Die Madonna und ihr Kind: 1.500 Jahre mütterliche Liebe

Es ist Mai und wie jedes Jahr steht der Muttertag vor der Tür. Wenn wir dem antiken Dichter Ovid glauben können, ist dieser Monat nach Maia, der römischen Göttin des Frühlings und des Wachstums, benannt. Ebendarum ist der Mai noch heute in der westlichen Kultur mit Fruchtbarkeit verbunden.
Die alten Griechen und Römer feierten jenen Monat, der den Frühling mit dem Sommer verbindet, mit Riten und Festen. Maibäume mit ihren Bändern, Zweigen, Girlanden und Tänzerinnen symbolisieren die alte Verbindung zwischen Mai und Fruchtbarkeit.

„Bauerntanz um dem Maibaum“ von Pieter Brueghel dem Jüngeren aus dem 16. Jahrhundert. Foto: Gemeinfrei
Schon früh in ihrer Geschichte verknüpften die Christen Maria, die Mutter Jesu, mit dem Mai, vielleicht um heidnische Feste an ihren Glauben anzupassen. Erst im 18. Jahrhundert begannen die Jesuiten, dies offiziell anzuerkennen. Durch ihre Schulen verbreitete sich das Konzept des Mai als Marienmonat schließlich in der gesamten westlichen Christenheit. Heute ehrt die katholische Kirche Maria in diesem Monat als „Mutter Gottes und Mutter der Kirche“.
Im Laufe der langen Entwicklung der Marienverehrung schufen christliche Künstler unzählige Gemälde und Statuen der Madonna mit Kind. Obwohl die katholische Kirche eine Reihe von Heiligen als Schutzpatroninnen der Mutterschaft anerkennt, ist die Madonna immer die wichtigste geblieben. Von den ersten Ikonen bis in die heutige Zeit sind es diese Mutter und ihr Sohn, die das Herz der Betrachter berühren und ihre Fantasie wecken.

Ikonen wie die Cambrai Madonna sind Heiligenbilder, die vor allem in den Ostkirchen zu finden sind. Foto: Gemeinfrei
Fenster in den Himmel
Wie der Ikonograf Anthony Sweere erklärt, „wird die Ikone im Osten als ein Sakrament betrachtet, als einen Kanal der Gnade. Ikonen sind Fenster zum Himmel. Die Ikone zeigt Ihnen durch ein Bild das Leben am Thron Gottes. Aber das Leben, das Sie sehen, sieht auch Sie.“
Jahrhundertelang waren solche Ikonen eine Hauptform der christlichen Kunst. Jene, die Maria und das Jesuskind zeigen, enthalten in der Regel religiöse Symbole, die für diejenigen, die sie deuten können, eine tiefe Bedeutung haben. Außerdem wird das Christuskind häufig als kleiner Mann oder als ein Säugling mit einem erwachsenen Gesicht dargestellt.
Die australische Theologin Angela McCarthy stellte zu Recht fest, dass „viele dieser Bilder ziemlich hässlich sind“. Später erklärt McCarthy aber, dass es den Künstlern „nicht um Naturalismus, sondern vielmehr um theologischen Ausdruck“ ging. Es war ein Versuch, Christus sowohl als göttlich als auch als menschlich darzustellen, in seiner vollen Ausprägung von Geburt an.

Byzantinische Doppelikone mit der Heiligen Jungfrau Maria. Foto: Gemeinfrei
Europas schönste Madonna
Das in der Renaissance gemalte „Gnadenbild Unserer Lieben Frau von der immerwährenden Hilfe“ ist wegen seiner Schönheit und Symbolik eine der berühmtesten Darstellungen der Madonna in Westeuropa.
Markant ist beispielsweise, dass Maria den Betrachter direkt anschaut und nicht auf das Christuskind blickt. Über dem Paar schweben die Erzengel Michael und Gabriel, die die Instrumente – Speer, Schwamm, Kreuz, Nägel – der Kreuzigung Christi halten. Christus ergreift die Hand seiner Mutter, ein Symbol des Schutzes. Außerdem hat sich eine seiner Sandalen gelockert, was auf seine Angst und eine Flucht zu ihr hindeutet.
Die griechischen Buchstaben verraten uns die Namen der dargestellten Personen, und auch die Farben haben eine bestimmte Bedeutung. Gelb wird beispielsweise mit dem Himmel verbunden, während Marias blauer Mantel für Transzendenz und das göttliche Geheimnis stehen kann.

„Gnadenbild Unserer Lieben Frau von der immerwährenden Hilfe“. Foto: RufflesDeQueijo, Wikimedia Commons | CC BY-SA 4.0
Mutterschaft im Mittelpunkt
Bis heute hat die orthodoxe Kirche diesen Ikonenstil beibehalten. Die westlichen Künstler der katholischen und der evangelischen Kirche hingegen stellten seit dem 14. Jahrhundert sowohl Maria als auch Jesus naturgetreuer dar. Auf diesen Gemälden richtet Maria ihre Aufmerksamkeit zudem stärker auf ihr Kind, und Jesus sieht eher wie ein Säugling als ein kleinwüchsiger Erwachsener aus.
Die spätmittelalterliche „Maestà“ von Duccio di Buoninsegna mit ihrer Versammlung von Heiligen, die Maria und das Jesuskind umgeben, gilt als der Beginn dieser Abkehr vom Stil der byzantinischen Ikonen hin zum Naturalismus. 200 Jahre später, als die Renaissance in Italien aufblühte, waren diese realistischeren Gemälde der Madonna mit Kind sowohl alltäglich als auch beliebt.

„Maestà“ von Duccio di Buoninsegna. Foto: Gemeinfrei
Leonardo da Vincis „Anna selbdritt“ trägt den blauen Mantel, der traditionell mit Maria in Verbindung steht. In diesem Gemälde streichelt das Christuskind ein Lamm, das für den Guten Hirten steht. Aber die Gesichter von Maria und ihrer Mutter Anna, insbesondere das für müde und liebende Mütter so typische halbe Lächeln, lenken unsere Aufmerksamkeit auf die Frauen.

„Anna selbdritt“, gemalt von Leonardo da Vinci (1452–1519). Foto: Gemeinfrei
In seiner „Madonna mit dem langen Hals“, einem Auftragswerk für eine Kirche in seiner Heimatstadt Parma, zeigt Francesco Mazzola – besser bekannt als Parmigianino – eine Madonna, die links von Engeln begleitet wird. Zu ihrer Rechten steht der viel kleiner dargestellte Heilige Hieronymus, dessen Größe im Verhältnis zu seinem menschlichen Status gegenüber den himmlischen Gestalten steht.

„Madonna mit dem langen Hals“ von Parmigianino. Foto: Gemeinfrei
Im Gegensatz zu den Ikonen ist dieses Gemälde der Engel und der Madonna sinnlich und ungewöhnlich. Am auffälligsten ist das Kind mit seinem unnatürlich langen Körper, das auf dem Schoß seiner Mutter liegt. Parmigianino hat hier eine Vorahnung von Christi Tod am Kreuz dargestellt – eine Pietà, die eher einen kleinen Sohn als einen Mann zeigt.
Die moderne Madonna
In den 1890er-Jahren malte Roberto Ferruzzi die „Madonna von der Straße“, ein durch und durch modernes Porträt von Mutter und Kind. Der traditionelle blaue Umhang ist geblieben, und der goldene Schal, der ihr Haupt bedeckt, spiegelt die Farbe des Himmels wider. Aber es ist der Blick auf dem Gesicht dieser Madonna, der unsere Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Ihre Augen sind himmelwärts gerichtet, und sie scheint jemandem zuzuhören, während ihr Baby friedlich an ihrer Brust schläft.
Interessanterweise wollte Ferruzzi dieses Gemälde nicht als Porträt von Maria und Jesus malen. Als Inspiration diente ihm ein elfjähriges Mädchen, dem er eines Tages in den Straßen Venedigs begegnete und das seinen kleinen Bruder festhielt, um ihn vor der Winterkälte zu schützen.

„Madonna von der Straße“ von Roberto Ferruzzi. Foto: Gemeinfrei
Vielleicht weil er das Gemälde „La Madonnina“ („Kleine Madonna“) nannte, sah das italienische Publikum darin die Madonna mit Kind. Inzwischen ist das Gemälde so berühmt, dass unzählige Reproduktionen in den Häusern und Kirchen auf der ganzen Welt hängen.
1922, kurz vor Weihnachten, stellte die ehemalige US-amerikanische Zeitschrift „Saturday Evening Post“ ihren Lesern die zeitgenössische „Moderne Madonna mit Kind“ von J. C. Leyendeckers in ihrem Art-déco-Kleid vor. Noch ein Jahrhundert später greifen Künstler wie Henry Wingate und Liz Lemon Swindle zu Pinsel und Farbe, um die Jungfrau Maria und das Jesuskind darzustellen.

„Moderne Madonna mit Kind“ von J. C. Leyendeckers in der „Saturday Evening Post“-Ausgabe vom 23. Dezember 1922. Foto: Gemeinfrei
Die Schönheit der Mutterschaft
Wir haben hier kaum an der Oberfläche der unzähligen Marienbilder gekratzt – von den einfachen frühchristlichen Ikonen hin zu den Werken der heutigen Künstler. Cindy Ingrams zeigt ihre „25 Lieblingsmadonnen und -kinder in der Kunstgeschichte“ in einem Beitrag. Eine andere Website listet über einhundert der „größten Kunstwerke der seligen Jungfrau Maria“ auf. Doch auch das ist längst nicht alles.
Aus der Kunst, der Literatur und der christlichen Lehre wissen wir, dass bis zur Reformation die gesamte Christenheit Maria in ihrer Rolle als Mutter auf unterschiedlichste Weise verehrte, unter anderem durch Fürbittgebete und Wallfahrten zu ihr geweihten Heiligtümern und Kirchen. In der Spätrenaissance waren ihr Bild und ihr Ruf in den Kirchen, den Häusern der Wohlhabenden und einigen öffentlichen Räumen allgegenwärtig.
Wir wissen auch, dass diese Marienbilder 1.500 Jahre lang bestimmte Tugenden der Mutterschaft förderten: Zärtlichkeit, Schutz, Fürsorge und Liebe. Um es grob auszudrücken, diese Werke wirkten wie eine ständige Werbung für die Mutterschaft, auch wenn dies nicht beabsichtigt war.

„Rast auf der Flucht nach Ägypten“ von Gerard David (1450/1460–1523). Foto: Gemeinfrei
Madonna als Vorbild, Hoffnung und Trost
Die Madonna wurde zum Vorbild einer guten Mutter, deren Darstellung auf der Leinwand das Herz von Millionen Betrachtern berührt. Schließlich hat jeder von uns eine Mutter. Es handelt sich also um mehr als nur um Kunstwerke, an denen wir in einem Museum oder einer Kirche vorbeischlendern.
Im Laufe der Jahrhunderte haben diese Gemälde zweifellos unzähligen Frauen Inspiration, Hoffnung und Trost gespendet, die von guten Müttern gesegnet sind. Vielleicht spenden die Marienbilder auch denjenigen Trost, die mit ihrer Mutter unglücklich sind oder sie verloren haben.
Es ist Mai. Unabhängig von unserem religiösen Glauben können wir uns diese Gemälde oder ihre Reproduktionen ansehen und uns an diesem Muttertag etwas Besonderes von ihnen schenken lassen.
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Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel „Madonnas, Mothers, and May: 1,500 Years of Art“. (redaktionelle Bearbeitung kms)
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