Therapie ohne Nebenwirkung: Die heilende Kraft des Waldes erleben

Waldbaden – das bewusste Verweilen im Wald – hat sich vom fernöstlichen Entspannungsritual zur medizinisch fundierten Methode gegen Stress entwickelt. Waldbaden ist ein achtsamer Spaziergang und ein intensives Erlebnis für Körper und Seele. Epoch Times war auf einer achtsamen Expedition ins grüne Heilmittel der Natur.
Titelbild
Entschleunigung pur beim Waldbaden: Die Natur heilt, wenn wir lernen, wieder zuzuhören. Jeder Baum, jeder Grashalm, jeder Vogelruf wird zum Lehrmeister für Achtsamkeit und Selbstfühlung.Foto: iStock/Ed Chichine
Von 14. Mai 2025

Die feuchte, kühle Luft des Morgens riecht irgendwie nach Grün, auch nach Erde und frischem Harz. Ein feines Rauschen zieht durch die hohen Baumkronen, als wollten sie leise Geschichten erzählen. Vögel zwitschern, es summt und irgendwo klopft ein Specht. Sonnenstrahlen brechen durch das Blätterdach aus frühlingshaften Grüntönen und malen tanzende Muster auf dem Boden.

Wir streifen langsam und achtsam durch den Wald, geführt von Jana, einer zertifizierten Kursleiterin im Waldbaden. Fast immer schweigend, nur gelegentlich gibt Jana mit sanften Worten Impulse. Irgendwann ist der Moment gekommen, die Schuhe auszuziehen. Barfuß auf dem weichen, federnden Moos zu stehen, ist wie ein sanftes Aufwachen.

Jeder Schritt wird zum bewussten Erlebnis: die kühle Feuchtigkeit des Mooses, das raue Kitzeln kleiner Ästchen, die überraschende Wärme eines sonnenbeschienenen Steins. Zuerst setzen wir die Ferse auf, dann den Rest des Fußes, erst dann lösen wir bewusst den anderen Fuß vom bemoosten Waldboden, setzen auch da zuerst die Ferse auf. Die Sinne öffnen sich, und ich spüre eine tiefe Verbundenheit – mit dem Boden unter meinen Füßen, der Luft, den Bäumen, mit mir selbst.

Waldbaden als stille Revolution gegen Lärm, Hektik und Entfremdung

Jana von Waldbaden Rostock gibt regelmäßig Waldbaden-Sessions. Als naturverbundenes „Nordlicht“ schätzt sie es, dass hier an der Küste Ostseeluft auf Waldluft trifft und man im Meer sowie im Wald baden kann. Die hochgewachsene Blondine, die auch ausgebildete ganzheitliche Ernährungsberaterin ist, führt Menschen regelmäßig in kleinen Gruppen in die Wälder in und um Rostock fernab von Wanderwegen, Handys und Alltag. Ich bin zunächst skeptisch, doch je länger wir uns schweigend durch das Unterholz bewegen, desto mehr beginne ich, mich für die kleinen Wunder um mich herum zu öffnen. Wir gehen langsam und zumeist schweigend, spüren Rinde, Moos, Wind und Sonne auf der Haut. Was simpel klingt, hat tiefgreifende Wirkung.

Im Wald mit Jana: „Die Liebe zur Schöpfung und der Wunsch, achtsamer und bewusster zu leben, hat mich zum Waldbaden geführt.“ Foto: Lydia Roeber

Wissenschaftlich fundiert: Was Waldbaden mit uns macht

Waldbaden, im Japanischen Shinrin Yoku genannt, ist keine Esoterik, sondern gut erforscht. Seit den 1980er-Jahren untersuchen japanische Wissenschaftler die Effekte des bewussten Aufenthalts im Wald auf den menschlichen Organismus. Professor Qing Li von der Nippon Medical School in Tokio gilt als Pionier dieser Forschung. Li’s Kompendium „Waldmedizin“ erschien 2012 und gilt als Standardwerk. Sein populärwissenschaftliches Buch „Shinrin Yoku“ ist in zahlreiche Sprachen übersetzt worden. Beim „Shirin Yoku“, dem achtsamen Spazieren im Wald, nimmt der Körper die ätherischen Öle der Bäume auf. Diese Terpene sind Botenstoffe, die Bäume abgeben, um miteinander zu kommunizieren. Diese flüchtigen ätherischen Öle wirken beim Einatmen beruhigend und immunstärkend auf den menschlichen Körper. So wird das Stresslevel gesenkt, das Immunsystem gestärkt und selbst der Blutzuckerspiegel reguliert sich. In Japan gilt „Shirin Yoko“ als eine Art Aromatherapie im Wald.

Bereits ein zweistündiger Waldaufenthalt kann den Cortisolspiegel senken, den Blutdruck regulieren und die Aktivität der sogenannten natürlichen Killerzellen im Immunsystem erhöhen. Dieser Effekt hält sogar über mehrere Tage nach einem Waldbad an. Auch deutsche Studien bestätigen diese Erkenntnisse. Stress, Angst und depressive Symptome können durch regelmäßiges Waldbaden signifikant reduziert werden.

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Mehr als ein Spaziergang: die Praxis des Waldbadens

Im Gegensatz zum Wandern oder Joggen ist Waldbaden keine sportliche Aktivität. Es geht nicht um Leistung, sondern um Wahrnehmung. Ein absichtsloses Schlendern durch Grün. Jana leitet mit sanfter Stimme zwischendurch Achtsamkeitsübungen an, die alle Sinne ansprechen: das Sehen, Hören, Riechen, Fühlen und sogar Schmecken. Wir lauschen den Vögeln, riechen an Fichtennadeln, kosten ein Blatt vom würzigen Sauerklee – und einmal, als wir an einer imposanten, bemoosten Eiche vorbeikommen, holt die Waldbademeisterin mit den feingliedrigen Händen eine kleine Becherlupe aus ihrem Rucksack. So wird, aus nächster Nähe betrachtet, die rau-schorfige Rinde zur multidimensionalen Höhlenlandschaft, das Moos zum lebendigen Wald – jede Grünfacette der vergrößerten Flechten zum sanft wogenden Ereignis. Atemübungen vertiefen die Erfahrung.

Viele Teilnehmer berichten bereits nach der ersten Stunde von einem Gefühl tiefer Ruhe und Verbundenheit. Besonders eindrucksvoll war für mich die Geschichte einer Frau Mitte 40, die wegen Burn-out monatelang arbeitsunfähig war. Nach dem dritten Treffen sagte sie zu Jana:

Ich habe zum ersten Mal seit Monaten wieder das Gefühl, atmen zu können.“

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Waldbaden und moderne Gesellschaft

In einer zunehmend technisierten und beschleunigten Welt suchen viele Menschen egal welches Alters nach Möglichkeiten zur Entschleunigung. Waldbaden bietet einen niederschwelligen Zugang. Es geht dabei um Entschleunigung. Anders als bei der Waldpädagogik, erklärt Jana. Obwohl auch bei dem Konzept die Natur im Mittelpunkt steht, gebe es deutliche Unterschiede. Waldpädagogik verfolgt das Ziel, Wissen über ökologische Zusammenhänge zu vermitteln. Waldbaden hingegen stellt das unmittelbare Erleben in den Vordergrund. Es geht nicht um kognitive Aufnahme, sondern um das bewusste, achtsame Wahrnehmen mit allen Sinnen. Während die Waldpädagogik vordergründig den Kopf anspricht, öffnet Waldbaden Herz und Körper gleichermaßen. Waldbaden braucht keine besondere Ausrüstung, kein Vorwissen, nur Offenheit. Die Natur ist für alle da.

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Die Ausbildung zum zertifizierten Waldbaden-Coach ist umfassend, und neben der Praxis gehören zum Inhalt auch Grundlagen der Stressforschung, Pflanzenkunde und Achtsamkeitstechniken. Mittlerweile gibt es in Deutschland eine Vielzahl an Ausbildungsinstituten und eine steigende Zahl an Kursleitern. Allein im Bundesverband Waldbaden e.V. (BVWA) sind gut 140 nach den BVWA-Standards zertifizierte Kursleiter organisiert. 

Viele Waldbaden-Kursleiter haben einen Hintergrund in Psychologie, Pädagogik oder Medizin. Eine davon ist Jana von Waldbaden Rostock mit der einfühlsamen Stimme, die ihre eigene tiefe Verbindung zur Natur dabei achtsam transportiert. Beim Betreten des Waldes hatten wir an einer hochgewachsenen Buche mit fein strukturierter Rinde, Jana nennt sie „unsere Waldgarderobe“, unser imaginäres Gepäck abgegeben: das, was uns bedrückt und wovon wir bei unserem Weg durch das Frühlingsgrün nicht belastet sein wollen. Nach drei Stunden verlassen wir zusammen den Wald an der gleichen Stelle, mit klarem Blick und Kopf – und leichtem Herzen. Der Rucksack kann hierbleiben, ich überlasse ihn symbolisch dem Baum, der zuerst etwas verschämt, dann eine dankbare Umarmung zum Abschied von mir bekommt. Bis zum nächsten Mal, ich komme wieder.

Shades of Green. Waldbaden ist eine Reise für alle Sinne und ein wissenschaftlich belegter Weg zu mehr Gesundheit. Foto: Lydia Roeber

Dieser Artikel ersetzt keine medizinische Beratung. Bei Gesundheitsfragen wenden Sie sich bitte an Ihren Arzt oder Apotheker.



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