Chronische Schmerzen: Warum Schmerzmittel nicht die alleinige Lösung sind

Die meisten Medikamente, die bei chronischen Schmerzen zum Einsatz kommen, würden in der Regel nur bei etwa einem Drittel der Patienten wirken. Das beinhalte nichtsteroidale Entzündungshemmer, schwache oder starke Opioide sowie Nervenmittel, sagte Schmerzmediziner Dr. Deepak Ravindran über seine über 20-jährige Erfahrung in der Unterstützung von Menschen bei der Schmerzbewältigung gegenüber Epoch Times.
Das hänge damit zusammen, dass die Ergebnisse klinischer Studien zu diesen Medikamenten möglicherweise nicht immer die Wirksamkeit der Behandlungen in der Praxis widerspiegeln. Denn häufig litten Patienten in der Praxis unter zusätzlichen Erkrankungen wie Depressionen, Angstzuständen, posttraumatischen Belastungsstörungen oder Diabetes – Faktoren, die klinische Studien in der Regel nicht berücksichtigen, so Dr. Ravindran, der für seinen innovativen, ganzheitlichen Ansatz zur Schmerzbehandlung bekannt ist.
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„Opioide beispielsweise können zwar kurzfristig Linderung verschaffen, bergen jedoch ernsthafte langfristige Risiken, darunter Abhängigkeit, Stimmungsschwankungen, Hormonstörungen, erhöhte Schmerzempfindlichkeit und in einigen Fällen sogar ein erhöhtes Demenzrisiko.
Arten von Schmerzen
Schmerzmittel wirken in der Regel, indem sie die Schmerzsignale blockieren oder dämpfen, die vom Körper an das Gehirn weitergeleitet werden.
Sie sind meist wirksam bei nozizeptiven Schmerzen – Schmerzen, die durch aktive Entzündungen oder Verletzungen verursacht werden –, bei denen chemische Signale an der Schmerzstelle freigesetzt werden. Bei neuropathischen oder nozizeptiven Schmerzen, bei denen die Nerven selbst geschädigt sind oder das Nervensystem ohne erkennbare strukturelle Ursache überempfindlich reagiert, ist die Wirkung oftmals begrenzt.
„Wenn das Nervensystem überempfindlich ist, wirken die meisten Medikamente nicht gut“, so Dr. Ravindran.
Was in aktuellen Behandlungsplänen oft übersehen wird, sind die Lebensstilfaktoren, die den Schmerz beeinflussen. Ein wirksamer Ansatz sollte multimodal und personalisiert sein und alle Einflussfaktoren auf die Gesundheit einer Person berücksichtigen, so eine Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2020.
Dazu müssen wir laut Dr. Ravindran zunächst unsere Einstellung zum Schmerz selbst ändern.
Die Entscheidung des Gehirns
„In der Gesundheitsversorgung herrscht nach wie vor die Ansicht vor, dass Schmerzen von einer beschädigten Stelle im Körper ausgehen müssen, die man drücken, ziehen oder röntgen kann“, erklärte Dr. Ravindran.
In den letzten zwei Jahrzehnten hat die Neurowissenschaft jedoch gezeigt, dass Schmerzen weitaus komplexer sind. Sie sind, wie Studien zeigen, nicht nur eine direkte Reaktion auf Gewebeschäden.
„Es ist die Entscheidung des Gehirns, basierend auf früheren Erfahrungen und dem Kontext, ob Schutzmaßnahmen erforderlich sind. Diese Entscheidung erzeugt die Wahrnehmung von Schmerz“, so der Schmerzmediziner.
Diese Wahrnehmung helfe zu erklären, warum manche Schmerzen noch lange nach der körperlichen Heilung einer Verletzung anhalten oder ohne sichtbare Schäden auftreten können, so Dr. Ravindran weiter.
Wenn Schmerzen eine Schutzreaktion des Gehirns seien, müssten wir uns fragen: „Wovor versucht es uns zu schützen?“
Wenn keine Anzeichen für eine Verletzung oder Infektion vorliegen, was passiert dann sonst noch im Leben, Nervensystem oder Immunsystem der Person?
Schmerz sei nicht nur eine körperliche Empfindung, sondern auch eine emotionale Erfahrung, die davon geprägt ist, wie das Gehirn empfangene Reize interpretiert, meinte Dr. Ravindran.
Es vergleicht diese eingehenden Informationen mit früheren Erfahrungen, die im Gedächtnis gespeichert sind.
Schmerz ist eine Reaktion auf reale Sinnesreize, aber diese Reaktion wird durch ein System gefiltert, das ständig versucht, Gefahren einzuschätzen. Das Immunsystem spielt dabei eine entscheidende Rolle. Es beherbergt Zellen, die Erinnerungen an Krankheitserreger und Gefahren speichern und so dem Körper helfen, sich zu verteidigen. Je nachdem, was das Gehirn als notwendig für den Schutz erachtet, können entzündungsfördernde Chemikalien freigesetzt werden. Als Kollateralschaden kann dabei ein überempfindliches Nervensystem entstehen, das stärker auf Schmerzen reagiert.
Alternative Schmerzbehandlung
Laut Dr. Ravindran gibt es Belege für eine Reihe von Ansätzen, die bei der Schmerzbehandlung helfen können, ohne ausschließlich auf Medikamente oder Operationen zurückzugreifen.
Die folgenden Ansätze sind seiner Erfahrung nach vor allem bei nozizeptiven Schmerzen hilfreich, die in der Regel nicht gut auf Standardbehandlungen ansprechen.
Ernährung
Was wir essen, kann laut Untersuchungen das Schmerzempfinden beeinflussen.
Eine Ernährung mit vielen stark verarbeiteten Lebensmitteln, Zucker oder raffinierten Kohlenhydraten kann Entzündungen verstärken. Das verschlimmert Schmerzen, unabhängig davon, ob sie die Folge einer Verletzung, Nervenschädigung oder eines empfindlichen Nervensystems sind.
Eine Ernährung mit vielen vollwertigen, unverarbeiteten Lebensmitteln kann hingegen das Immunsystem beruhigen und Schmerzsignale reduzieren.
Erholsamer Schlaf
Eine schlechte Schlafqualität steht laut Untersuchungen in direktem Zusammenhang mit einer erhöhten Schmerzintensität.
Strategien für besseren Schlaf, wie zum Beispiel beruhigende Routinen vor dem Einschlafen und viel natürliches Licht während des Tages zu nutzen, können ein wichtiger Bestandteil der Schmerztherapie sein.
Laut einer weiteren Studie verbesserten selbst geringe Dosen von Lichttherapie sowohl die Stimmung als auch die Schmerzintensität bei Menschen mit chronischen unspezifischen Rückenschmerzen.
Bewegung
Krafttraining und Übungen zur Stabilisierung der Körpermitte haben sich als hilfreich bei der Behandlung chronischer Schmerzen im unteren Rückenbereich erwiesen. Eine Studie zeigte auch, dass ein Yoga-Programm bei chronischen unspezifischen Schmerzen im Lendenwirbelbereich genauso wirksam ist wie Physiotherapie.
Beruhigung des Nerven- und Immunsystems
Atemübungen, Meditation und Techniken zur Stressreduktion können das Nervensystem beruhigen. Praktiken wie langsame Zwerchfellatmung oder Boxatmung (einatmen, halten, ausatmen, halten – jeweils für einige Sekunden) können helfen, Schmerzen und Verspannungen zu reduzieren.
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Achtsamkeitsbasierte Programme wie „Mindfulness-Based Stress Reduction“ haben sich ebenfalls als hilfreich für Menschen mit chronischen Schmerzen erwiesen.
Traumainformierte Betreuung
Das Konzept der traumainformierten Betreuung ist von entscheidender Bedeutung. Wenn Menschen vor dem 18. Lebensjahr ein intensives, anhaltendes Trauma erlebt haben, kann dies ihr Nerven- und Immunsystem beeinträchtigen. Eine anhaltende Beeinträchtigung des sich entwickelnden Nerven- und Immunsystems kann sich darauf auswirken, wie der menschliche Körper auf Gefahren reagiert und sich selbst schützt.
Es sei entscheidend, dem Nervensystem zu helfen, sich wieder sicher zu fühlen. Dazu könnten beispielsweise Atemübungen, Klopftechniken, Augenbewegungen, Klangtherapie oder die Stimulation des Vagusnervs gehören, sagte die Traumatherapeutin Patricia Worby.
Ganzheitlicher Schmerzmanagementplan
Um Menschen mit chronischen Schmerzen zu unterstützen, sei es hilfreich, die Lebensstilmedizin als Grundlage zu nehmen, so Dr. Ravindran. Dadurch könne man einen integrierten, ganzheitlichen und personalisierten Schmerzmanagementplan entwerfen.
Ein solcher Plan könnte im Alltag Folgendes umfassen:
- Morgendliche Bewegungsübungen, zum Beispiel Yoga
- angemessener Einsatz von Medikamenten
- Körper-Geist-Techniken
- entzündungshemmende Ernährung
- Reduzierung oder Verzicht auf Alkohol nach 18 Uhr
- Verzicht auf Kaffee mindestens sechs bis acht Stunden vor dem Schlafengehen
- sechs bis acht Stunden Schlaf pro Nacht
- Stressbewältigungsmaßnahmen während des Tages
Dieser Artikel ersetzt keine medizinische Beratung. Bei Gesundheitsfragen wenden Sie sich bitte an Ihren Arzt oder Apotheker.
Zuerst erschienen auf theepochtimes.com unter dem Titel „Why Chronic Pain Is Driven by the Brain“. (deutsche Bearbeitung kr)
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