 Studiogäste achte die Redaktion darauf, dass es eine Mischung gebe. Man frage „im Vorfeld auch nach allgemeinen Ansichten, um sicherzustellen, dass möglichst Menschen mit unterschiedlichen Ansichten zusammenkommen“. Repräsentativ sei die Auswahl nicht.

Anm. d. Red.: Dieser Artikel wurde am 11. Dezember 2025 aktualisiert.



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