Wirtschaftswachstum durch Panzer? Experten warnen vor teurem Trugschluss

Die Welt ist aus den Fugen geraten: Der Krieg in der Ukraine, neue geopolitische Spannungen im Pazifik, Angriffe auf kritische Infrastruktur und Cyberattacken haben das sicherheitspolitische Denken in Deutschland auf den Kopf gestellt. „Zeitenwende“ nannte es der damalige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in seiner Rede am 27. Februar 2022. Drei Jahre später wird aus Worten eine gigantische Verschiebung fiskalischer Prioritäten.
Die neue Bundesregierung unter Friedrich Merz (CDU) verfolgt ein ambitioniertes Ziel. Jährlich sollen 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Militärausgaben aufgewendet werden und zusätzlich 1,5 Prozent für militärisch relevante Infrastrukturprojekte. Dies entspricht dem Beschluss des NATO-Gipfels vom Juni und macht zusammen rund 200 Milliarden Euro – pro Jahr.
Ferner hatte im März der alte Bundestag ein neues, sogenanntes Sondervermögen beschlossen, das vorwiegend der Stärkung der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands sowie der Modernisierung von Infrastruktur und Klimaschutz dienen soll. Kern des Pakets ist die Regelung, dass Verteidigungsausgaben, die über 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts hinausgehen, künftig von der Schuldenbremse ausgenommen und kreditfinanziert werden dürfen. Damit soll nicht nur die Bundeswehr modernisiert und besser ausgestattet werden.
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Doch was bedeutet diese historische Aufrüstung für die deutsche Volkswirtschaft? Welche Impulse sind zu erwarten? Welche Risiken entstehen? Die Ökonomen Tom Krebs und Patrick Kaczmarczyk von der Universität Mannheim legen mit ihrer im Juni dieses Jahres erschienenen Studie eine differenzierte Analyse vor.
Tom Krebs ist Professor für Makroökonomik und Wirtschaftspolitik an der Universität Mannheim. Er war unter anderem als Berater für das Bundesfinanzministerium, die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds tätig.
Patrick Kaczmarczyk ist Postdoktorand am Kompetenzzentrum für Transformation der Universität Mannheim und Berater bei der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung. Beide Autoren verbinden wissenschaftliche Analyse mit konkreter wirtschaftspolitischer Beratungserfahrung. Das Fazit der Studie ist deutlich: „Die geplante Militarisierung der deutschen Wirtschaft ist eine risikoreiche Wette mit niedriger gesamtwirtschaftlicher Rendite.“
„Militär-Keynesianismus“ made in Germany
Die Bundesregierung setzt bei ihrer Rüstungsstrategie auf die Hoffnung, dass hohe Staatsausgaben für Verteidigung auch die Konjunktur ankurbeln. Diese Strategie erinnert, so die Autoren, an die Wirtschaftspolitik von US-Präsident Ronald Reagan der 1980er-Jahre: großzügige Steuersenkungen, expansive Verteidigungsausgaben und einen Glauben an das sogenannte „Trickle-Down“-Prinzip.
Das „Trickle-Down“-Prinzip ist eine wirtschaftspolitische Theorie, die besagt, dass Steuererleichterungen für Reiche und Unternehmen langfristig auch den Ärmeren zugutekommen – etwa durch Investitionen und neue Jobs. Studien des Internationalen Währungsfonds (2015) und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (2014) widersprechen dem jedoch: Der Wohlstand sickert kaum nach unten, Ungleichheit kann das Wachstum sogar bremsen.
Krebs und Kaczmarczyk sprechen in diesem Zusammenhang von einem „Militär-Keynesianismus“, der sich in Deutschland jedoch als besonders ineffizient erweisen könnte. Denn ein zentrales Werkzeug der ökonomischen Analyse spricht gegen eine ökonomische Erfolgsgeschichte: der Fiskalmultiplikator. Dieser beschreibt, um wie viel Euro das Bruttoinlandsprodukt real steigt, wenn der Staat 1 Euro zusätzlich ausgibt.
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Die Autoren kommen zu dem Schluss: Der kurzfristige Fiskalmultiplikator für Militärausgaben in Deutschland liegt wahrscheinlich nicht über 0,5 – eventuell sogar bei null. Das heißt: Pro investiertem Euro in die Rüstung entsteht maximal 50 Cent zusätzliche Wirtschaftsleistung. Viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass der Effekt komplett verpufft.
Zum Vergleich: Investitionen in die öffentliche Infrastruktur haben, so die Studie, einen Multiplikator von etwa 2, bei Ausgaben für frühkindliche Bildung oder soziale Dienstleistungen kann der Multiplikator sogar 3 erreichen. Die Einschätzung basiert laut den Autoren auf „einer sorgfältigen Abwägung internationaler Studien und den spezifischen ökonomischen Bedingungen in Deutschland“.
Rüstungsausgaben schneiden demnach in dieser Bewertung besonders schlecht ab. Die Ökonomen warnen deshalb vor einer groß angelegten Fehlsteuerung der staatlichen Mittel.
Wirtschaftsturbo bleibt vermutlich aus
Zwei zentrale Gründe werden genannt, warum der erhoffte Wirtschaftsturbo ausbleiben könnte: Erstens ist die deutsche Rüstungsindustrie gegenwärtig nahezu voll ausgelastet. Zusätzliche Staatsaufträge führen daher kaum zu einer Ausweitung der Produktion, sondern vor allem zu Preissteigerungen. Krebs und Kaczmarczyk schreiben, dass „steigende Verteidigungsausgaben weniger der Wehrfähigkeit zugutekommen, dafür umso mehr den Gewinnmargen und Dividenden der Rüstungskonzerne“.
So meldete der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall für das erste Quartal 2025 einen Auftragsbestand von 63 Milliarden Euro, was ein neues Allzeithoch darstellte. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr lag der Auftragsbacklog noch bei 40 Milliarden Euro.
Als zweiten Grund nennt die Studie die Tatsache, dass ein erheblicher Teil der militärischen Beschaffung im Ausland erfolgt. So importiert Deutschland etwa Kampfflugzeuge vom Typ F-35 aus den USA oder kooperiert mit ausländischen Partnern bei militärischen Großprojekten.
Zu diesem Ergebnis kommt auch eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung Ernst & Young vom Februar. Diese zeigt, dass rund ein Drittel der geplanten militärischen Beschaffungen der europäischen NATO-Mitglieder im Ausland erfolgt – ein Viertel davon allein in den USA. Besonders bei Luftabwehrsystemen und modernen Kampfflugzeugen ist die europäische Rüstungsindustrie stark von amerikanischen Anbietern abhängig. Ein erheblicher Teil der Verteidigungsausgaben fließt somit nicht in die europäische Wirtschaft, sondern ins außereuropäische Ausland.
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Hinzu kommen strukturelle Probleme im Vergabewesen, mangelnder Wettbewerb und intransparente Entscheidungsprozesse. Der Markt für Rüstungsgüter in Deutschland ist oligopolistisch, Innovationsanreize sind schwach und eine effektive Kostenkontrolle fehlt häufig.
In diesem Kontext ist auch das neue Beschleunigungsgesetz der Bundesregierung zu betrachten, das Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) und Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) diese Woche gemeinsam vorgestellt haben. Der Entwurf sieht unter anderem vor, Wertgrenzen für Direktvergaben von 15.000 auf 50.000 Euro zu erhöhen, die Ausschreibungspflicht bei Dringlichkeit auszusetzen und gerichtliche Einsprüche ohne aufschiebende Wirkung zu behandeln. Pistorius sprach von einem „echten Quantensprung“ für die Bundeswehr und erklärte: „Wenn der Tank voll ist, aber die Tankleitung nicht ganz frei ist, dann nutzt der volle Tank eben auch nicht viel.“
Reiche ergänzte: „Unsere Soldaten müssen mit dem Besten ausgerüstet werden, was am Markt zu haben ist. Die Bundeswehr muss schneller, effizienter, einfacher und technologisch auf der Höhe der Zeit beschaffen können.“
Rüstungskonzerne profitieren – die Allgemeinheit nicht
Die bisherigen Effekte der Aufrüstung lassen sich besonders anschaulich an den Aktienkursen von Rheinmetall und Hensoldt beobachten. Beide deutschen Konzerne konnten ihre Umsätze in den vergangenen Jahren deutlich steigern. Parallel dazu legten die Gewinne und Dividenden zu, während die Zahl der Arbeitsplätze nur moderat wuchs.
Laut „Statista“ waren bei Rheinmetall 2020 noch 23.268 Mitarbeiter beschäftigt. Ende 2024 betrug der Mitarbeiterstamm des Konzerns 28.054 Mitarbeiter. Das Unternehmen Hensoldt beschäftigte im März dieses Jahres nach eigenen Angaben weltweit rund 8.000 Mitarbeiter. 2021 sprach das Unternehmen noch von mehr als 5.600 Mitarbeitern.
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Krebs und Kaczmarczyk warnen daher: Ein Großteil der Steuergelder für Rüstung fließt nicht in neue Wertschöpfung, sondern in Unternehmensgewinne und Dividenden. Für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung bedeutet das eine Umverteilung von öffentlichen Mitteln zu privaten Vermögen, ohne dass ein nennenswerter Wachstumseffekt entsteht.
Rüstungspolitik benötigt mehr als Geld: Es braucht Reformen
Krebs und Kaczmarczyk liefern keine sicherheitspolitische Bewertung, sondern eine ökonomische. Doch ihre Analyse hat politische Implikationen: Wer die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands stärken will, sollte dies mit Augenmaß und wirtschaftlicher Vernunft tun.
Ein plötzlicher Ausgabenanstieg ohne begleitende Strukturreformen im Rüstungssektor führt dazu, dass vorhandene Schwächen – etwa zersplitterte Beschaffungsverfahren, mangelnde Koordination in Europa und veraltete Industrieprozesse – bestehen bleiben. Dadurch werden Milliardeninvestitionen oft ineffizient eingesetzt: Ein großer Teil fließt ins Ausland, vor allem in die USA, weil europäische Anbieter bei Schlüsseltechnologien wie Luftabwehr oder Kampfflugzeugen nicht wettbewerbsfähig sind. Ohne Reformen wird so nicht nur Geld vergeudet, sondern auch die Chance verpasst, die europäische Rüstungsindustrie strategisch zu stärken und unabhängiger zu machen.
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