Warum der Name „Tag der Deutschen Einheit“ nicht stimmt

In Deutschland zeigen sich tiefe Risse im gesellschaftlichen Gefüge, wie etwa im Wahlergebnis der Bundestagswahl 2025 und bei der Kanzlerwahl sichtbar wurde. Es geht also nicht mehr nur um ein Ost-West-Gefälle seit der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1990.
Mehrere Studien zeigen vielmehr, dass es eine zunehmende Polarisierung der Gesellschaft bei Themen wie Migration, Politik, Klima und Energie gibt. Von „Deutscher Einheit“ kann zunehmend nicht mehr gesprochen werden.
Kaum Ostdeutsche in Führungspositionen
Der gesellschaftliche Graben zeigt sich schon allein daran, dass der Anteil von Ostdeutschen in Führungspositionen bis Ende des Jahres 2024 nur bei 12,1 Prozent lag. Das geht aus aktuellen Zahlen des Elitenmonitors hervor, einer Langzeituntersuchung der Universitäten Leipzig und Jena sowie der Fachhochschule Zittau/Görlitz, wie Staatsministerin Elisabeth Kaiser (SPD), die Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland, Mitte Mai in einer Pressekonferenz mitteilte.
Kaiser, die selbst aus Gera in Thüringen stammt, erklärte: „Während es in Politik und Verwaltung in den vergangenen sieben Jahren einen leichten Anstieg von 19,9 auf 21,4 Prozent gegeben habe, sei in ‚anderen Bereichen‘ sogar ein Rückgang feststellbar.“
Als Beispiel nannte sie die Wirtschaft. Während 2018 noch 5,1 Prozent Ostdeutsche in Top-Managerpositionen vertreten gewesen seien, ist die Zahl im Jahr 2024 auf 4,0 Prozent gesunken. Im kulturellen Bereich, in dem die DDR einst stark aufgestellt war, ist der Rückgang sogar noch deutlicher: von 9,3 Prozent im Jahr 2018 auf 6,8 Prozent im vergangenen Jahr.
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Mit anderen Worten: Westdeutsche besetzen deutschlandweit zu rund 88 Prozent die Führungspositionen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
Ein Grund für dieses Missverhältnis könnte darin bestehen, dass aufgrund der massiven Deindustrialisierung der fünf ostdeutschen Bundesländer nach 1990 der Hauptsitz der meisten Firmen und Behörden in Westdeutschland liegt. Die Personalabteilungen der dort ansässigen Stellen bevorzugen möglicherweise deshalb standortnahe Bewerber.
Steigende Zersplitterung der Gesellschaft
In der Öffentlichkeit wächst die Wahrnehmung, dass die Gesellschaft in Deutschland zunehmend zersplittert sei. Es gibt unterschiedliche Themen, bei denen die Spaltung zutage trete, haben Anne Kantel und Elisabeth Dütschke vom Fraunhofer-Institut festgestellt:
Die Diskussion um Klimawandel und Migration polarisiere zum Beispiel stärker als andere Themen. Das Fraunhofer-Institut finanziert sich aus Einnahmen von Unternehmen und zu zwei Dritteln aus Förderungen des Bundes und der Länder.
Zunehmende Polarisierung im Wahlverhalten
Auch im Wahlverhalten sei „in einigen Teilen der Bevölkerung eine zunehmende Polarisierung entlang einer politischen Links-Rechts-Achse zu beobachten“, haben beide Autorinnen in ihrer Studie, die sie im Mai vorgelegt haben, festgestellt.
„Studien identifizieren zudem ein sinkendes Vertrauen von Teilen der Bevölkerung in politische Institutionen, was mögliche Konsequenzen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie-Akzeptanz haben könnte“, heißt es dort weiter. Dabei werde besonders auf Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland verwiesen. Auch gebe es deutliche unterschiedliche Wahrnehmungen aufgrund unterschiedlicher Einkommen und des sozialen Status. Die Autorinnen nennen das „sozioökonomische Ungleichheiten“.
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Immer noch objektive Unterschiede
Vor drei Jahren stellte der damalige Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider, in einem Artikel auf seiner Homepage fest, dass sich seit der Deutschen Einheit immer noch „die Frage nach der tatsächlichen inneren Verfasstheit der deutschen Gesellschaft mehr denn je“ stelle.
Zwischen Ost- und Westdeutschland bestünden seiner Beobachtung nach „objektive Unterschiede fort“. Als Gründe führte Schneider an: „Eine unterschiedliche Einkommensverteilung, die im Schnitt geringeren Vermögen, prekäre Beschäftigungsverhältnisse und die infrastrukturellen Folgen des andauernden Bevölkerungsverlustes.“
Deshalb sei die Zufriedenheit mit der gesellschaftlichen und politischen Lage in den ostdeutschen Bundesländern „vielerorts geringer ausgeprägt, Politik und politische Akteure werden kritischer und skeptischer beurteilt“ als im Westen. Hinzu komme, dass es in Westdeutschland „häufig“ an Verständnis für die andersartigen Erfahrungen und Prägungen vieler Menschen in Ostdeutschland fehle.
Er ergänzte: „Dies führt zu Missverständnissen, die in gesellschaftlichen Stresssituationen wiederum schnell in pauschalen Urteilen münden können. Die mentalen Unterschiede zwischen Ost und West sind das Ergebnis von gesellschaftlichen, sozialen und ökonomischen Brüchen, von individuellen Erfahrungen, die auch heute noch in den nachfolgenden Generationen fortwirken.“
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Pessimismus über die Zukunft Deutschlands
Noch deutlichere Worte findet der Berliner Verein „Markt- und Sozialforscher“.
In einem Online-Beitrag aus dem Juli dieses Jahres kommt der Verein zu dem Schluss, es herrsche ein weitverbreiteter „Pessimismus über die Zukunft Deutschlands“. Als Grundlage diente den Marktforschern der sogenannte Populismus-Report des „Ipsos“-Marktforschungsinstituts.
Die wichtigste Erkenntnis lautet: „Mehr als drei Viertel der Deutschen (77 Prozent) sind der Ansicht, die Gesellschaft sei zerrüttet. Das sind 10 Prozentpunkte mehr als noch 2023 und sogar 16 Prozentpunkte mehr als 2021. In keinem anderen Staat der Welt ist die Wahrnehmung der gesellschaftlichen Spaltung so stark ausgeprägt wie in Deutschland.“
„Ipsos“ führte seine Befragung nach eigenen Angaben in 31 Ländern durch.
Pessimismus in Deutschland
68 Prozent der Deutschen glauben laut Ipsos außerdem, „dass es mit ihrem Land bergab geht. Das sind 5 Prozentpunkte mehr als noch 2023 und sogar 21 Prozentpunkte mehr als noch 2021“, berichten die Marktforscher.
Allerdings sei die Stimmungslage in anderen europäischen Ländern ähnlich. In Frankreich sähen 75 Prozent pessimistisch in die Zukunft, in den Niederlanden 69 Prozent, in Großbritannien 68 Prozent und in Ungarn und Italien je 66 Prozent. „Am zuversichtlichsten sind im europäischen Vergleich die Menschen in der Schweiz (29 Prozent) und in Polen (36 Prozent)“, gibt Ipsos bekannt.
Auch die traditionell schon immer wahrgenommene Kluft zwischen normalen Bürgern und einer elitären Oberschicht, bestehend aus Managern, Politikern, Journalisten und Universitätseliten, werde von 67 Prozent der Deutschen als trennend angesehen. Diese Wahrnehmung habe sich seit 2023 um 9 Prozent erhöht.
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Demografie: Ostdeutsche nehmen ab
Nach Angaben des Statistischen Bundesamts seien auch „nach mehr als 30 Jahren deutscher Vereinigung typische demografische westdeutsche beziehungsweise ostdeutsche Entwicklungsmuster erkennbar“.
Während die Bevölkerung im Westen Deutschlands von 1990 bis 2022 um 10 Prozent auf 68 Millionen angewachsen sei, sei sie im gleichen Zeitraum im Osten um 15 Prozent auf 12,6 Millionen gesunken.
Außerdem sei die Einwanderung von Ausländern in Westdeutschland signifikant höher als in Ostdeutschland. Im Zeitraum 1991 bis 2023 seien im Osten rund 1,3 Millionen Ausländer angekommen, im Westen hingegen 9,4 Millionen.
War bei der Deutschen Einheit 1990 die Bevölkerung im Osten noch deutlich jünger als im Westen, leben nun im Osten auffallend mehr ältere Menschen. Dennoch gebe es laut Bundesamt im Osten „öfter und jüngere Mütter“ als im Westen.
Evangelische Befragung: 82 Prozent nehmen Spaltung wahr
Die von der evangelischen Kirche getragene Forschungs- und Beratungsstelle „midi“ kommt in diesem Jahr in einer eigenen Gesellschaftsstudie zu den drastischsten Ergebnissen aller Studien über Spaltungstendenzen in Deutschland. Auf Seite 4 wird berichtet, dass 82 Prozent der Bevölkerung „eine Spaltung wahrnehmen“.
„Nach Meinung der meisten verläuft diese zwischen einer kleinen Minderheit und einer großen Mehrheit der Gesellschaft (48 Prozent) und nicht zwischen zwei gleichgroßen Lagern (37 Prozent)“, stellt die evangelische Studie auf Seite 5 fest.
All den genannten Studien, die eine deutliche Wahrnehmung von Spaltungstendenzen in der Bevölkerung nachweisen, hält die Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland, Elisabeth Kaiser (SPD), dieses Jahr entgegen: „Nicht nur die physische Mauer ist verschwunden, sondern auch die Mauer in den Köpfen.“
Auf ihrer Website schreibt sie weiterhin: „Am 3. Oktober 2025 feiern wir 35 Jahre Deutsche Einheit. Ein großer Glücksmoment in der deutschen Geschichte, der ohne den Mut der DDR-Bürgerinnen und Bürger und ihren friedlichen Kampf für Freiheit und Demokratie nicht möglich gewesen wäre.“
Das Jubiläum der Wiedervereinigung sei außerdem ein „Anlass, mit Stolz darauf zu blicken, was das Land bisher schon auf dem Weg des Zusammenwachsens geschafft hat. Die Deutschen leben in einem vereinten Land.“
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