Richtungsstreit statt Aufbruch: Kann diese Koalition halten?

Nach über drei Jahren Dauerstreit in der Ampel sollte alles anders werden. Die neue schwarz-rote Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD sollte das Land nach Jahren der Unsicherheit und des Parteiengezänks wieder auf Kurs bringen. Doch kaum im Amt, zeigen sich tiefe Gräben zwischen den Koalitionspartnern. Die Streitpunkte sind zahlreich, die Tonlage ist scharf – und die Frage, ob diese Regierung tatsächlich vier Jahre Bestand haben kann, drängt sich durchaus auf.
Die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP war im November vergangenen Jahres nach monatelangem Streit über die Haushaltsführung, die Migrationspolitik und die Energieversorgung zerbrochen. Die SPD hatte sich mit ihrer Forderung nach einer stärkeren sozialen Ausrichtung und einer Abkehr von der Schuldenbremse nicht durchsetzen können, während die FDP auf strikte Haushaltsdisziplin pochte und die Grünen auf ambitionierte Klimaziele bestanden. Der Rücktritt von Bundeskanzler Olaf Scholz markierte das Ende der Koalition und führte zu Neuwahlen, aus denen CDU/CSU als stärkste Kraft hervorging.
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Die Bildung einer neuen Regierung gestaltete sich schwierig. Nach zähen Verhandlungen einigten sich CDU/CSU und SPD auf eine Große Koalition – eine Konstellation, die viele Beobachter als „Notlösung“ bezeichneten. Die Erwartungen an die neue Regierung waren hoch, doch die ersten Wochen im Amt sind von heftigen Auseinandersetzungen geprägt.
Bürgergeld: Symbol für den Richtungsstreit
Einer der zentralen Streitpunkte in der neuen schwarz-roten Bundesregierung ist das Bürgergeld, das von der vorherigen Ampelkoalition eingeführt wurde und das bisherige Hartz-IV-System ablöste. Die Union hatte im Wahlkampf angekündigt, das Bürgergeld abzuschaffen und durch eine neue, strengere Grundsicherung zu ersetzen. Im Koalitionsvertrag hatten sich die Regierungspartner darauf verständigt, das Bürgergeld zu einer neuen „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ umzubauen. Vermittlung in Arbeit soll bei arbeitsfähigen Menschen Vorrang haben und erleichtert werden. Außerdem sollen Mitwirkungspflichten und Sanktionen verschärft werden.
In einem Interview mit dem „Stern“ sprach CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann davon, dass die geplante Bürgergeldreform „extrem wichtig für die Millionen Menschen, die arbeiten gehen und das Sozialsystem finanzieren“ sei. „Diese Reform ist die wichtigste Sozialstaatsreform seit der Agenda 2010. Da müssen wir liefern“, so Linnemann.
Es brauche ein komplettes Umdenken, so der CDU-Politiker. Linnemann weiter:
Bei jemandem, der arbeiten kann und ein Jobangebot mehrfach ablehnt, muss der Staat davon ausgehen, dass er offenkundig nicht bedürftig ist. Dann muss das Bürgergeld ganz gestrichen werden.“
Die SPD hingegen verteidigt das Bürgergeld. Arbeitsministerin Bärbel Bas betonte beim „Tag der Jobcenter“ am 17. Juni 2025 in Berlin, laut mehrerer übereinstimmender Medienberichte, dass Personen, die Bürgergeld beziehen und unentschuldigt Termine im Jobcenter versäumen, „spürbare Konsequenzen“ zu erwarten hätten. Sie zeigte sich engagiert, insbesondere auch beim Thema Sozialleistungsbetrug, und unterstrich, dass das Bürgergeld auf Mitwirkung, Qualifizierung und individuelle Förderung setze. Die SPD will das Bürgergeld grundsätzlich beibehalten, lehnt aber Missbrauch ab und ist offen für gezielte Verschärfungen bei Sanktionen, ohne jedoch eine komplette Abschaffung zu unterstützen.
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Die Reform der Grundsicherung, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, werde laut Bas ein „politisch brisantes Thema“ bleiben. Sie habe die Zielsetzung: weniger Polarisierung, mehr Pragmatismus, mehr Sachlichkeit. Die SPD-Ministerin spricht von „Nachbessern“ und „Weiterentwickeln“. CDU-Generalsekretär Linnemann hingegen sprach gegenüber der „Deutschen Presse-Agentur“ (dpa) davon:
Wir müssen wirklich an die Substanz des Systems gehen.“
Die Debatte um das Bürgergeld ist damit mehr als ein Streit um ein sozialpolitisches Detail – sie steht sinnbildlich für den grundlegenden Richtungsstreit in der Koalition: Soll der Sozialstaat weiter ausgebaut und modernisiert werden, oder ist eine Rückbesinnung auf Eigenverantwortung und Leistungsgerechtigkeit nötig? Während die Union eine strengere Linie mit klaren Sanktionen und weniger großzügigen Leistungen fordert, sieht die SPD im Bürgergeld ein Instrument, das Menschen in schwierigen Lebenslagen unterstützt und gleichzeitig auf Qualifizierung setzt.
Rente: Die nächste Baustelle
Die SPD, allen voran Arbeitsministerin Bärbel Bas, fordert tiefgreifende Reformen. Bas plädiert dafür, dass Beamte, Selbstständige und Abgeordnete künftig Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung leisten sollten – „Wir müssen die Einnahmen verbessern“, sagte sie im Interview mit der „Berliner Morgenpost“. Zudem spricht sie sich für eine Rentenkommission aus, die umfassende Reformvorschläge erarbeiten soll.
Die Union zeigt sich dagegen deutlich abwehrender: Kanzleramtschef Thorsten Frei bezeichnete den Bas-Vorschlag als nicht durch den Koalitionsvertrag gedeckt und kritisierte ihn in der ARD-Sendung „Carmen Miosga“ als untauglich. „Das ist nicht Common Sense in der Koalition“, so der CDU-Politiker wortwörtlich.
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Auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann stellte sich unmissverständlich gegen die Pläne von Bas. „Die Einbeziehung von Selbstständigen und Beamten in die Rente löst weder die Probleme in der Rentenversicherung, noch ist das vom Koalitionsvertrag gedeckt. Frau Bas sollte nicht versuchen, der Renten-Kommission alte SPD-Ideen als zukünftiges Ergebnis vorzuschreiben“, sagte Hoffmann der „Bild“ am Sonntag.
Die Union setzt vielmehr auf steuerliche Anreize: So soll die Aktivrente ermöglichen, dass Rentner bis zu 2.000 Euro pro Monat steuerfrei hinzuverdienen dürfen, ohne Beitragspflicht.
Die Finanzierung der Renten bleibt ein offener Streitpunkt. Während die SPD auf eine stärkere steuerliche Finanzierung setzt, pocht die Union auf Beitragsstabilität und eine Begrenzung der Leistungen.
Migration: Ein Dauerbrenner mit Sprengkraft
Die Migrationspolitik war bereits in der Ampel ein Reizthema – und bleibt es auch in der neuen Koalition. Union und SPD haben sich zwar im Koalitionsvertrag auf Verschärfungen verständigt, etwa auf die Möglichkeit, Menschen an den Grenzen zurückzuweisen und die beschleunigte Einbürgerung wieder abzuschaffen. Doch wie weit die Maßnahmen gehen sollen, ist weiterhin umstritten.
Die Union fordert weitergehende Maßnahmen, darunter die Durchführung von Asylverfahren in Drittstaaten und eine deutliche Begrenzung der Zuwanderung. CDU-Innenpolitiker Alexander Throm erklärte dazu in einer Bundestagsdebatte im Juni:
Deutschland ist seit Jahren Hauptzielland illegaler Migration, und wir werden das beenden, ja, auch durch Grenzkontrollen und Zurückweisung. Wir müssen die Magnetwirkung Deutschlands in Europa reduzieren. Auch alle unsere Nachbarstaaten sind froh darüber, dass es endlich eine andere, eine konsequentere Haltung in der Migrationspolitik in Deutschland gibt.“
Die SPD warnt hingegen vor Symbolpolitik und setzt auf Integration und gezielte Steuerung der Migration. Das europäische Recht gelte uneingeschränkt, „ungeachtet der Tatsache, dass sich viele nicht daran halten“, sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Fiedler in der gleichen Bundestagsdebatte. Fiedler sah zugleich auch Diskussionsbedarf innerhalb der Koalition. Er habe „Bauchschmerzen damit, wenn wir in die Welt ausstrahlen, hier herrsche eine Notlage“. Er wolle nicht abstreiten, dass es in den Kommunen große Probleme gebe, aber mit dem Begriff der Notlage „sollten wir etwas zögerlich sein“.
Das SPD-Manifest zum Russland-Dialog: Neue Unruhe in der Koalition
Für zusätzliche Spannungen sorgt ein Manifest von über 100 SPD-nahen Persönlichkeiten, das eine diplomatische Wende im Umgang mit Russland fordert. Die Unterzeichner, unter ihnen der frühere SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich und der Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner, verlangen Gespräche mit Präsident Putin und einen Stopp der Stationierung neuer US-Raketen in Deutschland. Sie argumentieren, dass nur ein Dialog mit Russland den Krieg in der Ukraine beenden könne.
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Führende SPD-Parteimitglieder distanzierten sich jedoch scharf von dem Papier. „Das ist legitim, auch wenn ich zentrale Grundannahmen ausdrücklich nicht teile“, sagte SPD-Fraktionschef Matthias Miersch im Interview mit dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. Miersch sagte weiter: „Natürlich bleibt Diplomatie oberstes Gebot. Aber wir müssen auch ehrlich sagen: Viele Gesprächsangebote – auch vom Bundeskanzler Olaf Scholz – sind ausgeschlagen worden. Wladimir Putin lässt bislang nicht mit sich reden.“
Der CDU-Sicherheitspolitiker Roderich Kiesewetter nannte das „Manifest“ ungeheuerlich. „Damit will man die Ukraine der Vernichtungsabsicht Russlands ausliefern und uns mit“, schrieb der Vizevorsitzende des Geheimdienste-Kontrollgremiums des Bundestags auf der Plattform X. Wann werde begriffen, so Kiesewetter, dass Russlands Präsident Wladimir Putin nicht verhandeln und keinen Frieden wolle. Russland müsse vielmehr mit mehr militärischer Unterstützung für die Ukraine und stärkeren Sanktionen unter Druck gesetzt werden.
Scharfe Kritik übte auch der Chef des CDU-Arbeitnehmerflügels, Dennis Radtke, am Manifest aus der SPD. „Die Lernkurve der SPD in Sachen Russlandpolitik erinnert an einen Hirntoten“, sagte Radtke dem Handelsblatt. Wer drei Jahre nach Kriegsbeginn immer noch nicht verstanden habe, dass Putin Schwäche als Einladung verstehe, immer weiterzugehen, der sei „mindestens gefährlich naiv“.
Streitpunkte sind tiefgreifend
Historisch galten schwarz-rote Koalitionen oft als Notlösungen – aber sie waren meist stabil. Doch die aktuellen Streitpunkte sind tiefgreifend und betreffen zentrale Fragen der Sozial- und Migrationspolitik. Die Konflikte um Bürgergeld, Rente und Migration könnten die Koalition auf eine harte Probe stellen.
Die kommenden Monate werden zeigen, ob Union und SPD den Spagat zwischen Profilierung und Kompromissbereitschaft meistern. Sollte es nicht gelingen, zentrale Streitpunkte zu lösen, droht der Koalition das gleiche Schicksal wie der Ampel – ein vorzeitiges Scheitern.
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