Die Milchstraße und ihre Mythen: Heilige Sterne und sternenklare Nächte

Sternenklare Nächte sind ein immer seltener werdender Anblick. Die Lichtverschmutzung hindert Millionen Menschen daran, den Nachthimmel mit seinen Phänomenen wie der Milchstraße in all seiner Pracht sehen zu können. Aber das ist ein modernes Problem.
Im Laufe der Geschichte hatten die Menschen meist einen ungehinderten Zugang zum leuchtenden Kosmos. Aber was bedeuteten sternenklare Nächte für antike Gesellschaften? Und warum ist es von Bedeutung, dass sie in unserem Leben immer seltener vorkommen?
Eine göttliche Schöpfung
Jeder kennt die Milchstraße. Aber vielleicht weiß nicht jeder, dass ihr Name aus dem Altgriechischen stammt. „Gala“, von dem wir „Galaxie“ ableiten, bedeutet „Milch“. Ein griechischer Mythos beschreibt die Milchstraße als das Produkt des göttlichen Zorns.
In einer der vielen Varianten heißt es, dass der spätere Held Herakles als Säugling von der Göttin Hera gestillt wurde, um unsterbliche Weisheit zu erlangen. Als die Ehefrau des allmächtigen Zeus erkannte, dass Herakles der uneheliche Sohn von Zeus ist, stieß sie das Kind weg. Dabei verschmierte sie die Milch über den Himmel, was der Galaxie ihren Namen gab.

„Die Entstehung der Milchstraße“, ein Gemälde von Jacopo Tintoretto (1519–1594) aus dem Jahr 1575. Foto: Gemeinfrei
Der goldene Streitwagen und die Milchstraße
Ein zweiter bekannter Mythos, aufgezeichnet von dem griechischen Historiker Diodor (circa 80–20 v. Chr.), besagt, dass die Milchstraße durch Phaethon, dem Sohn des Lichtgottes Apollon, entstanden ist.
Phaethon soll sich danach gesehnt haben, den goldenen Himmelswagen seines Vaters zu fahren. Doch Apollon verbot es ihm, willigte aber ein, Phaethon auf seine verschiedenen Reisen mitzunehmen.
Eines Tages erwachte Phaethon vor der Morgendämmerung, spannte Apollons vier Pferde vor den Wagen und machte sich auf den Weg in den Himmel. Zuerst dachten die Pferde, es sei Apollon. Doch als Phaethons überstürzte Manöver den Tieren die wahre Identität des Wagenlenkers offenbarten, rissen die Pferde an ihren Leinen und begannen, wie wild zu galoppieren. Niemand außer Apollon konnte sie unter Kontrolle halten.
Der Wagen begann, quer durch den Kosmos hin und her zu rasen. Manchmal steuerte er auf die Erde zu und entfachte Stürme und trocknete Länder aus. Zu anderen Zeiten näherte er sich der Himmelskuppel und versengte sie wiederholt mit seiner rasenden Geschwindigkeit.
Zeus fürchtete, dass Phaethons wahnsinnige Fahrt die heilige Stätte der Götter auf dem Olymp verbrennen würde, und erschlug ihn mit einem Blitz. Obwohl der Olymp unversehrt blieb, veränderte Phaethons Raserei den Himmel für immer: Er hatte den Himmel in Flammen gesetzt und die Sterne der Milchstraße entzündet.

Der Fall des Phaethon, dargestellt in einem Deckenfresko der Residenz Eichstätt. Foto: digital cat, Wikimedia Commons | CC BY 2.0
Der Kuhhirte und die Weberin
Aber die Griechen waren keineswegs die Einzigen, die glaubten, dass die Milchstraße eine göttliche Schöpfung sei. In der chinesischen Volkskunde wird die Milchstraße als ein breiter Fluss bezeichnet, der zwei Liebende – einen Kuhhirten, symbolisiert vom Stern Altair, und eine Weberin, symbolisiert vom Stern Wega – voneinander trennt.

Die Erschaffung des Himmelsflusses, symbolisiert durch die Milchstraße. Foto: Gemeinfrei
Die früheste schriftliche Erwähnung dieser Volkssage findet sich in dem „Buch der Lieder“, das vor etwa 3.000 Jahren geschrieben wurde. Die Geschichte war von Anfang an sehr beliebt. In den 1920er-Jahren wurde sie von Chinas „Folklore-Bewegung“ zu einem der vier großen Volksmärchen gewählt.

Einblick in das Buch der Lieder. Foto: Gemeinfrei
Eine Version erzählt von einem jungen Kuhhirten namens Niulang, der beim Baden in einem See auf sieben Feenschwestern stößt. Die Himmelsgöttin hatte die Schwestern damit beauftragt, bunte Wolken zu weben.
Beeindruckt von ihrer Schönheit stahl Niulang die Kleider, die sie an Land zurückgelassen hatten. Er sagte, er würde sie erst zurückgeben, wenn eine der Schwestern ihn heiraten würde. Zhinu war die jüngste und schönste der Schwestern. Sie willigte ein, Niulang zu heiraten, mit dem sie zwei Kinder bekam.
Als die Himmelsgöttin erfuhr, dass Zhinu einen Sterblichen geheiratet hatte, wurde sie wütend. Zhinu hatte ihre Pflicht als Weberin vernachlässigt, um Zeit mit Niulang auf der Erde zu verbringen. Die Göttin zwang sie, das Reich der Sterblichen zu verlassen und in den Himmel zurückzukehren.

Künstlerische Darstellung von dem Hirtenjungen Niulang und der Weberin Zhinu. Foto: Gemeinfrei
Niulang war über Zhinus Verschwinden verzweifelt. Er beschloss, seine beiden Kinder in den Himmel zu bringen und seine Frau zu suchen. Doch dieses Mal hatte die Göttin genug. Sie nahm eine ihrer Haarnadeln und ritzte einen breiten Fluss in den Himmel, um die Liebenden ein für alle Mal zu trennen. Die Milchstraße wurde aus ihrem Zeichen geboren.
Die Göttin befahl Zhinu, sich auf die eine Seite des Flusses zu setzen, wo sie an ihrem Webstuhl webte und sich traurig wünschte, wieder mit ihrem Mann vereint zu sein. Der sterbliche Niulang war gezwungen, zusammen mit ihren beiden Kindern den Himmel aus der Ferne zu betrachten.

Die Wiedervereinigung des Hirtenjungen und seiner Kinder mit ihrer Mutter über eine Brücke aus Elstern. Ein Gemälde aus dem Wandelgang im Sommerpalast von Peking. Foto: Gemeinfrei
Obwohl Zhinu und Niulang nicht für ein gemeinsames Leben bestimmt waren, bekamen sie immer wieder Gelegenheit, sich zu sehen. Einmal im Jahr – in der siebten Nacht des siebten Mondmonats – sollen Elstern eine Brücke gebildet haben, die Zhinu und Niulang kurz zusammenbrachte.
Im 11. Jahrhundert huldigte Qin Guan, ein Dichter der Song-Dynastie, dem Wiedersehen der Liebenden mit folgenden Versen:
Ein Treffen des Kuhhirten und der Weberin inmitten des goldenen Herbstwindes und des jadeglitzernden Taus,
stellt die zahllosen Begegnungen in der irdischen Welt in den Schatten.
Die Gefühle weich wie Wasser,
der ekstatische Moment unwirklich wie ein Traum,
wie kann man es wagen, auf die Brücke aus Elstern zurückzukehren?
Wenn die beiden Herzen für immer vereint sind,
warum müssen dann die beiden Menschen zusammenbleiben –
Tag für Tag, Nacht für Nacht?“
Die Milchstraße ist mehr als heilige Sterne
Geschichten wie „Phaethon und Apollon“ und „Der Kuhhirte und die Weberin“ veranschaulichen, warum die Sterne für uns so wichtig sind. Ob sie Kindern am Kamin erzählt, von Dichtern rezitiert, von Gelehrten und Historikern aufgezeichnet oder bei Volksfesten aufgeführt werden, Mythen wie diese verbinden uns mit dem Kosmos. Sie bieten die Möglichkeit, sich in den Figuren wiederzuerkennen und auch moralische Lektionen zu lernen.
Phaethon verkörpert die Fallstricke des Stolzes, den die Griechen als eine der schlimmsten moralischen Verfehlungen betrachteten. Und Niulang veranschaulicht den Preis, den die Sterblichen zahlen, wenn sie es wagen, sich den Göttern zu widersetzen, indem sie etwas begehren, was ihnen nicht gehört.
Heute wird seine Wiedervereinigung mit Zhinu jedes Jahr im August beim Qiquao-Fest gefeiert. Die Menschen versammeln sich, um traditionelle Speisen zu genießen und eheliches Glück, Hoffnung und Treue zu würdigen.
Die Lichtverschmutzung trennt die Menschen von der Quelle solch mächtiger Mythen. Allein im 21. Jahrhundert ist der Nachthimmel weltweit immer heller geworden. Zwei bemerkenswerte Ausnahmen sind Tucson, USA, und Teile Norditaliens. Beide Orte haben Vorschriften zur Vermeidung von Lichtverschmutzung erlassen. Doch für Millionen Menschen werden die Sterne jedes Jahr immer schwächer.
Doch das Bewusstsein für den Wert der Dunkelheit wächst. Allein in Deutschland sind inzwischen vier Sternenparks entstanden, die es ermöglichen, den faszinierenden Nachthimmel in seiner Pracht wieder zu erleben: im West-Havelland westlich von Berlin, in der Eifel, in der Rhön und in den bayerischen Alpen bei Reit im Winkel.

An vielen Orten ist die Lichtverschmutzung heute so groß, dass die Milchstraße nicht oder kaum mehr erkennbar ist. Foto: ESO/P. Horálek, M. Wallner; CC BY 4.0 Deed | ts/Epoch Times (deutsche Übersetzung)
Indem wir unsere Fähigkeit, mit dem Kosmos in Verbindung zu treten, einschränken, vernichten wir das kulturelle Erbe, das er darstellt. Die Sterne sind nicht nur materielle Körper in einem leeren Universum. Sie sind die Quellen von Mythen, Ideen und moralischen Lehren, die uns an unseren Platz unter der Kuppel des Himmels erinnern.
Sie bringen die Menschen zusammen, beflügeln die Fantasie und erfüllen die Welt mit heiligen Symbolen, die Hoffnung und Schönheit in der Dunkelheit verbreiten.
Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel „The Milky Way and Its Myths: Sacred Stars and Starry Nights“. (redaktionelle Bearbeitung kms)
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