Zahnschmerzen wegen 500 Millionen Jahre altem Fisch

Seit 70 Jahren tauchen Forscher auf den Meeresboden, dennoch haben Menschen 99,999 Prozent des Tiefseegrunds noch nie zu Gesicht bekommen. Die Tiefsee umfasst alle Bereiche der Weltmeere, die mehr als 200 Meter unter der Wasseroberfläche liegen.
Ein Großteil unserer Ozeane ist noch immer ein Rätsel“, fasste Dr. Ian Miller von der National Geografic Society nach der Auswertung von rund 44.000 Tauchgängen zusammen.
Berlin, Rügen oder das Saarland als Vorlage für die Welt
Gemeinsam mit Dr. Katy Croff Bell, Präsidentin der Ocean Discovery League und Kollegen, stellte er außerdem große geografische Unterschiede fest. Obwohl seit 1958 Beobachtungen in Gewässern von 120 Staaten dokumentiert wurden, erfolgten rund zwei Drittel vor den Küsten der USA, Japans und Neuseelands. Drei von zehn Beobachtungen stammen zudem aus der Zeit vor 1980 und sind nur in Schwarz-Weiß-Bildern niedriger Qualität überliefert.

Während bestimmte Unterwasserstrukturen gut untersucht sind, bleiben riesige Regionen weitgehend unerforscht, stellten die Forscher fest. Je heller die Farbe in ihrer Karte, desto öfter wurde dort getaucht. Besonders markant: Suruga and Sagami Bays (Japan), Hawaii (USA) und Monterey Bay (USA). Auch vor Neuseeland liegt ein Tiefseetauchhotspot. Foto: Bell et al. (2025), CC BY 4.0
Zugleich erfolgten 97 Prozent aller Tauchgänge unter der Leitung von lediglich fünf Staaten. Besonders aktiv bei der Erforschung zeigten sich neben den genannten vor allem Deutschland und Frankreich. Sowohl die geografische als auch organisatorische Verteilung verzerre unser Bild der Tiefsee erheblich, so die Forscher. Warum, zeigt ein einfacher Vergleich:
Unser Wissen über die Tiefsee stammt aus Beobachtungen von weniger als 0,001 Prozent ihrer Gesamtfläche. Übertragen auf das Festland würde es bedeuten, dass alle Erkenntnisse über sämtliche landbasierten Ökosysteme auf Beobachtungen beruhen, die sich auf ein Gebiet von der Größe von Houston, Texas, beschränken. Das ist etwas kleiner als die Fläche des Saarland oder etwa doppelt so groß wie Berlin oder die Insel Rügen. Selbst innerhalb Deutschlands sind damit gravierende Unkenntnisse zu erwarten, wenn man von einer dieser Flächen auf die anderen schließen müsste.
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Weitere Erkenntnisse aus der am 7. Mai 2025 im Fachjournal „Science Advances“ erschienenen Studie:
- Ein einziger Canyon – Monterey Canyon, ein über 1,5 Kilometer tiefer Meeresgraben vor Kalifornien – war das Ziel von fast der Hälfte aller Tiefseetauchgänge weltweit aus, die sich auf Canyons konzentrieren.
- In einem einzigen wenig erforschten Tiefseegebiet wurden 5.000 neue Arten entdeckt.
- Ein Großteil der in den letzten sieben Jahrzehnten gesammelten visuellen Tiefseebilder ist für Wissenschaftler nicht zugänglich. Sie sind entweder nicht digitalisiert, noch auf Festplatten gespeichert, nicht katalogisiert oder nicht durchsuchbar.
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„Weisheitszahn“ kommt von Wissen
Weisheit zeugt von großem Wissen, die Verbindung zum Weisheitszahn scheint daher häufig unklar. Tatsächlich könnte diese Verbindung aber viel weiter zurückreichen als angenommen. Zurück in eine Zeit, in der Zähne noch nicht im Mund wuchsen, aber fühlen konnten. Diese Theorie vertreten Forscher um die Paläontologin Yara Haridy von der Universität Chicago.
Tatsächlich haben noch heute einige Fische, darunter Haie, Rochen oder Welse, mikroskopisch kleine Zähne auf der Haut, welche diese rau wie Schleifpapier machen. Zum möglichen Nutzen dieser sogenannten Odontoden gibt es verschiedene Theorien: Sie schützten die Fische möglicherweise einst vor Fressfeinden, halfen bei der Fortbewegung oder dienten als Mineralstoffspeicher – oder aber sie hatten sensorische Funktionen und leiteten Empfindungen an Nerven weiter.
Haridy und Kollegen halten letzteres für am wahrscheinlichsten. Sie untersuchten fossile Wirbeltiere im CT-Scanner auf Spuren von Dentin, jener inneren Schicht von Zähnen, die sensorische Informationen an die Nerven weiterleitet. Fündig wurden sie bei einem lange ausgestorbenen primitiven Fisch aus dem Ordovizium (485–443 Mio. Jahre vor heute). Sein Exoskelett weist unter den Odontoden sogenannte Tubuli, kleine Poren, auf. Die Forscher schließen daraus, dass diese einst Dentin enthielten – und somit Informationen übertragen konnten.
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Die Fähigkeit, die Eigenschaften des Wassers um sie herum wahrzunehmen, sei für die Tiere sehr wichtig gewesen. Im Laufe der Zeit entwickelten die Fische Kiefer und es wurde „vorteilhaft, spitze Strukturen“ in der Nähe des Mauls zu haben, so die Forscher weiter. Nach und nach entwickelten einige Fische spitze Odontoden „am Rand des Mauls, und schließlich befanden sich einige direkt im Maul“, erklärte Haridy.
Zahnschmerzen seien somit möglicherweise „eine uralte sensorische Eigenschaft, die unseren aquatischen Vorfahren vielleicht beim Überleben geholfen hat“, erklärte die Paläontologin.
Die Studie von Haridy et al. erschien am 21. Mai 2025 im Fachjournal „Nature“.
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Große Temperaturen, kleine Fische
Einer anderen heißen Entdeckung war das Team um Melissa Versteeg von der Universität Newcastle im Inselstaat Papua-Neuguinea auf der Spur: Sie fanden Nemo – und wie er, seine Partnerin und seine Artgenossen sich an höhere Meerestemperaturen anpassen. Demnach beginnen Echte Clownfische (Amphiprion percula) oft paarweise aufeinander abgestimmt zu schrumpfen, wenn es wärmer wird.
„Es geht nicht nur darum, dass diese Fische unter Stressbedingungen dünner werden, sondern sie werden tatsächlich kleiner“, berichtete die Doktorandin. „Wir wissen noch nicht genau, wie sie das machen, aber […] es war überraschend zu sehen, wie schnell sich Clownfische an eine sich verändernde Umgebung anpassen können“,

Ein Clownfisch-Paar besteht jeweils aus einem dominanten Weibchen und Männchen, das kleiner ist als seine Gefährtin. Weitere Clownfische derselben Gruppen sind wiederum kleiner. Foto: Morgan Bennett-Smith/Newcastle University/dpa
Dass Tiere in wärmeren Gefilden kleiner sind, ist keine neue Erkenntnis. Das zeigt sich nicht nur an der Größe der Ohren von Elefanten oder der Größe von arktischen Tieren, auch Meerechsen (Amblyrhynchus cristatus) zum Beispiel bauen einen Teil ihres Knochenmaterials ab, um in Zeiten von Umweltstress zu schrumpfen. Ein ähnlicher Mechanismus könnte auch Clownfischen schrumpfen lassen.
Während noch unklar ist, wie die Fische das genau anstellen, gibt es mehrere bekannte Gründe. So ist in wärmerem Wasser die Stoffwechselrate der Tiere erhöht, wodurch unter anderem der Sauerstoffbedarf steigt. Zugleich ist in wärmerem Wasser aber weniger Sauerstoff gelöst. Die Sauerstoffaufnahme über die Kiemen ist daher mit zunehmender Größe immer schlechter zu gewährleisten. Mit dem Schrumpfen werde der Bedarf vermindert. Auch Nahrungsverfügbarkeit spiele womöglich eine Rolle.
Clownfische immer schwieriger zu finden?
Während einer Hitzewelle von Februar bis August 2023 maßen Versteeg einmal monatlich die Länge von 67 wild lebenden Clownfisch-Paare gemessen, zudem wurde alle vier bis sechs Tage die Wassertemperatur erfasst. Die Temperaturen in der Bucht überschritten während des Versuchszeitraums den Durchschnitt um etwa vier Grad Celsius.
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Die angepassten Größenverhältnisse innerhalb einer Fischschule belegen indes, dass Wachstum und Größe der einzelnen Tiere nicht nur von den Umweltbedingungen abhängen. Vielmehr werde stets ein bestimmtes Größenverhältnis zum jeweils übergeordneten Gruppenmitglied eingehalten. Dadurch würden Konflikte und Vertreibungen vermieden, die mit einer hohen Sterblichkeitswahrscheinlichkeit verbunden seien. Außerdem nahmen nicht alle Fische höhere Temperaturen als Anlass zum Schrumpfen.
Ein Großteil der 134 untersuchten Fische (44 Prozent) schrumpfte einmalig um einige Millimeter, andere mehrmals (30 Prozent). Rund ein Viertel schrumpfte gar nicht. Rang- oder Geschlechtsunterschiede ließen sich dabei nicht erkennen – sehr wohl aber ein Paar-Effekt. In der Folge blieb das Größenverhältnis jeweils ungefähr gleich, wie das Team berichtet. Das sei wichtig, damit es nicht zu verstärkten Reibereien in der klar hierarchisch geordneten Beziehung kommt. Oft gehören weitere Artgenossen mit zur Gruppe – diese Untergebenen sind dann abgestuft noch einmal kleiner.

Die aus dem Animationsfilm „Findet Nemo“ bekannten Echten Clownfische (Amphiprion percula) leben im Schutz von Seeanemonen. Foto: Morgan Bennett-Smith/Newcastle University/dpa
Einige der Fische erlebten das Ende der Studie nicht mehr. Dies traf vermehrt jene, die nicht schrumpften. Die Forscher schlossen daraus, dass Clownfische schrumpften, um Hitzestress besser zu überleben, idealerweise paarweise.
Umgekehrt komme es bei kühleren Bedingungen auch wieder zu koordiniertem Wachstum, so die Forscher.
Fische passen sich an – auch dem Fischfang
Ähnliche Schrumpfungsprozesse könnten eine mögliche Erklärung für den raschen Rückgang der Fischgröße in den zunehmend vom Klimawandel betroffenen Weltmeeren sein, heißt es in der Studie – fest steht diese Erkenntnis aber nicht:
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„Wenn das Schrumpfen einzelner Fische weitverbreitet ist und bei verschiedenen Fischarten vorkommt, könnte dies eine plausible Alternativhypothese dafür sein, warum die Größe vieler Fischarten abnimmt“, erklärte Mitautorin Theresa Rueger.
Eine weitere Hypothese ist, dass Fische vieler Arten kleiner sind, weil größere Exemplare eher von Fischereischiffen weggefangen werden. Daraus resultiert ein Selektionsdruck hin zu immer kleineren, leichter durch die Netze schlüpfenden und so entkommenden Tieren. Die Folge: Mit der Zeit werde die gesamte Art bei stark befischten Spezies immer kleiner.
Die Studie von Versteeg et al. erschien am 21. Mai 2025 im Fachjournal „Science Advances“.

Das Schrumpfen der Clownfische ist keine Einbahnstraße, bei anderen Fischen womöglich schon. Foto: Morgan Bennett-Smith/Newcastle University/dpa
(Mit Material der Nachrichtenagenturen)
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