Unstatistik des Monats: Ist Pfingstmontag wirklich 8,6 Milliarden Euro wert?

In Kürze:
Politik und Wirtschaft dachten zuletzt laut über die Abschaffung deutscher Feiertage nach.
Um 8,6 Milliarden Euro soll das Bruttoinlandsprodukt bei Wegfall des Pfingstmontags steigen können.
Die Schätzung zur erhofften Stärke des Effekts beruht auf Zahlen aus den 90er-Jahren und kann nicht auf heute übertragen werden.
Die Bevölkerungsentwicklung der kommenden Jahre stellt den Arbeitsmarkt Deutschlands vor erhebliche Herausforderungen. Da die Babyboomer bald das Ruhestandsalter erreichen werden, wird laut dem Statistischen Bundesamt die Zahl der Menschen im Erwerbsalter bis Mitte der 2030er-Jahre – je nach Höhe der Zuwanderung – um 1,6 Millionen Personen bis 4,8 Millionen Personen sinken.
Eine Möglichkeit, die mit dem Rückgang der Arbeitskräfte verbundenen Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt zu bewältigen, besteht darin, dass die verbleibenden Arbeitskräfte mehr arbeiten.
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Die Liste der diskutierten Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft ist ebenso vielfältig wie umstritten. Zu den Vorschlägen gehören: die Wochenarbeitszeit erhöhen, das Renteneintrittsalter erhöhen, einen Feiertag streichen.
Letzteres erfuhr Mitte März durch die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer neue Rückendeckung und wird seither kontrovers diskutiert – auch weil Schnitzer konkrete Zahlen nannte. Würde man einen der bundesweiten Feiertage, beispielsweise Pfingstmontag, streichen, könnte dies das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) demnach um bis zu 8,6 Milliarden Euro steigern.
Nicht alle Feiertage sind (Pfingst-)Montage
Doch woher kommen die 8,6 Milliarden Euro? Eine Überschlagsrechnung könnte wie folgt aussehen: Im vergangenen Jahr hatte Deutschland ein BIP von 4,31 Billionen Euro bei 249 Arbeitstagen. Das ergäbe pro Tag 0,4 Prozent des BIP oder 17,3 Milliarden Euro. So einfach ist es jedoch auch nicht.
Wie viel könnte Deutschland mit einem Feiertag weniger erwirtschaften? Die Wirtschaftsleistung schwankt sehr stark über das Jahr. Es kommt also unter anderem darauf an, in welche Jahreszeit der Feiertag fällt. Dies wäre beim Pfingstmontag recht eindeutig, da er frühestens auf den 11. Mai und spätestens auf den 14. Juni fallen kann. Es müsste daher nur geprüft werden, wie hoch der erwartete Effekt eines (zusätzlichen) Arbeitstags im zweiten Quartal ausfällt.
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Bei der Streichung eines Feiertags sind zudem indirekte Effekte zu berücksichtigen, insbesondere, ob bei der Streichung eines Feiertags ein Brückentag wegfällt. Auch dies wäre beim Pfingstmontag, der immer auf einen Montag fällt, nicht der Fall.
Schließlich muss man sich die einzelnen Wirtschaftszweige ansehen und betrachten, wie viel trotz Feiertagen gearbeitet wird und in welchem Umfang der Wegfall eines Feiertags nur die gegebene Arbeit gleichmäßiger verteilt. Denn hier würde bei einer Streichung nichts zusätzlich erwirtschaftet. In einigen Wirtschaftszweigen wie der Gastronomie dürfte an Feiertagen sogar mehr gearbeitet werden.
Schätzung anhand 30 Jahre alter Daten
Nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) stellen diese 8,6 Milliarden die Obergrenze einer Schätzung dar, die sich ergibt, wenn man die Annahmen aus einem Gutachten des Sachverständigenrates für Wirtschaft (SVR) zugrunde legt. Der SVR hat sich in der Vergangenheit ausführlich damit befasst, welche finanziellen Auswirkungen die Streichung des Buß- und Bettags für die deutsche Wirtschaft hätte. Dieses Gutachten stammt allerdings aus dem Jahr 1995, als der Feiertag in allen Bundesländern außer Sachsen abgeschafft wurde.
Die Wirtschaftsweisen kamen damals zu dem Schluss, dass zwei simulierte Szenarien realistisch sein könnten. Sie ergeben für das Jahr 1995 eine hypothetische Steigerung des BIP von bis zu 0,15 Prozent. Zurückgerechnet auf das Jahr 1980 – und ausschließlich für Westdeutschland – wären es bis zu 0,2 Prozent.
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Im Jahr 2018 waren sich die Wirtschaftsforschungsinstitute einschließlich des IW einig, dass der BIP-Effekt eines zusätzlichen Arbeitstags etwa 0,1 Prozent des BIP betragen dürfte. Dies ist auch die letzte Aussage, die das Statistische Bundesamt Ende 2024 kommuniziert hat. Heute ergäbe das einen Wert von 4,3 Milliarden Euro pro Tag.
Somit haben wir eine große Bandbreite der wirtschaftlichen Effekte der Streichung eines Feiertags: irgendwo zwischen 4,3 und 17,3 Milliarden Euro.
Aber auch diese Bandbreite ist wahrscheinlich falsch. Man kann schwerlich Berechnungen der wirtschaftlichen Folgen der Streichung – oder auch Einführung – eines Feiertags aus dem Jahr 1995 auf die heutige Situation übertragen. Nicht zuletzt haben sich die Wirtschaftsstruktur und die Arbeitsproduktivität seitdem erheblich verändert. Wenn man eine seriöse Einschätzung der wirtschaftlichen Effekte der Streichung eines Feiertags haben möchte, müsste man diese neu abschätzen und nicht einfach die historisch ermittelten 0,2 Prozent mit dem derzeitigen BIP multiplizieren.
Über die Unstatistik
Mit der „Unstatistik des Monats“ hinterfragen der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer, die STAT-UP-Gründerin Katharina Schüller und RWI-Vizepräsident Thomas K. Bauer jeden Monat sowohl jüngst publizierte Zahlen als auch deren Interpretationen. Die aktuellen und alle älteren „Unstatistiken“ finden Sie unter unstatistik.de.
Dieser Artikel erschien im Original auf rwi-essen.de unter dem Titel „Der Pfingstmontag ist 8,6 Milliarden Euro wert – ja wirklich?“. (redaktionelle Bearbeitung ts)
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