Wer zahlt die Gesundheitskosten von Bürgergeldempfängern?

Die monatlichen Pauschalbeiträge, die die Jobcenter für erwerbsfähige Bürgergeldbezieher an die Krankenversicherungen überweisen, decken nur einen Bruchteil ihrer tatsächlichen Versorgungskosten. Die Kassen verlangen vom Bund noch immer einen vollständigen Ausgleich und nachhaltige Reformen im System. Darlehen seien keine Lösung.
Hausärzte unterstützen System für Patientensteuerung. (Archivbild)
Das Symbolbild zeigt einen Wegweiser zu einer Arztpraxis.Foto: Soeren Stache/dpa-Zentralbild/dpa
Von 22. Juli 2025

Spätestens seit der jüngsten Haushaltsdebatte im Bundestag und dem Auftritt von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) im ARD-Sommerinterview ist die Debatte um die Zukunft des Bürgergelds und der Sozialversicherungssysteme wieder neu entbrannt.

Die monatlichen Pauschalbeiträge in Höhe von 133,17 Euro, die die Bundesagentur für Arbeit (BA) für erwerbsfähige Leistungsberechtigte (ELB) im Bürgergeld derzeit an die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKVen) überweist, decken den Aufwand für die Gesundheitsversorgung der ELB nur zum Teil. Der GKV-Spitzenverband bestätigte auf Anfrage von Epoch Times, dass er mit einer „Lücke von jährlich 10 Milliarden Euro“ rechnet, weil die Pauschalen nicht ausreichen würden.

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Zu den Grundlagen der Schätzung des aktuellen Gesamtdefizits verwies der Spitzenverband auf eine Studie des Berliner IGES Instituts (PDF), die im Mai 2024 rückblickend für das Jahr 2022 angefertigt worden war. Damals betrug die Kostendeckungslücke für das Gesamtjahr „nur“ 9,2 Milliarden Euro. Neuere Zahlen lägen nicht vor.

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Verbände fordern kostendeckende Finanzierung vom Bund

Eine Verbandssprecherin forderte „als Sofortmaßnahme ein Ausgabenmoratorium“: Die gesetzlichen Krankenkassen sollten nicht mehr Geld ausgeben müssen, als sie einnähmen. Ihr Vorschlag:

„Kurzfristig sollte dafür die gesundheitliche Versorgung der Bürgergeldbeziehenden fair und korrekt vollständig aus dem Bundeshaushalt finanziert werden.“

Da selbst dies nicht ausreichen werde, müsse es „nachhaltige Strukturreformen“ geben, „um die überbordende Kostenentwicklung in den Griff zu bekommen“. Ausgabensteigerungen von bis zu 10 Prozent könne „kein Gesundheitssystem der Welt auf Dauer finanzieren“. Ihr Verband appelliere deshalb an die Abgeordneten des Bundestags, die gesetzliche Krankenversicherung „endlich ernsthaft zu stärken“.

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Auf seiner Website plädiert der GKV-Spitzenverband außerdem für eine Dynamisierung der Bundesbeteiligung für versicherungsfremde Leistungen. Auch die Kosten für die Umstrukturierung der Krankenhauslandschaft dürften nach Meinung des Verbands ebenso wenig an den GKVen hängen bleiben wie die „pandemiebedingten Mehrausgaben“ in der Pflege. Darüber hinaus solle der Bund auch die Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige bezahlen.

Ausmaß statistisch nicht erfasst

Die Frage, ob Bürgergeldbezieher im Vergleich zur Bevölkerung ohne Anspruch auf staatliche Gelder durchschnittlich höhere Behandlungs- oder Medikamentenkosten verursachen, konnte die GKV-Verbandssprecherin nicht beantworten: Es werde unter den verschiedenen Versichertengruppen nicht statistisch erfasst, wie häufig oder wie intensiv GKV-Leistungen in Anspruch genommen würden.

Dies sei auf eine bewusste Entscheidung von Gesetz- und Verordnungsgeber zurückzuführen, um den Charakter der solidarischen Krankenversicherung zu wahren.

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Darlehen als „Nothilfen“, bis „Strukturreformen“ greifen

Die Verbandssprecherin lehnte die aktuellen Pläne des Bundes ab, den Kassen mit Darlehen unter die Arme zu greifen: Das würde die Probleme nur kurzfristig verbergen.

Das sieht offenbar auch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) so: Mit Darlehen würden die Probleme der gesetzlichen Kassen und der Pflegeversicherung „nur aufgeschoben, aber nicht aufgehoben“, räumte BMG-Chefin Nina Warken (CDU) bereits Ende Juni auf der BMG-Website ein. Es seien deshalb zwei Kommissionen eingerichtet worden, die „mittel- und langfristige Lösungen“ für Strukturreformen erarbeiten sollen. „Das gilt auch für die Pflege“, sagte Warken bei ihrer Rede am 10. Juli im Plenarsaal des Bundestags. Abermalige Beitragserhöhungen seien aber nicht zu verhindern (Video auf YouTube).

Die Darlehen für GKVen seien als „Nothilfen“ gedacht, so Warken auf der BMG-Website: Zwei neue Darlehen und die spätere Rückzahlung eines alten Darlehens sollen dafür sorgen, die GKVen zumindest übergangsweise um 5,6 Milliarden Euro zu entlasten. Ab 2029 müsse aber „schrittweise“ zurückgezahlt werden.

Als eine weitere Entlastung betrachtet Warken die „Finanzierung des Krankenhaustransformationsfonds aus dem Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität“. Diese werde den GKVen zehn Jahre lang jährlich 2,5 Milliarden Euro ersparen.

Reformen „unstrittig“

Ein BMG-Sprecher bestätigte auf Nachfrage von Epoch Times, dass „allein für die Behandlung von Bürgergeldempfängern“ jedes Jahr über 10 Milliarden Euro fehlten:

Dass wir grundlegende Reformen benötigen, um die Krankenversicherung zu stabilisieren, ist unstrittig. Das basiert auf der Beobachtung, dass die Schere zwischen Ausgaben und Einnahmen immer mehr auseinandergeht.“

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AOK, TK und Ersatzkassen: Staatliche Kredite sind keine Lösung

In den Augen von Carola Reimann, der Vorstandsvorsitzenden des AOK-Bundesverbandes, sehen die BMG-Pläne „eher danach aus, als wolle man GKV und die SPV [Soziale Pflegeversicherung, Anmerkung der Redaktion] in die Schulden treiben, statt die Beitragssätze nachhaltig zu stabilisieren“, so Reimann auf der AOK-Website.

Jens Baas, der Vorstandschef der mit gut 12 Millionen Versicherten größten deutschen KV „Techniker Krankenkasse“ nannte die BMG-Vorhaben ein „wichtiges Zeichen“. Dennoch stünden GKV und SPV „beide finanziell mit dem Rücken zur Wand“, obwohl die Beiträge erst zum Jahreswechsel erhöht worden seien. Baas weiter:

Angesichts der Ausgabendynamik sind die Darlehen nur ein Tropfen auf den heißen Stein und verschieben die Probleme, statt sie zu lösen. In der Krankenversicherung muss es darum gehen, die explodierenden Ausgaben zu dämpfen.“

Auch der Verband der Ersatzkassen (vdek), die Interessenvertretung sechs großer GKVen, glaubt nicht daran, dass Bundesdarlehen „in Höhe von je 2,3 Milliarden Euro für 2025 und 2026“ die Probleme lösen werden. Die geliehenen Gelder müssten ja irgendwann aus Beiträgen zurückgezahlt werden.

Dasselbe gilt laut vdek für Kredite zum Ausgleich des Pflegeversicherungsdefizits, die der Bund in Höhe von 0,5 Milliarden für das Jahr 2025 beziehungsweise von 1,5 Milliarden Euro für 2026 anvisiert habe. Nach Angaben des vdek beträgt die Monatspauschale für die obligatorische Pflegeversicherung, die die BA ebenfalls an die GKVen abführt, seit dem 1. Januar bundesweit einheitlich 30,55 Euro.

Private Krankenversicherungen mit ähnlichen Problemen

Bei den privaten Krankenversicherungen zeigt sich ein ähnliches Grundszenario, wenn auch in geringerem Maßstab. Nach Angaben des Verbands vom April 2025 hatte es Ende 2023 unter den 8,7 Millionen Privatversicherten „hochgerechnet“ insgesamt rund 35.000 Privatversicherte im günstigsten Basistarif gegeben.

„Um eine finanzielle Überlastung der Versicherten zu vermeiden, wurde der Beitrag im Basistarif grundsätzlich auf den Höchstbeitrag in der GKV begrenzt“, nämlich auf 942,64  Euro, schrieb ein PKV-Sprecher auf Anfrage der Epoch Times.

Rund 21.000 Versicherte in diesem Basistarif hätten „wegen Hilfebedürftigkeit“ eine Halbierung ihres Beitrags von ihrer PKV erhalten. Die Kosten dafür trage die Gemeinschaft der Privatversicherten. „Der weitaus größte Teil der Entlastungen für Hilfebedürftige in der PKV wird also durch die Solidargemeinschaft der 8,7 Millionen Privatversicherten erbracht“, heißt es auf der PKV-Website.

„Das bedeutet jedoch nicht, dass die Betroffenen die andere Hälfte des Beitrags zahlen“, betonte der Sprecher. „Besteht nach der Halbierung weiterhin eine Hilfebedürftigkeit, erhalten die Betroffenen einen Zuschuss vom Grundsicherungsträger, der die Hilfebedürftigkeit verhindert und ggf. den Beitrag komplett deckt“. Die genaue Höhe des sozialbehördlichen Zuschusses sei „davon abhängig, ab welchem Zuschuss keine Hilfebedürftigkeit mehr besteht“.

Laut PKV-Website hatte die Sozialbehörde den halbierten Beitrag von 471,32 Euro der hilfsbedürftigen Basistarif-Versicherten in weniger als 10 Prozent der Fälle komplett übernommen. Weitere 25 Prozent hätten einen anteiligen, also geringeren Zuschuss von Behördenseite erhalten.

Laut PKV-Sprecher liegen seinem Spitzenverband genauere „Branchendaten“ über den Durchschnitt des anteiligen Zuschusses nicht vor. Auch über die Differenz zwischen Ausgaben und Einnahmen bei Basistarifversicherten konnte er keine Angaben machen. Er wies jedoch darauf hin, dass die Prämienhöhe in der PKV grundsätzlich „vom Umfang der versicherten Leistungen (Leistungsausgaben) abhängig“ sei: Basistarifversicherte erhielten im Krankheitsfall also zuweilen kleinere Leistungspakete als Vollzahler.

Auch der PKV-Verband formuliert auf seiner Website Forderungen an die Politik:

„Aus PKV-Sicht ist es eine staatliche Aufgabe, das Existenzminimum von bedürftigen Menschen zu sichern. Die Kosten für die Beiträge von Bürgergeld-Empfängern müssen daher aus dem Bundeshaushalt erstattet werden. Das gleiche gilt entsprechend für andere versicherungsfremde Leistungen wie etwa die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige.“

Anm. d. Red.: Dieser Artikel wurde am 24. Juli 2025 aktualisiert, um eine Korrektur des PKV-Sprechers zu berücksichtigen.



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