Charles Dickens: Disziplin als Geburtshelfer der Kreativität

Von wegen auf Inspiration warten. Die englische Literaturlegende Charles Dickens nutzte Disziplin, körperliche Betätigung und klare Strukturen, um sein Genie zu beflügeln.
Titelbild
„Dickens’s Dream“ von Robert William Buss.Foto: Charles Dickens Museum, London; gemeinfrei
Von 6. November 2025

Der immens beliebte Schriftsteller Charles John Huffam Dickens gilt als der größte viktorianische Romancier. Er war das viktorianische Äquivalent eines Rockstars, tourte durch England und die ganze Welt und erfreute sich zu Lebzeiten größerer Popularität als jeder andere Schriftsteller zuvor.

Doch wie viele andere große Künstler stolperte auch Dickens nicht zufällig zum Erfolg. Es war das Ergebnis bewusster Anstrengung, Disziplin und eines ausgewogenen Tagesablaufs – natürlich gepaart mit angeborenem Talent und einer Genialität, wie es wahrscheinlich pro Generation nur einmal vorkommt.

Die Ergebnisse waren beeindruckend und faszinieren bis heute Leser in allen 150 Sprachen, in die sein Werk übersetzt wurde.

Inspiration und Disziplin sind verbunden

Dickens behandelte seine kreative Arbeit wie jeden anderen Job. Er war pünktlich und hielt feste Arbeitszeiten ein. Er wartete nicht darauf, dass die Muse ihn mit Inspiration überschüttete oder die richtige Stimmung ihn wie ein Blitz vom Himmel traf, bevor er zur Feder griff.

Eine solch romantische Sicht auf kreative Prozesse hätte seine Arbeit wahrscheinlich behindert. Dickens wusste, dass Inspiration oft erst kommt, nachdem man sich an die Arbeit gemacht hat, nicht vorher. Sie begleitet den Schriftsteller erst als Reisebegleiter, nachdem er mit dem täglichen Arbeitspensum begonnen hat.

In Mason Curreys Buch „Daily Rituals: How Artists Work“ (zu Deutsch etwa: Tägliche Rituale: Wie Künstler arbeiten) werden die Worte von Dickens’ ältestem Sohn zitiert: „Kein Stadtschreiber war jemals methodischer oder ordentlicher als er; keine eintönige, monotone, konventionelle Aufgabe hätte jemals mit mehr Pünktlichkeit oder geschäftsmäßiger Regelmäßigkeit erledigt werden können als seine Arbeit, die er seiner Vorstellungskraft und Fantasie widmete.“

Laut Currey stand Dickens um 7 Uhr auf, frühstückte um 8 Uhr und begann um 9 Uhr in seinem Arbeitszimmer zu arbeiten. Er machte eine kurze Mittagspause, in der er schnell und mechanisch aß, während seine Gedanken noch immer um seine Arbeit kreisten, und arbeitete dann bis 14 Uhr weiter. Dickens schrieb in dieser Zeit oft 2.000 bis 4.000 Wörter. Aber selbst wenn er nicht viele Wörter zu Papier brachte, blieb er in seinem Arbeitszimmer und tagträumte oder kritzelte weiter.

Nachdem er fertig war, unternahm er einen anstrengenden dreistündigen Spaziergang durch die Straßen Londons, wobei seine Augen nach allen möglichen Fetzen oder Fragmenten der Inspiration suchten. Diese Erfahrung Londons aus erster Hand trug zweifellos dazu bei, dass der Romanautor die Stadt in seinen Werken so lebendig und lebensecht wiedergibt.

Um 18 Uhr aß Dickens zu Abend und entspannte sich dann bei Gesprächen mit Familie und Freunden, bis er gegen Mitternacht zu Bett ging.

„Charles Dickens“ von Daniel Maclise. Foto: Gemeinfrei

Zweckmäßigkeit trifft Präzision

So wie Dickens darauf achtete, seine regelmäßigen Arbeitszeiten einzuhalten, unabhängig davon, ob er inspiriert war oder in dieser Zeit viel schrieb, war er auch bei der Gestaltung seiner Arbeitsumgebung penibel.

Er verlangte absolute Stille und ließ sogar eine zusätzliche Tür einbauen, um sein Arbeitszimmer schalldicht zu bekommen. Die Gestaltung seines Schreibtisches war dabei ebenso von größter Wichtigkeit. Er legte Wert auf Gänsefedern, Blumen und zwei Statuetten. Eine stellte ein duellierendes Krötenpaar dar, eine andere einen Gentleman, umgeben von Welpen. Er bevorzugte schwarze Tinte, wechselte jedoch Ende der 1840er-Jahre zu blauem Papier und blauer Tinte.

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Dickens machte sich für seine Projekte auch sorgfältig Notizen und Gliederungen. Das war deshalb besonders wichtig, weil Dickens praktisch alles in fortlaufender Form veröffentlichte – kurze Fortsetzungen in Zeitschriften und Magazinen, die über Monate oder Jahre hinweg erschienen, bis der Roman fertig war.

Einen Fortsetzungsroman zu planen und zu strukturieren, während man ihn schreibt und veröffentlicht, ist keine leichte Aufgabe. Da die bereits veröffentlichten Fortsetzungen „in Stein gemeißelt“ sind, gibt es keine Möglichkeit der Überarbeitung mehr, um das Buch in eine neue Richtung zu lenken oder Fehler zu korrigieren.

Dickens musste also anpassungsfähig, aber auch vorausschauend und methodisch sein. Das erreichte er durch „Planblätter“, eines für jede Fortsetzung. Michael Slater beschreibt Dickens’ Planblätter in seiner Biografie des Schriftstellers:

„Er bereitete ein etwa 18 x 23 cm großes Blatt Papier vor, indem er es seitlich drehte, sodass die lange Seite horizontal lag, es in zwei Hälften teilte und die linke Seite für das verwendete, was er ‚Mems‘ nannte. Dabei handelte es sich um Notizen an sich selbst über Ereignisse und Szenen, die in der Ausgabe vorkommen könnten, Anweisungen zum Erzähltempo, bestimmte Phrasen, die er einbauen wollte, und Fragen an sich selbst, ob diese oder jene Figur in dieser Ausgabe erscheinen oder in den Startlöchern bleiben sollte.

Auf die rechte Seite des Blattes schrieb Dickens im Allgemeinen die Nummern und Titel der drei Kapitel, aus denen jeder Monatsteil bestand, und notierte, entweder vor oder nach dem Schreiben, die Namen der Hauptfiguren und Ereignisse jedes Kapitels, gelegentlich auch ein entscheidendes Dialogfragment.“

Altes Foto von Charles Dickens’ Haus in Gad’s Hill Place in Higham, Kent. Das Haus ist heute eine Schule und kann besichtigt werden. Foto: ilbusca/Getty Images

Die Kraft guter Gesundheit

Ein Geheimnis von Dickens’ Erfolg scheint sein aktiver Lebensstil gewesen zu sein, der ihm Energie und Vitalität bewahrte. Zusätzlich zu den bereits beschriebenen ausgedehnten Spaziergängen nahm Dickens im Winter täglich kalte Bäder, wie er in einem Brief an die deutsche Schriftstellerin Sophie Verena (Sophie Alberti) aus dem Jahr 1865 preisgibt. Im selben Brief betonte Dickens auch, wie wichtig es ist, eine gute Gesundheit zu pflegen und geistige Arbeit mit körperlicher Anstrengung in Einklang zu bringen.

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Über sich selbst sagte er: „Ich bin jetzt 44. Auf dem Papier sieht das ziemlich viel aus, finde ich; aber ich glaube, ich sehe noch sehr jung aus, und ich weiß, dass ich ein sehr aktiver, vitaler Kerl bin, der aus eigener Erfahrung nie wusste, was das Wort ‚Erschöpfung‘ bedeutet.“

Er schlug weiter vor, dass ein Schriftsteller neben körperlicher Betätigung auch irgendeine andere, „leichtere“ intellektuelle Beschäftigung haben sollte, um den Geist ins Gleichgewicht zu bringen. „Gewohnheitsmäßig habe ich neben intensiver körperlicher Betätigung immer auch eine leichte geistige Beschäftigung ausgeübt, um meine Arbeit als Autor abwechslungsreich zu gestalten.“

Dieser ausgewogene Ansatz scheint für Dickens zweifellos funktioniert zu haben, da er ein erstaunlich umfangreiches Gesamtwerk von 15 Romanen, fünf Novellen, Hunderten Kurzgeschichten und Artikeln sowie Tausenden Briefen verfasste. Gleichzeitig unternahm er ausgedehnte, durchaus anstrengende Lesereisen.

Dank Dickens’ geregeltem Tagesablauf und seinem strengen Lebensstil verfügt die Welt über einen Schatz an Werken, an dem sie sich noch jahrhundertelang erfreuen wird.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei theepochtimes.com unter dem Titel „Charles Dickens’s Daily Routine: Cold Plunges, Long Walks, and Set Hours“. (Übersetzung und redaktionelle Bearbeitung sm)



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