Energiewende vor Gericht: Schweizer verklagt Deutschland auf Millionenentschädigung

Die ambitionierten Ziele der deutschen Politik in Sachen Energiewende sorgen nicht nur im eigenen Land für Debatten rund um Bezahlbarkeit und Sicherheit der Versorgung. Auch aus dem Ausland droht der Bundesregierung jetzt Ungemach. Ein Energieversorger aus der Schweiz hat eine Klage infolge des vorgezogenen Kohleausstiegs eingereicht. Weitere könnten dem Beispiel folgen. Die Unternehmen sehen sich durch die Politik in ihren Rechten aus einem Investitionsschutzvertrag verletzt.
Investition von 24 Millionen Euro in Kohlekraftwerk im Jahr 2008
Wie die „SonntagsZeitung“ berichtet, fordert der im Tessin ansässige Versorger Azienda Elettrica Ticinese (AET) von Deutschland eine Entschädigung in Höhe von 85,5 Millionen Euro plus Zinsen. In Summe soll sich die Forderung auf etwa 100 Millionen Euro belaufen. AET hält einen Anteil von 16 Prozent am Steinkohlekraftwerk Trianel in Lünen (NRW). Der Versorger hatte im Jahr 2008 etwa 24 Millionen Euro in die Anlage investiert, um die steigende Nachfrage bedienen zu können.
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Zu jenem Zeitpunkt gab es zwar schon Debatten über einen Umbau der Energieversorgung auf erneuerbare Quellen. Allerdings war von Ausstiegsszenarien bis in die frühen 2030er-Jahre noch keine Rede – und auch politisch war dafür noch keine Rückendeckung abzusehen. Erst fünf Jahre später wurde der Schweizer Bundesrat konkret mit einer sogenannten Energiestrategie 2050.
Seit 2013 produziert das Kraftwerk Trianel Strom – und es gilt als eines der modernsten und effizientesten. Zum Zeitpunkt der Planung und Errichtung, so gibt AET zu bedenken, seien solche Anlagen selbst mit der deutschen Energie konform gegangen und sogar förderfähig gewesen.
Vorgezogener Kohleausstieg, unklare Entschädigung – Unternehmen pochen auf Investitionsschutz
Im Jahr 2020 verabschiedeten Bundestag und Bundesrat das sogenannte Kohleverstromungsbeendigungsgesetz. Bis 2038 soll demnach das letzte Kohlekraftwerk vom Netz gehen. Einige Bundesländer haben sogar noch frühere Ausstiegstermine beschlossen, dazu kommt eine Restunsicherheit für Betreiber, da auch eine Überprüfung der nach 2030 vorgesehenen Stilllegungen an den Revisionszeitpunkten 2026 und 2029 vorgesehen ist.
Damit soll eine Option freigehalten werden, um potenziell schon 2035 aus der Kohleverstromung auszusteigen. Das Kraftwerk in Lünen, das ursprünglich noch bis 2038 laufen sollte, soll nach dem geänderten Klimaschutzgesetz von 2021 schon sieben Jahre früher vom Netz gehen.
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Das Kohleverstromungsbeendigungsgesetz sah für Betreiber von Braunkohlekraftwerken eine Entschädigungssumme von insgesamt 4,35 Milliarden Euro für die Stilllegungen vor. Die Stilllegungsprämien für Steinkohlekraftwerksbetreiber sollen auf der Grundlage von Ausschreibungen auf dem Markt ermittelt werden. Eine Entschädigung für die später beschlossene noch frühere Stilllegung sieht das Gesetz gar nicht vor – für die Betreiber ein Grund, sich an ein privates Schiedsgericht zu wenden.
EU verließ 2024 fluchtartig den Energiecharta-Vertrag (ECT)
Der Versorger AET hat seine Klage beim internationalen Schiedsgericht der Weltbankgruppe (ICSID) in Washington, D.C. eingereicht. Dabei fordert das Unternehmen eine Entschädigung bis zum Ende der theoretischen Laufzeit der Anlage – die bis 2053 zu veranschlagen gewesen wäre. Der Wert der ursprünglichen Investitionen sei auf der Grundlage des gesamten Lebenszyklus der Anlage zu bewerten, so die Kläger. Im Jahr 2008 sei es darum gegangen, langfristig die Stromversorgung des Tessin zu sichern.
Die Klage stützt sich dabei auf den sogenannten Energiecharta-Vertrag (ECT). Bei diesem handelt es sich um ein Investitionsschutzabkommen, das internationale Eigner an Energieversorgungseinrichtungen in der EU schützen soll. Das 1994 unterzeichnete und 1998 in Kraft getretene Abkommen sollte neben Investitionen auch nicht diskriminierende Bedingungen für den Handel mit Energieträgern gemäß WTO-Regeln schützen. Außerdem sollte es einen verlässlichen grenzüberschreitenden Energietransit durch Pipelines oder Stromnetze schützen.
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In Zeiten des Pariser Klimaabkommens und der Konfrontationspolitik gegenüber Russland erscheint das ECT vielen EU-Staaten als unerwünscht – zumal die Schiedsgerichte häufig hohe Entschädigungssummen aussprechen. Entsprechend haben die EU und zahlreiche Mitgliedstaaten 2024 ihren Austritt aus dieser Form der regelbasierten Handelsordnung erklärt.
Weiterer Schweizer Versorger hatte in Kohlekraftwerk investiert
Eine sogenannte Sunset-Klausel räumt Investoren, die sich durch politische Volten geschädigt sehen, jedoch noch für bis zu 20 Jahre nach der Austrittserklärung Klagerechte ein. Aus diesem Grund befürchtet man jetzt in Staaten mit besonders ehrgeiziger Klimaschutzpolitik, dass das Beispiel von AET Schule machen könnte.
Die Berner Kraftwerke (BKW) haben ebenfalls in ein deutsches Kohlekraftwerk investiert. Sie sind mit einer Investitionssumme von rund 430 Millionen Euro mit 33 Prozent am Steinkohlekraftwerk Wilhelmshaven beteiligt. Derzeit seien keine Schritte geplant, heißt es vonseiten des Unternehmens gegenüber Schweizer Medien. Sollte der Staat jedoch eine vorzeitige Stilllegung anordnen, müsste „die Ausgangslage neu geprüft werden“.
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Auf der Grundlage des ECT hatte ein internationales Schiedsgericht dem schwedischen Energiekonzern Vattenfall und anderen Versorgern insgesamt 2,4 Milliarden Euro infolge des beschleunigten Atomausstiegs zugesprochen. Auch das Bundesverfassungsgericht entschied zugunsten der Unternehmen und verlangte eine Nachbesserung der gesetzlichen Entschädigungsregelungen.
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