Von wegen Entzauberung: Wissenschaftler und Ihre Sehnsucht nach Spiritualität

Stehen Wissenschaft und logische Erkenntnisse tatsächlich im Gegensatz zu Spiritualität und Glauben? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, befragten Forscher im Rahmen einer Studie mehr als hundert Naturwissenschaftler aus verschiedenen Ländern und kamen zu überraschenden Erkenntnissen.
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Foto: Illustration by Lumi Liu, The Epoch Times
Von 20. Oktober 2025

„Die Moderne nimmt der Realität und insbesondere der Wissenschaft ihren Zauber und ihr Geheimnis“, so fasst Brandong Vaidyanathan, Soziologe an der Catholic University of America und Korrespondenzautor der kürzlich erschienenen Studie, die sich mit Wissenschaft und Spiritualität beschäftigt, eine gängige These gegenüber Epoch Times zusammen. „Wissenschaftliches Denken steht im Gegensatz zu magischem Denken und zielt darauf ab, unsere Erfahrung der Realität auf Atome, Moleküle, Formeln und so weiter zu reduzieren.“

Die Ansicht, dass Wissenschaft im Gegensatz zur Spiritualität steht, hat ihre Wurzeln unter anderem in der Theorie der Entzauberung des deutschen Soziologen Max Weber. Die im Jahr 1917 vorgestellte Hypothese besagt, dass mit dem Fortschritt der Wissenschaft das spirituelle Verlangen zwangsläufig zurückgeht.

Allerdings zeigt die Studie von Vaidyanathan und seinem Team ein ganz anderes Bild. In den Antworten von 104 befragten Biologen und Physikern aus Indien, Italien, Großbritannien und den Vereinigten Staaten zeigte sich, dass die meisten Wissenschaftler – egal ob sie sich selbst als religiös, spirituell, aber nicht religiös oder völlig säkular einstuften – auf bemerkenswert ähnliche Weise eine „spirituelle Sehnsucht“ in ihrer Arbeit empfinden.

Über den Begriff spirituelle Sehnsucht schrieben die Studienautoren: „Wir definieren spirituelle Sehnsucht daher als das Verlangen nach einer tieferen Verbindung – zu sich selbst, zu anderen, zur Natur oder zu Gott – und nach einem höheren Sinn, einschließlich der Sehnsucht nach Transzendenz über das Selbst hinaus.“

Was Naturwissenschaftler antreibt

Im Rahmen der Interviews suchten die Studienautoren nach Schlüsselwörtern, Sehnsüchten und Erkenntnissen, die immer wieder vorkamen, wenn die befragten Biologen und Physiker über ihre Arbeit sprachen. Viele der Antworten überraschten und standen im Gegensatz zu der Theorie der Entzauberung der Welt und einem rein logischen Verständnis der Wissenschaft.

So sagte ein amerikanischer Biologe, der sich selbst nicht als religiös, aber spirituell einstuft, darüber, was ihn in seiner Arbeit antreibt: „Ich glaube, dass wir letztendlich alle versuchen zu verstehen, wie die Dinge funktionieren und warum sie so funktionieren, wie sie funktionieren. Und wie wir dabei vorgehen, ist ganz unterschiedlich. Manche Wissenschaftler mögen sagen, dass sie nicht glauben, dass es etwas Spirituelles ist. Aber ich glaube, dass es das ist. Tief in unserem Inneren versuchen wir wirklich zu verstehen, warum wir hier sind und warum wir existieren. Und was hilft uns zu existieren? Das sind alles wichtige Fragen, und ob Gott dafür verantwortlich ist oder nicht, das ist die Frage, die wir meiner Meinung nach niemals beantworten können. Aber ich glaube, das Unerklärliche zu verstehen, bedeutet in gewisser Weise zu verstehen, wie wir von einer höheren Macht erschaffen wurden.“

Einer der befragten Physiker sagte: „Ich bin alt genug, um zu erkennen, dass ich nicht lange genug leben werde, um all die Dinge zu verstehen, die ich gerne verstehen würde. In diesem Sinne ist es also eine Sehnsucht. Eine Sehnsucht, mehr über die Dinge zu erfahren, als ich über die Dinge weiß, die wir erwähnt haben. Gibt es etwas Höheres als uns, und was geschieht dort? Was bedeutet der Urknall? Gibt es noch andere Urknalle? Gibt es Paralleluniversen? Wir würden diese Dinge gerne wissen, aber ich werde sie nie erfahren.“

Ein italienischer Physiker beschreibt, wie das Streben nach dieser Sehnsucht, die die wissenschaftliche Forschung antreibt, uns auch dabei hilft, dem Wunsch nachzukommen, uns selbst besser kennenzulernen:

„Diese Sehnsucht, nach den Sternen zu greifen, ermöglicht es uns, auch etwas über uns selbst zu verstehen. Diese Art, weiter in die Ferne zu blicken, hängt also tatsächlich mit dem menschlichen Verlangen zusammen. Es mag sinnlos erscheinen, ist aber in Wirklichkeit sehr sinnvoll. Es geht weit über diese Dinge hinaus.“

Ehrfurcht, Verbundenheit und die Verbindung zu Gott

Viele der Forscher, die sich selbst nicht als religiös bezeichnen, erlebten Momente des Staunens und der Verbundenheit in der Natur, während gläubige Forscher in ihrer Arbeit über eine Verbindung zu Gott sprachen.

„Ich glaube, ich spüre die Verbindung zur Natur und empfinde Ehrfurcht am stärksten, wenn ich mich an Orten wie Wüsten oder Berggipfeln oder Ähnlichem befinde, wo es keine menschlichen Bauwerke gibt und wo Menschen eigentlich gar nicht leben könnten. Dann denke ich vielleicht: Wow, es ist unglaublich, dass es solche Orte gibt, aber wir Menschen können sie kaum erleben. Ich denke, das liegt an der Natur dieser Orte“, so ein Biologe, der sich als nicht religiös einstuft.

Ein anderer italienischer, nicht religiöser Biologe erzählte: „Ich erinnere mich an eine Zeit vor einigen Jahren, als ich noch etwas jünger war. Als ich mich für Biologie entschied, hatte ich den Ehrgeiz, bestimmte Dinge zu studieren und zu verstehen. Damals stellte ich mir sicherlich viele Fragen. Ich habe nicht aufgehört, diese Fragen zu stellen, nur weil ich älter geworden bin, ich gehe sie jetzt nur anders an. Die Fragen sind ohnehin unbeantwortet. Ein ganz alltäglicher Moment ist der Blick in den Sternenhimmel mitten in der Wüste. Das ist ein Moment, in dem diese Fragen wieder auftauchen. In solchen Momenten tauchen die Gedanken wieder in meinem Bewusstsein auf. Die Fragen sind: Wer sind wir, woher kommen wir, was tun wir hier und so weiter … Diese Momente gibt es also, aber sie gipfeln nicht in der Erkenntnis, dass ich vielleicht in die Kirche gehen oder mit jemandem darüber sprechen sollte“.

Mit einem anderen Zugang spricht ein italienischer Biologe, der sich als religiös einstuft, über seine Erfahrungen: „Mit dem Erfolg und dem Erreichen bestimmter [wissenschaftlicher] Ziele, die keineswegs einfach waren, bestätigten sie die Richtigkeit des religiösen Ansatzes. Menschlich gesehen brachte mich das der Religion sehr nahe. Ich bin dankbar dafür und sage mir hin und wieder: „Wenn ich so bin, wie ich bin, dann kommt das Positive davon, dass ich religiös bin. So sehe ich das. Das ist nicht für jeden so, aber so sehe ich es… obwohl ich nur wenig Zeit für Religion und Spiritualität aufwende, glaube ich, dass alles, was ich in diesem Bereich tue, letztendlich ein spirituelles Leben ist, da ich meine Berufung als Wissenschaftler, Vater und Ehemann lebe […]“.

Eine britischen Biologin, die sich selbst als religiös bezeichnet und die Wissenschaft als Mittel beschreibt, um ihrer Sehnsucht nach einer Verbindung zu Gott nachzugehen, sagte:

„Ich denke, Sehnsucht ist wie der Wunsch nach einer tiefen Verbindung. Ich weiß, dass ich das definitiv erlebt habe, aber es ist so, als würde man sich nicht wirklich erfüllt fühlen, ohne zu versuchen, das zu finden, wonach man sucht … Und ich glaube, es gibt eine Sehnsucht, sich tiefer mit Gott zu verbinden, so, als wolle man wissen […]. Ich glaube, dass die Arbeit, die man tut, einen Wert hat. Ich glaube, dass durch die Wissenschaft etwas zum Vorschein kommen wird, das Gott von einem erwartet.“

Staunen und der Glaube an etwas Höheres

Obwohl sich die Zugänge und Verständnisse unterschieden, was alle drei Gruppen Wissenschaftler, egal ob religiös, spirituell oder nicht gläubig, gemeinsam hatten, war die Fähigkeit des Staunens und der damit verbundenen Ehrfurcht.

Martin Nowak, Professor für Biologie und Mathematik an der Harvard University, der nicht an der Studie beteiligt war, ist der Ansicht, dass Wissenschaft und Spiritualität eine grundlegende Eigenschaft gemeinsam haben.

„Beide suchen nach der Wahrheit“, sagte er gegenüber Epoch Times. „Beide haben mit Staunen und Ehrfurcht zu tun.“

Die Synergie zwischen Wissenschaft und Spiritualität ist allerdings kein neues Thema, sondern reicht weit zurück. Für viele renommierte Wissenschaftler stand der Glaube nicht im Widerspruch zu Entdeckungen, sondern inspirierte sie.

Beispielsweise studierte Galileo die Sterne und glaubte, sie seien das Werk Gottes. Newton sah die Gesetzmäßigkeit der Bewegung als Zeichen göttlicher Ordnung. Einstein beschrieb die Verbindung von Religion und Wissenschaft als „kosmisches religiöses Gefühl“ und betrachtete sie als „stärksten und edelsten Ansporn für wissenschaftliche Forschung“.

Der britische Schriftsteller C.S. Lewis drückte es so aus:

„Die Menschen wurden Wissenschaftler, weil sie Gesetze in der Natur erwarteten, und sie erwarteten Gesetze in der Natur, weil sie an einen Schöpfer dieser Gesetze glaubten.“

Wissenschaft und Spiritualität – ein künstlicher Konflikt?

Allerdings nicht jeder befragte Wissenschaftler verspürt spirituelle Sehnsucht, wie Vaidyanathan und sein Team in ihrer Studie dokumentierten. Manche vertreten eine eher rationalistische Sichtweise und finden Befriedigung in materiellen Erklärungen, ohne ein Verlangen nach Transzendenz. Andere betrachten die Wissenschaft eher als Aufdeckung menschlicher Grenzen anstatt Offenbarung kosmischer Bedeutung.

„Auch wenn, wie wir gesehen haben, einige Wissenschaftler keine spirituellen Sehnsüchte äußern, kann die Wissenschaft dennoch neue Wege der spirituellen und existenziellen Erforschung inspirieren und sowohl Gläubigen als auch Nichtgläubigen eine einzigartige spirituelle Ressource bieten“, so die Schlussfolgerung der Studie.

Sarbmeet Kanwal, theoretischer Physiker am California Institute of Technology, der nicht an der Untersuchung beteiligt war, sagte über seine Einschätzung der Studienerkenntnisse gegenüber Epoch Times: „Ehrfurcht und Staunen dienen als Tor zu einer Erfahrung der Realität, für die wir bislang noch keine solide wissenschaftliche Grundlage haben.“

Dennoch sehen viele Wissenschaftler „keinerlei Widerspruch zwischen spiritueller Erfahrung und wissenschaftlicher Forschung“, so Kanwal weiter. „Wissenschaftliches Streben ist ein Weg, unsere menschlichen Erfahrungen in einer natürlichen Ordnung zu verankern, die das Universum, in dem wir leben, durchdringt. Eines Tages, vielleicht erst in Jahrhunderten, werden wir spirituelle Erfahrungen vielleicht als Teil der Ordnung des Universums erklären können. Bis dahin müssen wir sie jedoch als ein noch zu erforschendes Geheimnis betrachten, aber nicht als etwas, das in irgendeiner Weise der Wissenschaft entgegensteht“.

Kanwal vermutet, dass, wenn Wissenschaft ganz natürlich spirituelle Sehnsüchte über Glaubenssysteme hinweg hervorruft, der vermeintliche Konflikt zwischen Vernunft und Transzendenz größtenteils künstlich sein könnte – eine falsche Dichotomie, die sowohl das wissenschaftliche als auch das spirituelle Verständnis einschränkt.

Mit Material von The Epoch Times.



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