Bald 100 Millionen Grad in Deutschland: Kernfusion in greifbarer Nähe?

Der Kernfusion wird nachgesagt, dass sie der Menschheit Energie im Überfluss zur Verfügung stellt – sobald sie denn wirklich in Serie gehen kann. Seit Beginn der Forschung ist der Durchbruch immer wenige Jahrzehnte entfernt.
Das Start-up Proxima Fusion könnte mit der Präsentation von Stellaris der Realisierung dieser Technologie jetzt einen Schritt näher gekommen sein. Stellaris ist laut dem Unternehmen das weltweit erste Konzept für ein kommerzielles Fusionskraftwerk, das für einen zuverlässigen und kontinuierlichen Betrieb ausgelegt sein soll.
Proxima Fusion stellte das Konzept kürzlich in einem neuen, von mehreren Experten begutachteten Artikel vor und spricht dabei in einer Pressemeldung von einem „Meilenstein“.
Was ist neu?
Das in München ansässige Start-up hat angekündigt, den Prototyp Stellarator Alpha zu bauen. Dieser soll bis 2031 erstmals Fusionsenergie erzeugen, die für den Dauerbetrieb geeignet ist. Dieser Prozess soll schließlich die Tür zur kommerziellen Nutzung der Fusionsenergie öffnen.
Der Stellaris ist eine Weiterentwicklung auf Grundlage der Ergebnisse des Wendelstein 7-X (W7-X)-Forschungsexperiments unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik (IPP). Die Finanzmittel in Höhe von bislang mehr als 1,3 Milliarden Euro stellen die deutsche Bundesregierung und die Europäische Union zur Verfügung.

Blick auf den Forschungsreaktor „Wendelstein 7-X“ im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik. Foto: Stefan Sauer/dpa
Laut Proxima Fusion gibt es vor allem Fortschritte bei den supraleitenden Magneten mit hoher Temperatur und rechnergestützter Optimierung. Dadurch entstehe ein Hochfeld-Stellarator-Design, das erstmals die physikalische Leistung und die technischen Einschränkungen bei der Stromerzeugung in Einklang bringen soll.
Die starken Magnete sind maßgeblich für das Funktionieren eines Fusionsreaktors. Jorrit Lion, Mitbegründer und leitender Wissenschaftler von Proxima Fusion, erklärte hierzu auf Anfrage der Epoch Times: „Die Elektromagnete erzeugen ein starkes magnetisches Feld mit einer Stärke, die wir sonst nur aus einem Kernspintomografen [Magnetresonanztomografie (MRT)] kennen – mehrere Tesla.“ Ein MRT-Gerät operiert normalerweise mit Magnetfeldstärken von 1,5 bis 3,0 Tesla. Zum Vergleich: Das Erdmagnetfeld ist mit einer Magnetfeldstärke von nur 0,00005 Tesla etwa 20.000-mal schwächer.
Lion ergänzte: „Dieses magnetische Feld ist entsprechend geformt und agiert dadurch als magnetischer Käfig für die heißen Wasserstoffteilchen im Plasma.“ Generell erhalte man mit höherer Magnetfeldstärke höhere Druckunterschiede im Plasma. „Das ist wünschenswert, um Fusion zu erreichen – mehr Plasmadruck bedeutet mehr Fusion“, so Lion weiter.
„Der Weg ist frei“
Francesco Sciortino, Mitbegründer und Geschäftsführer von Proxima Fusion, ergänzte:
Der Weg zu kommerziellen Fusionskraftwerken ist jetzt frei. Stellaris ist das erste von Experten begutachtete Konzept für ein Fusionskraftwerk, das für einen zuverlässigen und kontinuierlichen Betrieb ausgelegt ist, ohne die Instabilitäten und Störungen, die bei Tokamaks und anderen Ansätzen auftreten.“
Der Tokamak ist ein weiterer Typ eines Fusionsreaktors, bei dem das Plasma in einer torus- oder donutförmigern Form rotiert. Hingegen hat das rotierende Plasma bei Wendelstein und Stellarator eine schlankere Kreisform, die zudem in sich verdreht ist. Das ist der Grund, warum der vorgestellte seine besondere Form hat.
Weiter sagte Sciortino: „Angesichts des steigenden globalen Energiebedarfs und der zunehmenden Notwendigkeit der Energiesicherheit in Europa ist es dringender denn je, durch Fusion unbegrenzt saubere Energie zu gewinnen, und Proxima hat es sich zur Aufgabe gemacht, Europa in eine Zukunft mit Fusionsenergie zu führen.“
Wie entsteht Strom bei der Kernfusion?
Das Plasma im Inneren des Reaktors soll eine unvorstellbar hohe Temperatur im Bereich von mehr als 100 Millionen Grad Celsius erreichen. Diese Hitze herrscht im Plasmainneren. Zum Vergleich: Selbst im Zentrum der Sonne erreichen die Temperaturen „nur“ 15 Millionen Grad, doch aufgrund des niedrigeren Drucks sind auf der Erde höhere Temperaturen nötig. Sowohl auf der Sonne als auch im Fusionsreaktor fällt die Temperatur des Plasmas zum Rand hin ab. Auf der Sonnenoberfläche herrschen noch rund 6.000 Grad Celsius, im Fusionsreaktor sollen es rund 100.000 Grad sein.
Doch mit welchem Prozess wird diese Hitze nun in elektrischen Strom umgewandelt? Lion erklärte gegenüber Epoch Times: „Zwischen dem Plasma und den Elektromagneten wird eine sogenannte ‚Decke‘ installiert. Dabei handelt es sich um eine etwa einen Meter dicke Struktur, durch die eine flüssige Lithium-Blei-Legierung fließt.“

Aufbau des Stellaris-Fusionsreaktorkonzepts. In der „Blanket“ (blaugrau, gelb umrandet) befinden sich Rohre, um die Wärme des Plasmas (hellblau) abzuleiten und nutzbar zu machen. Foto: Bildschirmfoto Proxima Fusion
Ebenso befänden sich in dieser Schicht „separate Wasserrohre, die die Wärme über einen separaten Kreislauf nach außen leiten. Die Wärme in der ‚Decke‘ entstehe durch das Abbremsen der Neutronen aus der Fusionsreaktion“. Dieses erhitzte Wasser könne dann eine Dampfturbine antreiben, die über einen Generator Strom liefert. Auch herkömmliche thermische Kraftwerke verfahren auf diese Weise, nur mit dem Unterschied, dass diese Wasser mit klassischen Brennstoffen, Kernenergie oder gebündelter Sonnenstrahlung erhitzen.
„Es gibt andere Vorschläge, bei denen superkritisches CO₂ anstelle von Wasser verwendet wird, was effizienter ist, aber das Prinzip bleibt dasselbe“, fügte Lion hinzu.
Spiralisiertes Plasma
Lion beantwortete zudem die Frage, warum das Plasma beim Stellaris eine solch aufwendig spiralisierte Form haben muss. „Der Stellarator benutzt speziell geformte Elektromagnete, die benötigt werden, um den magnetischen ‚Käfig‘, in dem sich die heißen Teilchen befinden, wirklich ‚dicht‘ zu bekommen.“
Die geformten Magnete würden eine innere Rotation im Magnetfeld erzeugen, „die die Drift der Teilchen ausgleicht, sodass die Teilchen auch über längere Zeiträume hinweg im Zentrum des Plasmas bleiben“.
DIW: „Kernfusion nicht absehbar“
Proxima Fusion will das Fusionskraftwerk zum Leben erwecken und arbeitet an der Vision, in den 2030er-Jahren unbegrenzt sichere und saubere Fusionsenergie in das Stromnetz einspeisen zu können.
Allerdings blicken einige kritisch auf die Forschung an der Kernfusion. So äußerte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einer kürzlich veröffentlichten Ausarbeitung Zweifel an der Umsetzbarkeit dieser Technologie. Darin orientiert es sich unter anderem an mehreren Prognosen aus der Vergangenheit, die sich regelmäßig verschoben haben sollen.
Kernfusion gilt als Hoffnungsträger für die Energiewende. Trotz staatlicher & privater Initiativen liegt eine kommerzielle Nutzung von Fusionsenergie – wenn überhaupt – in weiter Zukunft. DIW-Forscherin @CKemfert et al. zum Stand der Kernfusions-Forschung https://t.co/7JBGC5NKxI pic.twitter.com/4KkLXJm8kv
— DIW Berlin (@DIW_Berlin) March 26, 2025
Der Wirtschaftswissenschaftler Christian von Hirschhausen teilte als Mitautor der Ausarbeitung mit: „Die Nutzung der Kernfusion für die Strom- und Energieversorgung ist wie seit 70 Jahren nach wie vor nicht absehbar. Im Gegensatz zu den traditionellen Pilotprojekten der öffentlichen Großforschungsanlagen, die oftmals verzögert sind, konzentrieren sich neue, privat kofinanzierte Unternehmen auf anwendungsorientierte Forschung.“
Mit anderen Worten: Seit mehreren Jahrzehnten wird an der Kernfusion geforscht, und der Durchbruch ist immer wenige Jahrzehnte entfernt. Unabhängig vom Zeitpunkt der Betrachtung. Proxima Fusion hat diesen Zeitrahmen nun auf sechs Jahre reduziert und ein Enddatum genannt. Letztendlich bleibt aber weiterhin abzuwarten, wann sich die Menschheit über diese üppige Energiequelle freuen kann. Eine erfolgreiche Umsetzung könnte indes nichts Geringeres als die Welt verändern.
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