„Thanksgiving“: Geboren aus der Überlebensfreude nach dem „Todeswinter“ – neue Freunde inklusive

Es ist eine Geschichte, wie sie das echte Leben schreibt: Es war ein opferreicher Winter. Doch jene, die dem Tod mehrfach von der Schippe gesprungen waren, bemerkten, dass dem Leiden Glück nun folgte ...
Titelbild
National Monument to the Forefathers (Nationales Denkmal für die Vorväter) in der Allerton Street, in der Nähe des Hafens von Plymouth, Massachusetts, USA.Foto: RJHeddins/CC BY-SA 4.0/via Wikimedia Commons
Von 29. November 2025

Es war vor mehr als 400 Jahren, dass die „Mayflower“ nach monatelanger Fahrt über den Atlantik am 19. November 1620 – nach gregorianischem Kalender – ganz im Nordosten der heutigen USA Land sichtete. Zwei Tage später, am 21. November, ging das Schiff an der Ostküste Neuenglands, in der heutigen Bucht von Provincetown (Cape Cod Bay), vor Anker. Neben den 31 Besatzungsmitgliedern hatte der Dreimaster 102 Passagiere an Bord: 26 Familien und zahlreiche Einzelpersonen, insgesamt 50 Männer, 20 Frauen und 32 Kinder und Jugendliche.

Zwei völlig unterschiedliche Gruppen und Motive

Die Passagiere setzten sich aus zwei Gruppen zusammen: den „Saints“ und den „Strangers“. Die „Fremden“ waren Kaufleute, Handwerker, Bedienstete und Pächter, aber auch Abenteurer, angeheuert von Londoner Investoren, um die neue Kolonie zu unterstützen und Gewinne daraus zu erzielen. Sie alle kamen aus wirtschaftlichen Gründen in die Neue Welt und waren in ihrer Zahl über 60 Personen.

Der Begriff „Strangers“ wurde von der anderen Gruppe geschaffen, um sich, die „Saints“ (die Heiligen), moralisch und religiös von ihnen abzugrenzen. Diese Gruppe gehörte zu den calvinistischen Separatisten, die in England der Verfolgung durch die protestantische Staatskirche ausgesetzt waren. Sie waren bibeltreuer, genügsamer und lehnten die Kirchenhierarchie als eine nicht biblische Erfindung ab, und sie sahen sich als die Auserwählten Gottes an.

Viele von ihnen waren um 1608 in die Niederlande geflüchtet, ein damaliges Zentrum der religiösen Toleranz. Die etwa 40-köpfige Gruppe Puritaner an Bord der „Mayflower“ gehörte zu einer calvinistischen Gemeinde im niederländischen Leiden.

Nach über einem Jahrzehnt dort sorgten sie sich jedoch in dieser säkularen und freizügigen Umgebung um die Bewahrung ihrer religiösen und kulturellen Identität über die Generationen hinweg – und beschlossen, einen Neuanfang in der Neuen Welt zu wagen. Heute nennt man sie allgemein die Pilgerväter (Pilgrims). Symbolisch betrachtet sind sie die Gründerväter der USA.

Am 16. September 1620 (gregorianischer Kalender) begann die Reise der „Mayflower“ im englischen Plymouth. Nach 66 Tagen auf dem Atlantik warf das Schiff am 21. November in der Bucht des heutigen Hafens Provincetown, unweit des heutigen Plymouth, Massachusetts, Anker. Foto: PeterHermesFurian/Backiris/iStock

Der Mayflower Compact – ein Akt der Selbstverwaltung

Die „Saints“ und die „Strangers“ hatten jeweils eine Siedlungserlaubnis der Virginia Company London, einer von der Krone autorisierten Handelsgesellschaft. Dieses galt für ein Gebiet nördlich der 1607 gegründeten Jamestown-Colony. Im Gegenzug sollten alle erwirtschafteten oder erhandelten Einkommen über sieben Jahre lang in einen Fonds einbezahlt werden, der anschließend zwischen den Siedlern und den von der Company vermittelten Investoren aufgeteilt werden sollte. Doch die „Mayflower“ war vom Kurs abgekommen und war viel zu weit im Norden auf Land gestoßen.

Die Folge war ein wertloser Siedlungsvertrag, jede Menge rechtliche Unsicherheit und eine vom Zerfall bedrohte ungleiche Siedlungsgemeinschaft. Um im Interesse aller eine überlebenswichtige Einheit herzustellen, wurde noch vor dem Landgang an Bord des Schiffes der „Mayflower Compact“ verfasst, eine Art erstes Regierungsdokument der neuen Siedlung. Alle männlichen Erwachsenen unter den Siedlern, 41 an der Zahl, unterzeichneten den Vertrag, der eine freiwillige Übereinkunft zur Selbstverwaltung darstellte – mit Gesetzen und Verordnungen.

Die Unterzeichnung des Mayflower-Vertrags am 21. November 1620 an Bord der „Mayflower“ begründete die Plymouth Colony in Massachusetts. Illustration von 1895. Das Urheberrecht ist abgelaufen; das Kunstwerk ist gemeinfrei. Foto: Christine_Kohler/iStock

Der Navigationsfehler der „Mayflower“ hatte für die Siedler noch einen weiteren Haken. Obwohl ihr Siedlungsvertrag in Massachusetts ungültig war, mussten die Siedler den Sieben-Jahres-Vertrag mit den Londoner Investoren der Überfahrt erfüllen. Zusätzlich mussten sie um einen neuen Siedlungsvertrag bei der Virginia Company of Plymouth ersuchen. Doch zunächst galt es, Fuß in der neuen Heimat zu fassen – und den ersten Winter zu überleben …

Ein erster Landgang beim heutigen Provincetown einige Tage nach der Ankerwerfung war nicht erfolgsversprechend für eine Kolonialisierung. Eine wochenlange Suche mit einem Erkundungsboot begann, wobei auch ein unterirdisches Maislager entdeckt wurde, was in bedeutender Weise zum Überleben der Siedler im ersten Winter beitrug. Auch bemerkten sie erstmals Indianer, die sie beobachteten. Ein Kontakt kam jedoch nicht zustande. Wohl aber bei Erkundungen am 18. Dezember an der Küste der Cape Cod Bay, heute Firs-Encounter-Beach, Eastham (Erste-Begegnung-Strand). Die Siedler wurden urplötzlich mit Pfeilen angegriffen und verteidigten sich mit ihren Musketen.

„Plötzlich hörten sie alle am Morgen einen lauten und seltsamen Schrei (…). Einer aus ihrer Gruppe (…) rief: ‚Männer, Indianer, Indianer!‘, und ihre Pfeile flogen umher. (…) Sie griffen schnell zu ihren Waffen und eröffneten das Feuer, woraufhin die Gewalt rasch ein Ende nahm (…), obwohl ihre Pfeile dicht an ihnen vorbeiflogen und sie von allen Seiten umgaben, und viele ihrer Mäntel, die in der Barrikade hingen, durchsiebt wurden“, schilderte der Pilger William Bradford, später Gouverneur der Plymouth Colony, in seinen Annalen. Die Indianer vom Nauset-Stamm zogen sich zurück. Es gab keine Verluste bei den Siedlern.

Im Verlauf ihrer Erkundungen die Küste entlang fanden sie schließlich doch noch einen geeigneten Platz für ihre Siedlung. Das war am 21. Dezember in einem verlassenen Indianerdorf, dessen Bewohner zwischen 1616 und 1619 an von Europäern eingeschleppten Krankheiten gestorben waren – wie zahlreiche andere in einer weitläufigen Region die Küste entlang.

Landung von John Alden („Stranger“)und Mary Chilton („Saint“) am 21. Dezember 1620 auf Plymouth Rock, Massachusetts. Foto: Unknown artist (and unknown engraver) via William Cullen Bryant and Sydney G. Howard (Internet Archive Book Images)/gemeinfrei/CC0/via Wikimedia Commons

Für die Siedler sollte sich dies dennoch als Glücksfall erweisen. Sie trafen in dem Dorf Patuxet auf bestehende günstige Bedingungen für eine Ansiedlung und begannen mit dem Bau erster Häuser und eines Gemeindehauses. Später entstand aus dieser Ansiedlung die Stadt Plymouth, Massachusetts. Doch bis dahin war es noch ein entbehrungsreicher und steiniger Weg.

Im Todeswinter wurde eine Gemeinschaft geschmiedet

Doch zunächst forderte der Schicksalswinter 1620/21 seinen Tribut. Der für die Europäer ungewohnt kalte Winter mit eisigen Küstenwinden, die mangelhafte Ernährung, Unterbringung und Hygiene an Bord führten zu allgemeiner Schwäche und Krankheitserscheinungen, die heute aufgrund der überlieferten Symptome auf Lungenentzündung, Tuberkulose, Typhus und Skorbut zurückgeführt werden.

Die Zeit wurde später auch als die „Great Sickness“ (Große Krankheit) oder die „First Dying Time“ (Erste Sterbezeit) bezeichnet. Viele starben in diesem Winter, insbesondere im Januar und Februar 1621. Sie wurden alle gegenüber dem Plymouth Rock auf einem kleinen Hügel begraben, dem ersten Friedhof der Pilger, der später als Cole’s Hill bekannt wurde. In den Annalen des Pilgervaters William Bradford, späterer Gouverneur der Plymouth Colony, heißt es: „Von den über hundert Personen blieben kaum 50 übrig. Und von diesen waren in der größten Not nur noch sechs oder sieben gesunde Menschen übrig …“

Die Männer – und damit auch die Wehrfähigsten – wurden auf 29 dezimiert und von all den Frauen erlebten nur fünf den nächsten Frühling und die Familien büßten viele ihrer Kinder ein. Nur 19 Kinder und Jugendliche blieben übrig. Viele Männer, ob „Saints“ oder „Strangers“, verloren damit auch ihre wichtigsten Bezugspersonen im Leben. Die tragischen Ereignisse des Winters 1620/21 schmiedeten sie zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammen, stärker, als es jeder Kontrakt vermocht hätte – und für alle galt das christliche Gebot der Nächstenliebe als ein Anker im Meer des Leidens.

Bradford schilderte, dass angesichts der großen Zahl an Kranken die wenigen Gesunden „Tag und Nacht keine Mühe scheuten, sondern unter großem Aufwand und unter Einsatz ihrer eigenen Gesundheit Holz für sie holten, Feuer machten, sie kleideten, ihre Gebetsketten fertigten, ihre abstoßenden Kleider wuschen und sie an- und auszogen (…) willig und liebevoll, ohne jeglichen Groll (…). Ein seltenes und ehrenwertes Beispiel“.

Doch die große Dezimierung brachte noch weitere Gefahren mit sich …

Das Glück kommt zu den Siedlern zurück

Auf einer Seite des amerikanischen National Park Service heißt es dazu: „Berichten zufolge wurden die Toten nachts begraben und ihre Gräber getarnt, um zu verhindern, dass die Indianer den gefährlich geschwächten Zustand der Überlebenden erkannten.“ Die Schrecken des Winters waren vorbei, doch die Angst um das Überleben der Kolonie hatte sich breitgemacht. Im März 1621 kam es dann zu einem Indianerkontakt – ganz unerwartet und ungewöhnlich. Es schien ganz so, als hätte Gott mit seinen Geschöpfen nach all dem Elend Erbarmen gehabt …

Ein Mann betrat die Siedlung und begrüßte die sprachlosen Siedler mit den Worten „Welcome, Englishmen!“ Es war Samoset, ein Häuptling der Abenaki, weiter aus dem Norden, etwa aus dem Gebiet des heutigen US-Bundesstaates Maine. Er hatte von Fischern oder Händlern ein paar Brocken Englisch gelernt und verweilte zu einem Austausch über die aktuelle Lage beim Häuptling der Pokanoket. Dieser hieß Massasoit und war zugleich Oberhäuptling der Wampanoag-Konföderation, zu der zahlreiche Stämme, auch die (von der großen Seuche ausgelöschten) Patuxet und die Nauset, gehörten, die die Siedler an der Cape-Cod-Küste angegriffen hatten.

Als Samoset von Massasoit von den Siedlern erfuhr, beschloss er, den Kontakt aufzunehmen.

Der Indianerhäuptling Samoset (1590–1653) war der erste Ureinwohner, der Kontakt zu den Pilgern der Plymouth Colony in Massachusetts aufnahm. Samoset lernte Englisch von Seeleuten in Maine. Illustrationen aus einem 1895 veröffentlichten Stich. Die Originalausgabe stammt aus einem Geschichtsbuch aus meinem eigenen Archiv. Das Urheberrecht ist abgelaufen, daher gemeinfrei. Foto: Christine_Kohler/iStock

Bei dem Treffen erklärte Samoset den Siedlern die Zusammenhänge. Das verlassene Dorf gehörte zum Patuxet-Stamm, der nun nahezu ausgestorben war. Für die Siedler nicht nur ein Glücksfall hinsichtlich der Bebauung, sondern auch, weil das Gebiet damit praktisch frei war und zu keinem der umliegenden Stämme gehörte.

Doch damit hörte das Glück nicht auf, für die Siedler zu scheinen.

Der zweite Besuch: ein Überlebender und Lehrer

Am 22. März kam Samoset mit einer weiteren Person zurück: Tisquantum oder auch Squanto – der einzige bekannte Überlebende des Patuxet-Stammes, dessen Dorf die Siedler nun besiedelten.

Als Jugendlicher wurde Squanto 1605 nach England entführt, dort von dem Kolonialisten Sir Ferdinando Gorges, Chef der Virginia Company of Plymouth, als Englisch-Dolmetscher ausgebildet und wieder nach Neuengland geschickt, um bei Übersetzungen und der Kartographierung der Küste zu helfen.

1614, kurz vor der Seuche, wurde er wieder entführt, diesmal nach Spanien, um als Sklave verkauft zu werden. Spanische Mönche retteten ihn vor diesem Schicksal, er blieb bis 1618 bei ihnen und ging dann als Dolmetscher an Bord eines englischen Schiffes Richtung Neufundland. Dort traf er auf einen ihm bekannten Kapitän der Plymouth-Company, der ihn 1619 mit nach Neuengland nahm.

Doch dort hatte die Seuche Squantos Volk bereits ausgelöscht, weshalb er bei den Pokanoket und ihrem Oberhaupt Massasoit blieb – und schließlich von dem Abenaki-Häuptling Samoset mit zu den Pilgervätern sein altes, verlassenes Dorf gebracht wurde. Dort erwies sich der „Überlebende“ als Überlebenshelfer. Er zeigte den Kolonisten, die zuvor meist Handwerker und Ladenbesitzer in einem städtischen Umfeld gewesen waren, gute Jagd- und Fischplätze, lehrte sie den Anbau von Mais und die Düngung des kargen Bodens mit Fischen und andere überlebenswichtige Dinge.

Squanto oder Tisquantum lehrte die Kolonisten von Plymouth, Mais anzubauen und zu fischen. Foto: The German Kali Works/New York/gemeinfrei/via Wikimedia Commons

Eine Allianz und „Thanksgiving“

Schließlich kam es durch Vermittlung von Samoset zu einem Treffen mit Massasoit. Die gesamte Wampanoag-Konföderation hatte einige Jahre zuvor große Verluste durch die Seuche erfahren und war militärisch und strategisch geschwächt. Der mächtigste Konkurrent im Süden Neuenglands waren die Narragansett von Rhode Island. Sie waren durch ihre Abgelegenheit von der Seuche weitgehend verschont geblieben und machten nun Massasoit große Sorgen. Dieser Umstand spielte den Siedlern in die Karten und führte schließlich zu einer Allianz mit den Wampanoag, die auch als eine Art Zwischenhändler zwischen den Engländern und den weiter landeinwärts lebenden Indianern fungierten.

Im Herbst 1621 fand das erste „Thanksgiving“ statt. Die Danksagung gegenüber Gott und den indigenen Überlebenshelfern war nach dem Todeswinter groß. Die rund 50 überlebenden Siedler von der Mayflower trafen sich nach der reichlichen Ernte und den Jagderfolgen zum dreitägigen Schmaus mit Massasoit und etwa 90 Indianern, die ihrerseits auch reichlich Wild mit zum Fest brachten. Denn auch bei Ihnen war ein Fest im Herbst bekannt, „Grüner Maistanz“ genannt und verbunden mit rituellen Reinigungszeremonien.

Das heute geläufige „Thanksgiving“-Fest etablierte sich allerdings in den USA erst im Jahr 1863. Während des Bürgerkriegs erhob Präsident Abraham Lincoln „Thanksgiving“ zum nationalen Feiertag, der jährlich am letzten Donnerstag im November begangen wird. Zuvor hatte die Autorin und Herausgeberin Sarah Josepha Hale jahrzehntelang Briefe an Gouverneure und Präsidenten geschrieben, um einen landesweiten festen Feiertag zu erreichen.

National Monument to the Forefathers in Plymouth, Massachusetts, errichtet von der Pilgrim Society im Jahr 1889. Foto: demerzel21/iStock



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