Wie verteidigungsfähig ist Deutschland wirklich?

Noch kurz vor Toresschluss hatte der eigentlich abgewählte Bundestag die Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben gelockert. Für Ausgaben rund um die Bundeswehr gibt es in den kommenden Jahren nun keine Kreditobergrenze mehr. Die Befürworter dieses Schrittes wurden im Vorfeld der Entscheidung nicht müde zu betonen, dass für die Sicherheit Deutschlands kein Weg an der Aufrüstung vorbeiführe.
Internationale Lage macht Mehrausgaben notwendig
So sagte CDU-Chef Friedrich Merz in der Debatte zur Abstimmung, dass die deutsche Verteidigungsfähigkeit von der Aufhebung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben abhängt. „Unsere Verbündeten in der NATO und der Europäischen Union schauen heute ebenso auf uns wie unsere Gegner und wie die Feinde unserer demokratischen und regelbasierten Ordnung“, so Merz am 18. März.
Auch SPD-Chef Lars Klingbeil verwies in der Debatte damals auf die Notwendigkeit, mehr Geld für Verteidigung auszugeben. „Die internationale Lage hat sich in den vergangenen Wochen noch einmal dramatisch verschärft“, so Klingbeil. Als Beispiele nannte der SPD-Politiker die Rede des amerikanischen Vizepräsidenten JD Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz und die Ankündigung der USA, die militärische Unterstützung für die Ukraine zu streichen. „Wir müssen unsere eigene Verteidigungsfähigkeit so stärken, dass wir nie wieder einen Krieg führen müssen. Wir nicht, aber auch unsere europäischen Nachbarn nicht“, machte Klingbeil deutlich.
Angesichts dieser Äußerungen aus der Union und der SPD stellt sich die Frage nach dem Status quo der Bundeswehr. Wie sind der Zustand und die Verteidigungsfähigkeit von Heer, Marine und Luftwaffe in Deutschland?
Die aktuellen „Kennzahlen zur militärischen Stärke von Deutschland“ sind bei „Statista“ abrufbar. Laut der Website Globalfirepower.com belegt die Bundeswehr damit im aktuellen Global Firepower Index Platz 14 unter den schlagkräftigsten Armeen der Welt. Der Kernauftrag der Bundeswehr ist in Artikel 87a des Grundgesetzes geregelt. Dort heißt es:
Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.“
Die Verteidigung war von den Vätern des Grundgesetzes ursprünglich nur auf die Landesverteidigung ausgerichtet. Mit dem Beitritt Deutschlands zum Verteidigungsbündnis NATO am 5. Mai 1955 kam dann noch die Bündnisverteidigung hinzu.
Zeitweilig zweitgrößte Armee in Mitteleuropa
Im Kalten Krieg bedeutete das, einen unmittelbaren Angriff auf die Bundesrepublik Deutschland und ihre NATO-Partner abzuwehren. Hier ging es also um den Schutz des Bündnisgebietes und seiner Bevölkerung vor einem potenziellen Aggressor.
Der Anteil der Verteidigungsausgaben stieg damals laut „Statista“ von 3,41 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Jahr 1955 auf den bisherigen Höchststand von 4,9 Prozent im Jahr 1963.
In den 1980er-Jahren lag der materielle und personelle Beitrag der Bundeswehr zu den Landstreitkräften und zur Luftverteidigung der NATO in Mitteleuropa bei rund 50 Prozent. Nach den USA war die Bundeswehr damals die zweitgrößte westeuropäische Armee – weit vor den britischen und den französischen Truppen. In Friedenszeiten verfügte die Bundeswehr damals zeitweilig über fast 495.000 Soldaten. Im Krieg wären es durch die Einberufung von Reservisten rund 1,3 Millionen Soldaten gewesen.
Verteidigungsausgaben massiv zurückgefahren
Nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime im Ostblock und der Auflösung des Warschauer Pakts als Gegenbündnis zur NATO trat das Thema Landes- und Bündnisverteidigung in Deutschland in den Hintergrund.
Die Verteidigungsausgaben wurden stark zurückgefahren. Der absolute Tiefstand wurde im Jahr 2005 mit 1,07 Prozent erreicht. Im Schnitt lagen die Ausgaben bei rund 1,2 Prozent des BIP. Dies hat Auswirkungen auf den Zustand der Truppe.
Ein Blick in den aktuellen „Jahresbericht der Wehrbeauftragten“ macht deutlich, dass sich die Bundeswehr in keinem guten Zustand befindet. Mehr Soldatinnen und Soldaten, bessere Kasernen und eine bessere Ausrüstung – so lassen sich die von der Wehrbeauftragten Eva Högl (SPD) im Bericht verfassten Forderungen zusammenfassen. Diese Forderungen sind auf den ersten Blick nicht neu. Auch in den Berichten der vergangenen Jahre wurden diese Punkte immer wieder angemahnt. In den Griff bekommt die Bundeswehr ihre Herausforderungen aber offenbar nicht.
Es habe zwar in den zurückliegenden Jahren „enorme Anstrengungen“ gegeben, hält der Bericht der Bundeswehr zugute. Allerdings seien „die Ergebnisse jedoch (noch) nicht überall sichtbar, spürbar oder messbar“, heißt es dort weiter. Besorgniserregend, so Högl, sei hauptsächlich der Personalstand der Bundeswehr.
Personalstand immer mehr das Hauptproblem
Das scheint tatsächlich ein immer größeres Problem zu werden. Schon ein Jahr zuvor hatte Högl das Personalproblem neben Material- und Ausrüstungsproblemen auf einer Pressekonferenz thematisiert. „Ich komme nicht umhin festzuhalten, dass auch im zweiten Jahr der Zeitenwende substanzielle Verbesserungen bei Personal, Material und Infrastruktur auf sich warten lassen“, sagte die Wehrbeauftragte damals. Alle drei Bereiche müssten im Gleichklang vorangebracht werden. „Daran muss weiter mit Hochdruck gearbeitet werden.“
Auffallend ist allerdings, dass sich der jüngste Wehrbericht nicht in erster Linie am materiellen Zustand der Truppe abarbeitet, sondern dieses Mal die Personalsorgen in den Mittelpunkt rücken. Unumwunden schreibt Högl in ihrem Bericht, dass es zu wenige Soldatinnen und Soldaten gibt. Zudem seien die, die es gibt, zu alt. Im Jahr 2021 lag das Durchschnittsalter bei 33,1 Jahren. Heute liegt es bei 34 Jahren.
Statt wie ursprünglich geplant, im vergangenen Jahr auf eine Personalstärke von 181.807 anzuwachsen, ist die Stärke der Bundeswehr auf 180.976 gefallen. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte 2023 das Ziel ausgegeben, bis 2031 auf 203.000 Soldaten anzuwachsen. Davon ist die Bundeswehr im Moment weiter entfernt als je zuvor.
Brisant an diesem Zustand ist, dass die Bemühungen der vergangenen Jahre, auf dem Arbeitsmarkt Freiwillige für den Dienst in der Truppe zu gewinnen, offenbar zu keinem Nachwuchsschub geführt haben. Etwa ein Fünftel aller Dienstposten bei Unteroffizieren konnte laut dem Wehrbericht im vergangenen Jahr nicht besetzt werden.
Högl betont im Bericht weiter, sie halte „ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr für Frauen und Männer für sinnvoll“. Das kann man leicht so interpretieren, dass es für die Bundeswehr schwierig wird, ohne Pflicht, Soldaten zu finden. Weiter heißt es dort, dass man eine Wehrerfassung benötige, um zu wissen, wen man in welchem Jahrgang ansprechen könne – unabhängig davon, ob als Freiwillige oder als zukünftige Rekruten. Das hatte der Verteidigungsminister schon im Jahr 2024 vorgeschlagen, das Gesetz dazu wurde aber nach dem Bruch der Ampelkoalition nicht mehr verabschiedet.
Nur jeder sechste Deutsche würde Land verteidigen
Neben dem Problem, Soldaten für die Bundeswehr zu finden, steht Deutschland im Hinblick auf die Wehrbereitschaft vor einem weit größeren Problem. Das zeigen aktuelle Zahlen einer Forsa-Umfrage im Auftrag von RTL und ntv. Auf die Frage, ob sie bereit seien, Deutschland notfalls mit der Waffe in der Hand zu verteidigen, sagten nur 17 Prozent der Befragten, dass sie „auf jeden Fall“ bereit wären. Noch im Februar 2024 waren es 19 Prozent der Befragten, die diese Bereitschaft zeigten.
Eine Mehrheit von 60 Prozent der Befragten wäre derzeit „wahrscheinlich nicht“ oder „auf keinen Fall“ bereit, Deutschland im Falle eines militärischen Angriffs mit der Waffe in der Hand zu verteidigen. 19 Prozent der Befragten würden das nach eigenen Angaben „wahrscheinlich“ tun.
Einen Unterschied in der Wehrbereitschaft gibt es laut der Umfrage auch zwischen Frauen und Männern. So wären 27 Prozent der Männer bereit, im Falle eines Angriffs Deutschland „auf jeden Fall“ mit der Waffe in der Hand zu verteidigen. Das Gleiche würden allerdings nur acht Prozent der Frauen machen. 73 Prozent der Frauen wären dazu „wahrscheinlich nicht“ oder „auf keinen Fall“ bereit. Bei den Männern sind es 46 Prozent.
Die Kombination aus einer zurückhaltenden gesellschaftlichen Wehrbereitschaft und den bestehenden Defiziten in der Ausstattung und Personalstärke der Bundeswehr stellt eine erhebliche Herausforderung für die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands dar. Es bedarf nicht nur finanzieller Investitionen, sondern auch einer gesellschaftlichen Debatte über die Rolle und Bedeutung der Landesverteidigung, um die Bundeswehr zukunftsfähig aufzustellen und die Sicherheit des Landes zu gewährleisten. Die Lockerung der Schuldenbremse bei Verteidigungsausgaben löst daher nicht das gesamte Problem.
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