Vorschlag mit Sprengkraft: Boomer-Soli entfacht hitzige Debatte

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat im Juli einen Vorschlag für eine befristete Sonderabgabe auf Alterseinkünfte veröffentlicht, der in Fachkreisen und politischen Gremien kontrovers diskutiert wird: den sogenannten „Boomer-Soli“.
Der „Boomer-Soli“ ist ein vom DIW vorgeschlagener, befristeter Solidaritätsbeitrag von 10 Prozent auf alle Alterseinkünfte oberhalb eines Freibetrags von etwa 1.030 Euro im Monat. Ziel ist es, ohne zusätzliche Belastung der jüngeren Generation einkommensschwache Rentnerhaushalte zu entlasten und Altersarmut zu reduzieren. Die Abgabe würde gut situierte ältere Menschen moderat belasten – insbesondere solche mit hohen Betriebsrenten, Pensionen oder Vermögenseinkünften.
Das unterste Einkommensquintil – also das Fünftel der Rentnerhaushalte mit den niedrigsten Einkommen – würde demnach rund 10 bis 11 Prozent mehr Einkommen erzielen. Das oberste Quintil, also die obersten 20 Prozent der Einkommensverteilung, müsste mit einem Rückgang von etwa 3 bis 4 Prozent rechnen. Der Begriff „Quintil“ bezeichnet dabei eine statistische Einteilung der Bevölkerung in fünf gleich große Gruppen nach Einkommenshöhe. Die Armutsrisikoquote im Alter könnte dadurch von rund 18 auf knapp 14 Prozent sinken.
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Im Unterschied zu einer Umverteilung innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung würde der Boomer-Soli gezielter wirken, da er auch nicht gesetzliche Alterseinkünfte erfasst. Das DIW betont, dass die gesetzliche Rente für viele wohlhabendere Ruheständler nur einen kleinen Teil des Gesamteinkommens ausmacht und daher kein geeigneter Hebel für eine gerechte Umverteilung sei.
Gleichzeitig weist das Institut auf mögliche Nebenwirkungen hin: Wer heute arbeitet und für das Alter vorsorgt, könnte künftig durch zusätzliche Abgaben belastet werden – was die Anreize zur Altersvorsorge langfristig beeinflussen könnte. Die Ausgestaltung hänge letztlich von politischen Prioritäten ab.
Nachdenkenswerter Vorschlag
Unterstützt wird der Vorschlag von der Vorsitzenden des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Monika Schnitzer. „Ich finde es gar nicht verkehrt, über einen solchen Vorschlag nachzudenken“, sagte die Wirtschaftswissenschaftlerin im Interview mit dem „Bayerischen Rundfunk“ am vergangenen Donnerstag.
Die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen hält eine grundlegende Rentenreform für dringend notwendig. Angesichts des demografischen Wandels – immer weniger Beitragszahler, immer mehr Rentenbeziehende – sei es nicht vertretbar, die finanziellen Lasten ausschließlich auf die jüngeren Generationen abzuwälzen.
Schnitzer fordert, dass auch die Babyboomer-Generation einen größeren Beitrag zur Finanzierung leisten müsse. Diese habe, so ihre Einschätzung, den Generationenvertrag nur teilweise erfüllt: Zwar habe sie während ihrer Erwerbszeit Rentenbeiträge geleistet, aber nicht in ausreichendem Maße für Nachwuchs gesorgt, um das Umlagesystem langfristig tragfähig zu halten. Deshalb sei eine stärkere wechselseitige Unterstützung innerhalb dieser Generation gerechtfertigt.
Als konkrete Reformmaßnahmen schlägt Schnitzer eine schrittweise Erhöhung des Renteneintrittsalters sowie eine Begrenzung des Rentenanstiegs vor. Die gegenwärtige politische Forderung nach einem dauerhaft stabilen Rentenniveau hält sie auf Dauer für nicht finanzierbar – zumindest dann nicht, wenn andere Reformschritte ausbleiben.
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Auch der Wirtschaftsweise Martin Werding sieht in dem DIW-Vorschlag eines „Boomer-Soli“ einen grundsätzlich sinnvollen Ansatz. In einem Interview mit „Deutschlandfunk Kultur“ erklärte er, eine Umverteilung innerhalb der Rentnergeneration könne dabei helfen, die finanziellen Lasten des demografischen Wandels gerechter zu verteilen und die jüngeren Jahrgänge zu entlasten. Allerdings betonte Werding auch, dass eine solche Maßnahme allein nicht ausreiche: Zusätzliche Reformen, etwa bei der Finanzierung oder beim Renteneintrittsalter, seien langfristig unverzichtbar.
Politik spricht von „Sommerlochthema“
Kritik am „Boomer-Soli“ kommt aus der Politik. SPD-Sozialpolitiker Bernd Rützel nannte den Vorschlag gegenüber dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (RND) ein „Sommerlochthema“. Er wies darauf hin, dass es sich bei der gesetzlichen Rente um eine Versicherungsleistung handelt. Wer jahrzehntelang Beiträge gezahlt habe, solle nicht pauschal zusätzlich belastet werden. „Wenn sie dann in Rente gehen, müssen sie sich darauf verlassen können, dass niemand um die Ecke kommt und sagt: ‚Geben Sie mal 10 Prozent ab‘“, so Rützel, der Vorsitzender Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales ist.
Ablehnung auch aus den Reihen der CDU. Der Bundestagsabgeordnete Stefan Nacke kritisiert den Vorschlag des DIW, einen „Boomer-Soli“ zur Finanzierung der Rente einzuführen, in einer Pressemitteilung deutlich. Die demografische Entwicklung sei zwar eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, werde aber bereits „seit Jahrzehnten zu Recht über Bundeszuschüsse mitgetragen“. Der DIW-Vorschlag hingegen schaffe „neue Ungerechtigkeiten“, da er lediglich laufende Einnahmen von Rentnerhaushalten erfasse, nicht jedoch vorhandenes Vermögen.
Nacke lehnt eine Umverteilung innerhalb der Rentnergeneration ab und bezeichnet sie als „systemfremd“. Eine solche Maßnahme sei „eine zu einseitige Diskussion und daher nicht zielführend“. Er verweist auf das Äquivalenzprinzip der gesetzlichen Rentenversicherung, demzufolge längere und höhere Beitragszahlungen zu höheren Renten führen. Dieses Prinzip „schafft Vertrauen“ und müsse langfristig verlässlich bleiben.
Zudem fordert Nacke, stärker auf den tatsächlichen Renteneintritt zu achten: „Weit über 60 Prozent der Menschen in Deutschland verabschieden sich – größtenteils freiwillig – vor dem Erreichen des gesetzlichen Renteneintrittsalters in den Ruhestand.“ Daraus folge, dass mehr Menschen das Regelalter tatsächlich erreichen sollten, um sowohl ihre individuellen Rentenansprüche als auch die Stabilität des Systems zu verbessern.
Auch die Junge Union lehnte das Modell ab. Ihr Vorsitzender Johannes Winkel kritisiert den Vorschlag für einen „Boomer-Soli“ deutlich. In einem Interview mit dem „Deutschlandfunk“ sagt Winkel, dass er in dem Konzept „leider keine Entlastung der jüngeren Generation“ erkennen könne.
Stattdessen forderte Winkel, bestehende rentenpolitische Maßnahmen zu überdenken. So sprach er sich gegen eine Fortsetzung der abschlagsfreien Rente mit 63 nach 45 Beitragsjahren aus und lehnte die geplante Ausweitung der Mütterrente ab. Beide Maßnahmen würden seiner Ansicht nach „Milliarden kosten“ und die finanzielle Last „wirklich auf dem Rücken der jüngeren Generation“ austragen.
Unterschiedliche Ablehnungsgründe: „Sozialismus pur“ und nicht ausreichend
Kritik kommt auch von der AfD. Die AfD-Bundestagsabgeordnete Ulrike Schielke-Ziesing bezeichnet den Vorschlag des DIW in einer Pressemitteilung als „Sozialismus pur“ und warnt vor einer Entwicklung hin zur „Einheitsrente“. Der Staat versäume es, für eine angemessene Altersversorgung zu sorgen, und wolle stattdessen Rentner „um die Erträge ihrer Lebensleistung prellen“. Die Umverteilung innerhalb der Rentnergeneration sei aus Sicht der AfD ein ordnungspolitischer Irrweg, der das Vertrauen in das Rentensystem untergrabe.
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Auch aus der linken Opposition kommt Kritik am Boomer-Soli – jedoch aus entgegengesetzten Motiven. Die Linksfraktion hält den Vorschlag zwar grundsätzlich für sinnvoll, aber nicht für ausreichend. „Umverteilung, wie mit dem Boomer-Soli vorgeschlagen, ist grundsätzlich ein guter Gedanke“, erklärte die rentenpolitische Sprecherin Sarah Vollath gegenüber dem RND. Allerdings sei es wirkungsvoller, nicht nur wohlhabende Rentner, sondern „alle Überreichen“ in Deutschland stärker zu belasten. „Eine Umverteilung nur unter Rentnerinnen und Rentnern ist da zu kurz gedacht!“, so Vollath.
Koalitionsvertrag nicht aushebeln
Nicht nur die Politik sieht den „Boomer-Soli“-Vorschlag. Auch wirtschaftsliberale Verbände sehen den Vorschlag mit großer Skepsis. Thorsten Alsleben, Geschäftsführer der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), übt auf dem Sender „Welt TV“ deutliche Kritik am Boomer‑Soli. Er mahnt an: „Mathematik kann man auch mit Koalitionsverträgen nicht aushebeln.“
Für ihn zeigt das Konzept des Solidaritätszuschlags auf Alterseinkünfte eher, dass grundlegende demografische und finanzielle Herausforderungen nicht durch kurzfristige Umbauten lösbar sind. Stattdessen spricht er sich für nachhaltige, strukturelle Reformen im Rentensystem aus, um dessen langfristige Stabilität sicherzustellen.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) positionierte sich ebenfalls ablehnend. DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel kritisiert in einer Pressemitteilung, dass mit dem Boomer-Soli lediglich „der Mangel unter den Rentnerinnen und Rentnern umverteilt“ werde, während hohe Einkommen aus Kapital oder Vermögen außen vor blieben. Stattdessen fordert sie, „mehr Steuergerechtigkeit“ herzustellen und gesamtgesellschaftliche Aufgaben wie die Mütterrente aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren, nicht aus der Rentenkasse. Nur so lasse sich das Rentensystem nachhaltig stärken.
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