Vom Reformherbst zum Krisenwinter? Experten warnen vor einer „tickenden Zeitbombe“

Der industrielle Pulsschlag Deutschlands wird schwächer. Immer mehr Konzerne kündigen Stellenabbau und Sparprogramme an. Das ist ein sichtbares Zeichen tief sitzender Strukturprobleme. Während die Politik Reformen verspricht, rutscht die Wirtschaft weiter in eine gefährliche Abwärtsspirale.
Die Bosch-Tochter Etas will in den nächsten Jahren bis zu 400 Jobs streichen. (Archivbild)
Bosch steht wie viele deutsche Industrieunternehmen unter Druck – 22.000 Stellen sollen bis 2032 wegfallen.Foto: Bernd Weißbrod/dpa
Von 17. Oktober 2025

In Kürze:

  • Industrie unter Druck: Große Konzerne wie Bosch, ZF und Webasto kündigen massiven Stellenabbau an
  • Wirtschaft im Abschwung: Produktion und Vertrauen in den Standort Deutschland brechen ein
  • Reformstau gefährdet Zukunft: Ökonomen fordern weniger Regulierung und mehr Innovation

 

Der Druck auf die deutsche Industrie steigt sichtbarer denn je: In letzter Zeit kündigten mehrere Großunternehmen umfassende Personalabbaumaßnahmen an. So plant Bosch am Standort Hildesheim einen Abbau von rund 680 Stellen bis 2032, davon 550 bis Ende 2027. Das berichtet unter anderem die Wochenzeitung „Staatsanzeiger“.

Betriebsbedingte Kündigungen sollen im ersten Schritt ausgeschlossen werden. Deutschlandweit sollen bei Bosch in den kommenden Jahren insgesamt 22.000 Stellen wegfallen.

Die Bosch-Tochter BSH, die Waschmaschinen, Herde und andere Hausgeräte verkauft, hat ebenfalls kürzlich angekündigt, 1.400 Stellen abzubauen. Nach Angaben des Unternehmens sind die Standorte im brandenburgischen Nauen und Bretten in Baden-Württemberg betroffen.

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Der Autozulieferer Webasto hat ebenfalls mitgeteilt, bis Jahresende 300 weitere Führungskräfte-Positionen in der Verwaltung, zusätzlich zu früheren Kürzungsplänen, zu streichen. ZF, ein Schwergewicht in der Branche, kündigt Anfang Oktober den Abbau von 7.600 Stellen in seiner Sparte für elektrifizierte Antriebe bis 2030 an. Der Konzern reagiert damit nach eigenen Angaben auf hohen Kostendruck und strukturelle Veränderungen im Markt.

Der Stellenabbau soll über Altersteilzeit, Abfindungen und Qualifizierungsprogramme  „sozialverträglich“ erfolgen, heißt es in der Mitteilung des Unternehmens. Betriebsbedingte Kündigungen will das Unternehmen vermeiden. Zugleich werden Arbeitszeiten gekürzt und Lohnerhöhungen verschoben, um, so die Begründung, die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.

Diese Ankündigungen wirken wie Warnlichter: Wenn selbst einst als relativ stabil geltende Konzerne derart einschneiden, dann spricht das Bände über den Zustand von Markt, Kosten- und Wettbewerbsdruck. Und es mahnt: Der Reformbedarf der Politik ist nicht länger theoretisch. Er ist praktisch und akut.

Deutschlands Wirtschaft steckt mitten in einer gefährlichen Abwärtsspirale. Neue Zahlen des Statistischen Bundesamts zeichnen ein alarmierendes Bild: Im August 2025 ist die reale Produktion im produzierenden Gewerbe gegenüber dem Vormonat saison- und kalenderbereinigt um 4,3 Prozent eingebrochen. Das ist der stärkste Rückgang seit über drei Jahren.

Auch im Dreimonatsvergleich von Juni bis August lag die Produktion 1,3 Prozent niedriger als in den drei Monaten zuvor. Im Vergleich zum Vorjahresmonat August 2024 ergibt sich ein Minus von 3,9 Prozent.

Besonders stark traf es erneut die Automobilindustrie, deren Produktion um 18,5 Prozent gegenüber Juli zurückging – laut Destatis hauptsächlich wegen Werksferien und Produktionsumstellungen.

Deutliche Rückgänge verzeichneten zudem der Maschinenbau (-6,2 Prozent), die Pharmaindustrie (-10,3 Prozent) sowie die Herstellung elektronischer und optischer Erzeugnisse (-6,1 Prozent). Insgesamt sank die Industrieproduktion – also das produzierende Gewerbe ohne Energie und Baugewerbe – um 5,6 Prozent.

Innerhalb der Industrie gaben alle drei Hauptgruppen nach: Die Produktion von Investitionsgütern brach um 9,6 Prozent, die von Konsumgütern um 4,7 Prozent und die von Vorleistungsgütern um 0,2 Prozent ein.

Lediglich die energieintensiven Industriezweige konnten sich leicht behaupten und legten um 0,2 Prozent zu. Angesichts des Gesamtbildes ist das ein kleiner Lichtblick in einer insgesamt deutlich eingetrübten Produktionslandschaft.

Industrie warnt vor Energiepreisschock

Für Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) kommt der Rückschlag zur Unzeit. Die Regierung hat euphorisch zum „Herbst der Reformen“ aufgerufen. Ins Auge gefasst waren Strukturreformen bei Rente, Arbeitsmarkt und Sozialsystemen. Statt Aufbruchsstimmung herrscht jedoch nun Alarmstimmung.

Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) schlägt in seinem Quartalsbericht 2/2025 warnende Töne an. Der Verband spricht von einem empfindlichen „Rückschlag im Chemiegeschäft“: Produktion, Umsatz und Preise seien „teilweise deutlich“ zurückgegangen, der Auftragsmangel habe sich verschärft. Die Kapazitätsauslastung sei auf 71,7 Prozent gefallen – „der niedrigste Wert seit 1991“.

VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup bezeichnete das Quartal als „weiteren Härtetest“ für die Chemie. „Schwache Nachfrage, sinkende Umsätze und eine Produktion weit unter Vorkrisenniveau – so sieht derzeit die Realität in unserer Branche aus“, heißt es in dem Bericht. Die Unsicherheit in Chemie- und Pharmaunternehmen sei „riesig“ und „lähmt das Geschäft“.

Der VCI hält für 2025 an seiner Prognose fest: Die Produktion stagniere insgesamt, für die Chemiebranche werde ein Rückgang um 2 Prozent erwartet.

Während die Wirtschaft schwächelt, sorgt ausgerechnet die Sozialpolitik für zusätzlichen Streit. Die Bundesregierung treibt ihr Rentenpaket voran mit der Garantie, das Rentenniveau bis 2030 bei 48 Prozent zu halten.

Die Junge Gruppe in der Unionsfraktion hält das vom Bundeskabinett schon im August beschlossene Rentenpaket nicht für zustimmungsfähig und rebelliert. Am vergangenen Donnerstag wurde der Gesetzentwurf der Regierung in den Bundestag eingebracht.

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Im Impulspapier des Beraterkreises der Wirtschaftsministerin warnen die Ökonomen Veronika Grimm, Stefan Kolev, Justus Haucap und Volker Wieland Anfang September, dass die gesetzliche Rentenversicherung „zur tickenden Zeitbombe für die Generationengerechtigkeit“ werden könne.

Stillstand im Land der Erfinder

Die vier Ökonomen legen auch im Gutachten „Wachstumsagenda für Deutschland“ ein schonungsloses Zeugnis ab: Seit Jahren tritt die deutsche Wirtschaft auf der Stelle. Die Wirtschaftsleistung liegt kaum über dem Niveau von 2019 – ein Stillstand, während andere Industriestaaten davongezogen sind. Schon seit 2017 verliert der Standort an Attraktivität, Investitionen bleiben aus. Seit 2021 stagniert die Wirtschaft in Deutschland.

In anderen Industrieländern läuft es deutlich besser. So wuchs das Bruttoinlandsprodukt in den USA um über 12 Prozent, in Frankreich um knapp 5 Prozent und in Italien um gut 6 Prozent. In Deutschland hingegen schrumpfte es 2023 um 0,7 Prozent und 2024 um 0,5 Prozent. Nach einem kurzen Plus von 0,3 Prozent im ersten Quartal 2025 fiel die Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal erneut um 0,1 Prozent.

Die Diagnose der Ökonomen ist unmissverständlich: zu wenig Innovation und zu viel Regulierung. Deutschland sei zu zögerlich, einen Strukturwandel zuzulassen. Im Interview mit der „Funke-Mediengruppe“ las Wirtschaftsweise Veronika Grimm der Bundesregierung die Leviten.

„Aktuell bleiben fast alle wichtigen Reformen aus, weil sich sowohl die SPD als auch Teile der CDU/CSU dagegen sperren. Das führt dazu, dass keine Wachstumsdynamik entsteht und außerdem die zusätzliche Verschuldung umfangreich in konsumtive Staatsausgaben fließt“, wird die Wirtschaftsprofessorin von der Nachrichtenagentur dts zitiert.

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Während die Wissenschaft mahnt, verdüstern sich die Konjunkturaussichten weiter. Der ifo-Geschäftsklimaindex fiel im September auf 87,7 Punkte. Das ist der niedrigste Stand seit Jahresbeginn. Im verarbeitenden Gewerbe bewerteten die Unternehmen ihre Lage deutlich schlechter, die Erwartungen trübten sich weiter ein.

Besonders pessimistisch zeigen sich Dienstleister, Transport- und Logistikunternehmen. „Die Hoffnung auf wirtschaftliche Erholung erleidet einen Dämpfer“, kommentierte Ifo-Präsident Clemens Fuest das Ergebnis der Umfrage.

Auch im längeren Vergleich verliert Deutschland an Dynamik: Während Nachbarländer wie die Niederlande, Dänemark und die Schweiz ihre Wirtschaftsleistung seit der Corona-Pandemie um rund 9 Prozent steigerten und in den vergangenen 25 Jahren ein Wachstum von 40 bis 57 Prozent erzielten, kam Deutschland nur auf 29 Prozent. Diese Volkswirtschaften haben den Strukturwandel besser bewältigt und neue Technologien erfolgreicher genutzt.

Arbeitsmarkt erstarrt – Gründungen brechen ein

Auch am Arbeitsmarkt zeigen sich die Risse im Fundament der Wirtschaft. Erstmals seit zehn Jahren stieg die Zahl der Arbeitslosen im August wieder über die Marke von drei Millionen. Im September sind die Arbeitslosenzahlen um 70.000 gesunken, sodass die Zahl in diesem Monat bei 2.955.000 Arbeitslosen lag. Grund zur Sorge müsste das Ausbleiben neuer Jobs sein.

Das ifo-Beschäftigungsbarometer sank im September auf 92,5 Punkte, nach 93,8 Punkten im August. Das ist der niedrigste Wert seit Juni 2020. „Die Stimmung am Arbeitsmarkt bleibt verhalten“, sagt Klaus Wohlrabe, Leiter der ifo-Umfragen.

Weil der Aufschwung vorerst ausbleibt, treten viele Unternehmen in Personalfragen auf die Bremse.“

Der Personalabbau verlaufe „eher schleichend“, so Wohlrabe. Große Entlassungswelle beobachtet man zurzeit nicht. Offene Stellen würden einfach nicht nachbesetzt.

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Parallel stagniert die Gründungsaktivität. 2024 belief sich die Zahl der Existenzgründungen laut Angaben des Statistischen Bundesamts bei 120.900 Unternehmen. Zum Vergleich: Vor 15 Jahren betrug die Zahl der Existenzgründungen nach Angaben des Instituts für Mittelstandsforschung Bonn noch rund 417.600. Damit fehlt es an frischen Impulsen für Beschäftigung, Innovation und Wachstum – ein Warnsignal für die Zukunftsfähigkeit des Standorts Deutschland.

Es geht um die Zukunft

Die Botschaft ist klar: Ohne Investitionen, ohne Mut zum Wandel und ohne klare Prioritäten wird der „Standort Deutschland“ weiter an Bedeutung verlieren. Es geht nicht nur um die Konjunktur, sondern um die Zukunft des industriellen Herzstücks Europas.

Deutschland steht an einem Wendepunkt. Der Einbruch der Industrieproduktion ist mehr als eine Momentaufnahme – er ist ein Symptom für strukturelle Schwächen, die sich über Jahre aufgebaut haben.

Wenn die Merz-Regierung den Anspruch eines Reformherbstes ernst meint, muss sie jetzt liefern: weniger Regulierung, mehr Innovation, mehr Vertrauen in den Markt und Unternehmergeist. Sonst droht aus dem „Herbst der Reformen“ ein langer Winter der Stagnation zu werden.

 



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