Deutschland vor Kehrtwende bei der Kernkraft auf EU-Ebene?

Auf nationaler Ebene hat der Regierungswechsel zu Schwarz-Rot bis dato noch keine Impulse in Richtung einer Renaissance der Kernkraft gesetzt. Dabei wird es auch weiterhin bleiben, wie die Antwort eines Sprechers des Bundesumweltministeriums auf eine Frage der Epoch Times am Mittwoch, 21. Mai, nahelegt. Bei der Atomkraft handelt es sich ihm zufolge nach wie vor um eine „Hochrisikotechnologie, deren Risiken letztlich unbeherrschbar sind“. Durch den Ausstieg würden „zumindest die nuklearen Risiken hierzulande minimiert“, und das sei „aus unserer Sicht etwas Gutes, und das gilt natürlich unverändert“.
Grundsatzstreit könnte vor Klärung stehen
Allerdings deutet sich auf EU-Ebene eine entscheidende Weichenstellung an. Zuletzt hatten Medien und Think-Tanks angedeutet, dass es in der Bundesregierung Tendenzen gibt, den bisherigen deutschen Widerstand gegen die Gleichstellung der Kernkraft mit erneuerbaren Energien aufzugeben. Damit würde sich die Regierung unter Bundeskanzler Friedrich Merz der Position Frankreichs und Präsident Emmanuel Macrons annähern. Der Grundsatzstreit hatte lange Zeit die Energiepolitik auf europäischer Ebene belastet.
Guntram Wolff vom in Brüssel ansässigen Think-Tank Bruegel zeigt sich gegenüber der „Financial Times“ sehr zufrieden über die Aussicht auf eine Kernkraft-freundlichere Politik der deutschen Bundesregierung auf EU-Ebene. Er spricht mit Blick auf Frankreich von einer „willkommenen Annäherung, die das Thema Energie in der EU erleichtern wird“. Professor Lars-Hendrik Röller von der ESMT Business School in Berlin, ein früherer ökonomischer Chefberater von Altbundeskanzlerin Angela Merkel, äußerte sich ebenfalls optimistisch:
Wenn Frankreich und Deutschland übereinstimmen, wird es für Europa viel einfacher, voranzukommen.“
Obwohl es noch einige Herausforderungen gebe, glaube er, „die Frage wird geklärt werden“. Auch aus dem Bundesumweltministerium hieß es am Mittwoch dazu, dass es „selbstverständlich das Recht eines jeden Staates ist, den eigenen Energiemix einschließlich der Kernenergie zu bestimmen“.
Bundesregierung künftig „pragmatisch“
Bundeskanzler Friedrich Merz hatte bereits im Wahlkampf in Aussicht gestellt, künftig in der Frage der Kernenergie „pragmatisch“ vorzugehen. Dies könnte dazu beitragen, dass man bestehende Vorurteile gegen die Kernkraft nicht mehr in der EU-Gesetzgebung abgebildet sehen wollte. Von besonderer Bedeutung könnte dies beispielsweise bei der Förderung von Wasserstofftechnologien sein. Wasserstoff, der mit Atomstrom hergestellt wurde, würde demnach in gleicher Weise als „grüner Wasserstoff“ gelten wie jener, dessen Produktion mit Wind- und Solarenergie vonstattenging.
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Deutschland könnte auf diese Weise eine Grundlage für eine erneuerte Energiepartnerschaft mit Frankreich legen. Erst im April des Vorjahres hatte die Regierung in Paris Bezieherländern französischen Stroms in Aussicht gestellt, sie für Baukosten von neuen Kernkraftwerken zur Kasse zu bitten.
Deutschlands Regierung fühlte sich damals nicht angesprochen. Allerdings bezog man allein im Vorjahr aus dem westlichen Nachbarland 12,9 Terawattstunden an Strom. Zwar beabsichtigt die Merz-Regierung nicht, die zuletzt abgeschalteten deutschen KKWs wieder in Kraft zu setzen. Allerdings soll Forschung an Zukunftstechnologien wie kleine modulare Reaktoren (SMR) und Kernfusion auch hier stattfinden können.
Renaissance der Atomenergie findet europaweit statt
Eine deutsche Kehrtwende fiele in einen deutlichen europaweiten Trend zur Rehabilitierung der Kernkraft. Auch Belgien hatte jüngst einen Ausstieg vom Atomausstieg beschlossen. In Dänemark gibt es starken politischen Rückenwind für einen möglichen Einstieg. Auch die Niederlande und zahlreiche osteuropäische Länder wollen weiter auf KKWs setzen. Schweden hat ebenfalls angekündigt, neue Kernkraftwerke errichten zu wollen.
Lediglich in Österreich besteht noch ein Anti-Kernkraft-Konsens, der sich auf eine dünne Mehrheit in einer Volksabstimmung aus dem Jahr 1978 und auf die Tschernobyl-Erinnerung stützt. Allerdings unterscheidet sich der Energiemix in dem 9-Millionen-Einwohner-Land strukturell deutlich vom deutschen. So beträgt der Anteil der Wasserkraft am Energiemix dort mehr als ein Viertel – in Deutschland hingegen nur 4 Prozent.
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In Deutschland hatte die Regierung lange Zeit Kernkraft zwar als CO₂-frei, aber nicht erneuerbar eingestuft. Unter anderem im Kontext der EU-Taxonomie hatte die frühere Ampel noch Widerstand geübt. Allerdings hatte sich die EU-Kommission im EU-Parlament mit der Position durchgesetzt, auch Kernkraft und – als Übergangstechnologie – auch Gas als „nachhaltig“ einzustufen. Die Taxonomie soll unter anderem die Grundlage für ein europäisches Gütesiegel für nachhaltige Finanzprodukte bilden.
Technologieneutralität eröffnet neue Wege für Kernkraft
Anfang Mai hatten Deutschlands Kanzler Merz und Frankreichs Präsident Macron einen gemeinsamen Leitartikel in der Zeitung „Le Figaro“ verfasst. Darin bekannten sich beide zu einer „Energiepolitik auf der Grundlage von Klimaneutralität, Wettbewerbsfähigkeit und Souveränität“. Dies beinhalte „die Anwendung des Prinzips der Technologieneutralität und die Gewährleistung einer diskriminierungsfreien Behandlung aller kohlenstoffarmen Energien innerhalb der EU“.
In Frankreich werden 70 Prozent der dort produzierten Energie durch Kernkraft gewonnen. Die derzeitige Akzentverschiebung auch in der deutschen Energiepolitik könnte die Europäische Kommission unter Druck setzen, die Mittel für Nuklearprojekte zu erhöhen. Es bleiben dennoch Herausforderungen bei der Finanzierung, der Entwicklung und bezüglich der langen Vorlaufzeiten, mit denen die Inbetriebnahme neuer KKWs verbunden ist.
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Im März 2025 hat Frankreich dem staatlichen Energieversorger EDF einen Vorzugskredit gewährt, um mindestens die Hälfte der Kosten für sechs neue optimierte EPR2-Kernreaktoren zu decken. Dieser Schritt ist Teil eines Plans von Präsident Macron zur umfassenden Modernisierung der französischen Energielandschaft. Die Finanzierungsverhandlungen sollen noch im Frühjahr 2025 enden – anschließend muss die EU-Kommission dem staatlich gestützten Projekt noch zustimmen.
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