Vom Bildschirm zurück ins Leben: Wie Lukas seine Social-Media-Sucht überwand

Ein begabter Junge verlor sich in der digitalen Welt – sein Weg zurück ist ein bewegendes Plädoyer für echtes Leben.
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Dopamin: Wie ein Botenstoff uns beflügelt, süchtig macht und zur Selbsterkenntnis führen kann. Foto: Elkhophoto/iStock
Von 29. Juli 2025

Lukas (Name vom Autor geändert) ist 16. Intelligent, witzig, offen, empathisch. Ein Junge, wie ihn sich viele Eltern nur wünschen können. Er engagiert sich in der Schule, ist sozial kompetent, sportlich und auch beliebt.

Doch in den letzten Monaten hat sich etwas verändert. Etwas, das leise begann, fast unmerklich, und dann mit zunehmender Wucht in sein Leben einbrach.

Lukas ist viel am Handy. Wie die meisten Jugendlichen. Zuerst war es nur Instagram. Dann TikTok. Dann Discord. Und dazu: Online-Games – Fortnite, League of Legends, FIFA. Anfangs eine Spielerei, eine Möglichkeit, mit Freunden Spaß zu haben. In Onlinerunden gehörte er zu den Besten. Likes, Emojis, Chatgruppen, virtuelle Siege – Lukas blühte auf. Ein Rockstar in der digitalen Arena.

Doch mit der Zeit verschoben sich die Achsen. Aus einer Stunde am Abend wurden zwei. Dann drei. Dann Nächte. Die Schule wurde Nebensache. Hausaufgaben? Später. Sport? Keine Lust. Rausgehen? Wozu?

Die Situation eskalierte, als Lukas eines Morgens gar nicht mehr aufstand. Seine Eltern fanden ihn apathisch im Bett, mit leerem Blick, verwahrlost, mit kaum noch Bezug zur Realität. Der Kinder- und Jugendpsychiater sprach von einer schweren depressiven Episode mit akuter sozialer Isolation. Lukas wurde zunächst an eine örtliche Suchtberatungsstelle überwiesen, später – nach einer Krisenintervention – für einige Tage stationär in einer Jugendpsychiatrie aufgenommen. Diagnose: medieninduzierte Verhaltenssucht, depressive Symptomatik, sozialer Rückzug.

Was war passiert? Wie konnte ein so lebensfroher Junge in so kurzer Zeit so tief abstürzen? Was lief da in seinem Inneren ab? Welche Mechanismen waren am Werk?

Die Antwort: Dopamin.

Die biochemische Schieflage

In Deutschland ist die psychische Gesundheit Jugendlicher und junger Erwachsener in akuter Schieflage: Zwischen 2018 und 2023 stieg die Zahl der jungen Erwachsenen mit Depressionen bei Männern um 14  Prozent, bei Frauen sogar um 38 Prozent – insgesamt von 204.000 auf 283.000 Betroffene. Bereits 3 bis 10 Prozent der 12- bis 17-Jährigen leiden an einer diagnostizierten Depression.

Doch hinter diesen nüchternen Zahlen verbirgt sich ein leiser Notruf. Kein Schrei – eher ein inneres Verstummen.

Was bei Lukas begann, ist längst zur Realität für viele geworden: Jugendliche, die nicht mehr abschalten können, weil sie nie richtig „angeschaltet“ wurden. Kein Raum für Langeweile, kein Platz für Leere, kein Takt für Erholung. Das Gehirn – im Dauerbetrieb. Die Seele – im Energiesparmodus. Die Reizschwelle steigt, die Empfindsamkeit sinkt. Und das, was früher als Regeneration galt, wird heute als Zeitverschwendung empfunden.

Dopamin – der Botenstoff zwischen Glück, Sucht und Selbstzerstörung

Lukas’ Absturz beginnt, wo viele heute landen: im überreizten Dopaminsystem. Was wie fehlende Disziplin wirkt, ist oft ein neurobiologisches Ungleichgewicht. Denn Dopamin, das Molekül der Erwartung und Motivation, gerät aus der Balance, wenn künstliche Reize wie Social Media oder Gaming das Belohnungssystem dauerhaft fluten.

Anfangs fühlte sich jeder Like wie ein Kick an. Doch das Gehirn passt sich an. Der Dopamin-Pegel sinkt. Was früher Freude machte, wird bedeutungslos. Ein Kreislauf beginnt: mehr Reize, weniger Wirkung, zunehmende Leere. Gespräche, Natur, Bewegung? Zäh, sinnlos, fade.

Dopaminkicks wie Zucker oder Likes wirken kurz, aber intensiv. Sie sind wie Streichhölzer in der Dunkelheit: ein kurzes Aufflackern, ein Hauch von Wärme, bevor es wieder kalt wird. Ein süßer Snack, eine neue Nachricht, ein neuer Follower – sie wirken wie kleine Belohnungsexplosionen im Gehirn. Das Problem: Sie brennen schnell aus, und was bleibt, ist ein größeres Verlangen nach dem nächsten Kick.

Besonders fatal ist das bei digitalen Reizen. Denn Apps wie Instagram, TikTok oder YouTube sind neurologisch nicht harmlos – sie sind präzise designt, um genau jene Schaltkreise im Gehirn zu aktivieren, die auch bei klassischen Suchtstoffen wie Nikotin oder Kokain feuern. Studien zeigen: Social Media aktiviert dieselben neuronalen Belohnungspfade – im Nucleus accumbens und im präfrontalen Kortex – wie stoffgebundene Drogen. Unser Belohnungssystem wird gehackt – und langsam umprogrammiert.

Bei Jugendlichen mit Gaming-Sucht konnten Forscher sogar strukturelle Veränderungen in genau diesen Hirnregionen nachweisen – also in den Zentren für Motivation, Selbstkontrolle und Entscheidungsfähigkeit. Das Gehirn verlernt, von innen heraus motiviert zu sein. Stattdessen reagiert es nur noch auf äußere Reize – schnell, schrill, flüchtig.

Langsame Dopaminquellen dagegen wirken leise – aber tief. Musik. Bewegung. Kreativität. Natur. Sie erzeugen kein Feuerwerk, sondern ein stetiges Glimmen. Diese Reize brauchen Zeit, aber sie belohnen nachhaltiger. Und mehr noch: Sie aktivieren zusätzlich das Serotoninsystem – das Netzwerk im Gehirn, das für Ausgeglichenheit, Zufriedenheit und innere Stabilität steht.
Dopamin macht nicht nur abhängig – es programmiert unsere Aufmerksamkeit um. Was wir oft füttern, wächst. Was wir ständig klicken, bestimmt, was wir als relevant empfinden. Es ist also kein Zufall, worauf wir Lust haben – sondern das Resultat unserer neuronalen Gewohnheiten.

Hoffnung auf Umkehr

Doch das Gehirn ist veränderbar. Unser Nervensystem hat die Fähigkeit, sich durch Erfahrung neu zu strukturieren. Was zerstört wurde, kann auch neu aufgebaut werden – mit Geduld, Bewusstsein und Struktur.

Lukas’ Weg zurück begann leise. Offline-Zeiten. Gespräche. Erste Schritte nach draußen. Kein radikaler Neustart – sondern eine Neujustierung. Dopamin ist kein Feind. Es ist ein Werkzeug. Aber es braucht Führung.

Dopamin bewusst lenken – Wege aus der Falle

Strategien wie Dopaminfasten – ein bis zwei Tage ohne Reizüberflutung – helfen, den Dopamin-Pegel zu stabilisieren.

Schon 24 bis 48 Stunden können laut Studien die Rezeptorempfindlichkeit verbessern.

Langsame Dopaminquellen wie Joggen, Musik machen, Natur oder kaltes Duschen (+250 % Dopamin) fördern nachhaltige Ausschüttung.

Strukturierte Tagesabläufe, guter Schlaf, proteinreiche Ernährung und bewusste Rituale stärken das dopaminerge System langfristig.

Denn Glück ist lernbar: „Was zusammen aktiviert wird, verbindet sich dauerhaft im Gehirn.“ Diese Aussage beschreibt ein zentrales Prinzip der Neuroplastizität: Durch gleichzeitige Aktivierung von Nervenzellen entstehen neue, stärkere Verbindungen – was wir wiederholen, prägt unsere neuronale Struktur.

Wer regelmäßig Freude fokussiert, stärkt sein Glücksnetzwerk. Drei achtsame Momente täglich. Belohnung bewusst spüren. Medienzeit reflektieren. Kalt duschen.

Und Lukas?

Die Kehrtwende kam nicht über Nacht. Es war ein langsames Erwachen – zäh, leise, manchmal schmerzhaft ehrlich. Ein Therapeut erklärte ihm, was in seinem Gehirn passiert war. Keine Vorwürfe. Keine Etiketten. Nur ein Satz, der hängen blieb: „Dein System war übersteuert. Nicht du bist kaputt – dein Gleichgewicht war verloren.“

Da passierte etwas in Lukas. Ein inneres Klicken. Kein großes Aha-Erlebnis, eher ein leiser Riss im dunklen Nebel. Zum ersten Mal fühlte er sich nicht als Versager, sondern als jemand, der sich verlaufen hatte – mit Chance auf einen Rückweg.

Er begann zu joggen. Anfangs schwerfällig, gegen den inneren Widerstand. Dann kam das erste Mal ein Moment der Klarheit – als ob der Wind ihm den Kopf frei blas. Heute läuft er, weil er es liebt. Nicht, um zu fliehen, sondern um sich zu spüren.

Musik wurde sein zweiter Weg zurück. Ein kleines Midi-Keyboard, selbst gekaufte Beats. Anfangs nur für sich, dann für andere. Kein Leistungsdruck. Kein Vergleich. Nur Klang, Ausdruck, Freiheit.

Und das Handy? Die Pushnachrichten hat er abgeschaltet – nicht, weil es jemand gesagt hat, sondern weil sein Körper irgendwann Nein sagte. „Ich will nicht mehr jederzeit verfügbar sein – ich will mich wieder selbst hören.“

Er lernt, still zu werden. Zuzuhören. Im Gespräch zu sein – wirklich. Mit Anna, seiner Freundin. Draußen. Am See. Im Wald. Ohne Filter. Ohne Maske. Sie reden über das Echte: Ängste. Wünsche. Zweifel. Und merken, wie viel Nähe entstehen kann, wenn nichts mehr vorgespielt werden muss.

Morgens duscht Lukas kalt. Nicht, weil es angenehm ist – sondern weil es ihm zeigt: Ich kann das. Abends schreibt er auf, was gut war. Keine Heldentaten. Manchmal nur: „Ich bin heute nicht ausgerastet.“ Oder: „Ich hab’ meiner Schwester wirklich zugehört.“

Noch ist nicht alles stabil. Aber Lukas ist auf dem Weg. Und da ist wieder etwas in ihm, das lange gefehlt hat: Hoffnung. Richtung. Freude. Nicht auf Knopfdruck – sondern von innen.

Buchtipp

 

Zum Autor:

Jürgen Alexander Weber ist Vortragsredner, Coach, Trainer und Autor mit über 20 Jahren Erfahrung. Seine Expertise in kognitiver Neurowissenschaft (M.A.), Kommunikationswissenschaften, Körpersprache und Coaching macht ihn zu einem gefragten Experten für Unternehmen – sowohl im In-­ als auch im Ausland.

Mit seinem neuen Buch „Glück im Kopf“ lädt er dazu ein, die eigene Steuerzentrale im Gehirn bewusst zu nutzen, um mentale Klarheit, Lebensenergie und persönliche Zufriedenheit nachhaltig zu steigern. Jetzt im Epoch Times Buch-Shop erhältlich.



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