Marcus Aurelius und die Kunst, standzuhalten
Es gibt keinerlei Hinweise, dass der römische Kaiser Marcus Aurelius (Mark Aurel) jemals beabsichtigt hatte, sein kurz vor dem Tod geschriebenes Buch „Selbstbetrachtungen“ veröffentlichen zu lassen. Doch seit Jahrhunderten beeindruckt es unzählige Menschen auf der ganzen Welt. Diese Sammlung von kurzen Essays und Aphorismen, die inzwischen in Dutzende Sprachen übersetzt wurde, wird von großen Schriftstellern, Staatsmännern und Philosophen als bedeutende Inspirationsquelle bezeichnet.
Eine denkbare Erklärung für diese ungebrochene Beliebtheit ist die Unvergänglichkeit seiner Erkenntnisse. Der Kaiser schrieb mit erfrischender Offenheit über das Wesen und den Sinn des Lebens sowie über Zusammenhänge des Kosmos. Dabei schilderte er bemerkenswerte Beobachtungen über die unveränderlichen Wahrheiten der menschlichen Existenz.
Eine seiner Weisheiten lautet: „Sage zu dir in der Morgenstunde: Heute werde ich mit einem unbedachtsamen, undankbaren, unverschämten, betrügerischen, neidischen, ungeselligen Menschen zusammentreffen.“ (2. Buch/Nr.1)
„Keiner kann mir Schaden zufügen, denn ich lasse mich nicht zu einem Laster verführen“, fuhr Aurelius fort. „Ebensowenig kann ich dem, der mir verwandt ist, zürnen oder ihn hassen; denn wir sind zur gemeinschaftlichen Wirksamkeit geschaffen, wie die Füße, die Hände, die Augenlider, wie die obere und untere Kinnlade. Darum ist die Feindschaft der Menschen untereinander wider die Natur; Unwillen aber und Abscheu in sich fühlen ist eine Feindseligkeit.“
Wer diese aus der Feder des Kaisers vor mehr als 1.850 Jahren stammenden, weisen Worte beherzigt, kann einem stressgeladenen Berufsalltag gelassen entgegensehen.
Aurelius wurde 121 n. Chr. in eine bedeutende Familie des Römischen Reiches hineingeboren. Seine Ausbildung erfolgte durch einige der renommiertesten Lehrer und Philosophen seiner Zeit. Dabei strebte er nicht nach politischer Macht – er begegnete ihr sogar mit Misstrauen. Als Thronfolger sah Aurelius es jedoch als seine Pflicht an, seine Verantwortung wahrzunehmen.
In den ersten zehn Jahren seiner Herrschaft wurde das Imperium von mehreren großen Naturkatastrophen sowie einer Pest heimgesucht, die einen Großteil der Armee dahinraffte. Für die Verteidigung der weitläufigen Grenzen bedeutete dies eine erhebliche Schwächung, sodass Aurelius einen beträchtlichen Teil seiner Regierungszeit damit verbrachte, Invasionen aus dem Norden und Osten abzuwehren.
Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er als Befehlshaber der Armee an der Nordgrenze, weit entfernt von seiner Heimat und seiner Familie. In dieser Zeit schrieb er das Buch „Selbstbetrachtungen“, das den Leser auf eine Reise in die kaiserliche Wertvorstellung mitnimmt.
1. Denke und handle mit Vernunft
Aurelius sprach sich dafür aus, dass man jede Handlung in seinem Leben so ausführen sollte, als wäre es die letzte, „frei von Überstürzung, ohne irgendeine Leidenschaft, die der Vernunft ihre Herrschaft entzieht, ohne Heuchelei, ohne Eigenliebe und mit Ergebung in den Willen des Schicksals“. (2/5)
Wie die meisten gebildeten Römer seiner Zeit sprach Aurelius fließend Griechisch und verfasste auch sein Werk in eben dieser Sprache. Der griechische Begriff „Logos“ bedeutet „Vernunft“, „Grund“ oder „Rede“ übersetzt und galt als jenes Prinzip, das dem Universum Ordnung verleiht und alles Seiende strukturiert.
Der Kaiser ging davon aus, dass alle Menschen einen Verstand besaßen, mit dem sie das Gute und Richtige erkennen konnten. „Es ist durchaus nicht erlaubt, jenem Gute, das sich auf die Vernunft und das Handeln bezieht, irgend etwas Fremdartiges, wie das Lob der Menge oder Herrschaft oder Reichtum oder Sinnenlust an die Seite zu stellen“, schrieb er. „Alle diese Dinge werden, wenn wir ihnen auch nur den geringsten Zugang verstatten, die Oberhand bekommen und uns vom rechten Wege abbringen.“ (3/6)
Aurelius’ Worte waren nicht nur Theorie, sondern der Leitfaden für seine Handlungen.

Marcus Aurelius auf der Piazza del Campidoglio, Rom, Italien. Foto: demerzel21/iStock
2. Betrachte die Dinge im kosmischen Zusammenhang
Aurelius legte stets Wert darauf, sich der Vergänglichkeit des menschlichen Daseins bewusst zu sein. Häufig verglich er den kleinen Teil der Raumzeit, den ein einzelnes Menschenleben einnimmt, mit der Unendlichkeit des Universums:
„Halte dir immer gegenwärtig, welches die Natur des Weltalls und welches die deinige ist, welche Beziehungen diese zu jener hat und welch einen Teil von welchem Ganzen du ausmachst, und dann, daß niemand es dir verwehren kann, dasjenige zu tun oder zu sagen, was mit der Natur, von der du selbst ein Teil bist, übereinstimmt.“
3. Akzeptiere, was du nicht kontrollieren kannst
Aurelius schrieb, das menschliche Leben sei ein „Augenblick, das Wesen ein beständiger Strom, die Empfindung eine dunkle Erscheinung, der Leib eine verwesliche Masse, die Seele ein Kreisel, das Schicksal ein Rätsel, der Ruf etwas Unentschiedenes“. Es sei „ein Krieg, eine Haltestelle für Reisende, der Nachruhm ist Vergessenheit“, schrieb er weiter.
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„Was kann uns da sicher leiten?“, fragte er und kam zu dem Schluss: „Nur eins: die Philosophie.“ Das bedeute, „den Genius in uns vor jeder Schmach, vor jedem Schaden bewahren, die Lust und den Schmerz besiegen, nichts dem Zufall überlassen, nie zur Lüge und Verstellung greifen, fremden Tun und Lassens unbedürftig sein, alle Begegnisse und Schicksale als von daher kommend aufnehmen, von wo wir selbst ausgegangen sind, endlich den Tod mit Herzensfrieden erwarten und darin nichts anderes sehen als die Auflösung in die Urstoffe, woraus jedes Wesen zusammengesetzt ist.“
Ihm war bewusst, dass ein Großteil des Lebens außerhalb unserer Kontrolle liegt, etwa das Verhalten anderer Menschen. Allerdings hätten wir Menschen die Fähigkeit, selbst zu bestimmen, ob wir uns von äußeren Einflüssen aus der Ruhe bringen lassen oder nicht.
4. Engagiere dich für das Gemeinwohl
In seinen Schriften erinnert Aurelius häufig an die den Menschen obliegende Verantwortung. Seiner Ansicht nach spielt jeder Mensch eine wichtige Rolle im Gesamtgefüge, und zwar nicht nur in seiner Stadt oder seinem Reich, sondern auch in der Welt und im Kosmos – sei es ein Bauer, ein Ladenbesitzer, ein Soldat, ein General, ein Senator oder sogar ein Kaiser. Jeder müsse seinen Beitrag zum gemeinschaftlichen Nutzen leisten.
„Verlangt etwa die Sonne die Dienste des Regens, Äskulap die Dienste der Fruchtspenderin zu leisten? Und – wirken die Gestirne nicht allesamt, trotz ihrer Verschiedenheit auf ein Ziel hin?“ (6/43)
Für Aurelius war klar: „Was überall einem jeden widerfährt, das ist dem Ganzen zuträglich. Schon dies wäre hinreichend; doch du wirst bei genauer Beobachtung überall auch das noch finden: was dem einzelnen Menschen zuträglich, ist auch anderen nützlich.“ (6/45)
5. Verbessere dich stets
Aurelius glaubte zwar an die Wichtigkeit, anderen zu helfen, betonte jedoch auch, dass es die oberste Pflicht eines Menschen sei, sich selbst zu verbessern. Auch nachdem er Kaiser geworden war, pflegte er weiterhin Kontakt zu seinen Lehrern – so wichtig war es ihm, sich weiterzubilden.
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Er schrieb: „Kann mir jemand überzeugend dartun, daß ich nicht richtig urteile oder verfahre, so will ich’s mit Freuden anders machen. Suche ich ja nur die Wahrheit, sie, von der niemand je Schaden erlitten hat“, schrieb Aurelius. „Wohl aber erleidet derjenige Schaden, der auf seinem Irrtum und auf seiner Unwissenheit beharrt.“ (6/21)
Wenn man bemerke, dass andere vom rechten Weg abkommen, solle man unverzüglich prüfen, ob man selbst noch auf dem richtigen Weg voranschreitet.
6. Sei bedingungslos freundlich
In seinem Buch betonte Aurelius wiederholt, wie wichtig es ist, Menschen freundlich zu begegnen – erst recht denen, die es scheinbar nicht verdienen.
„Hüte dich, daß du nicht ein tyrannischer Kaiser wirst! Nimm einen solchen Anstrich nicht an, denn es geschieht so leicht. Erhalte dich also einfach, gut, lauter, ernsthaft, prunklos, gerechtigkeitsliebend, gottesfürchtig, wohlwollend, liebreich und standhaft in Erfüllung deiner Pflichten“, so Aurelius. (6/30)
Es sei einem „vergönnt, gefühllosen und undankbaren Menschen nicht zu zürnen, noch mehr, ihnen Gutes zu erweisen“, schrieb er. (8/8)
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Aurelius ging davon aus, dass Menschen sich nur egoistisch und unhöflich verhielten, weil sie in die Irre geführt worden seien. Doch auch sie hätten Mitgefühl und Freundlichkeit verdient. Wenn man jene Menschen gütig behandele, nehme man ihnen die Macht, so der Kaiser, aus dessen Sicht jeder respektvoll und gerecht behandelt werden müsse.
Wenn man vom Verhalten anderer enttäuscht sei, solle man sich selbst dafür tadeln – weil man unrealistische Erwartungen hatte.
7. Würdige das Geschenk des Lebens
Eines der Hauptthemen, das sich durch „Selbstbetrachtungen“ zieht, ist die Fähigkeit, Dinge so anzunehmen, wie sie sind. Obgleich Aurelius in seinem Leben große Verluste erlitt und schwierige Situationen zu meistern hatte – mehrere seiner Kinder starben in jungen Jahren und er verbrachte seine letzten Lebensjahre in einem Militärlager fern von seiner Familie –, akzeptierte er alles, was ihm widerfuhr, als Teil des Universums, das ihn erschaffen hatte.
Die Worte „Keinem Menschen widerfährt etwas, was er nicht seiner Natur nach auch ertragen könnte“ spiegeln diese Haltung wider. Was auch immer ihm begegnete, nahm Aurelius in Demut und Dankbarkeit an. (5/17)
Er schrieb: „Sei wie ein Fels, an dem sich beständig die Wellen brechen: Er steht fest und dämpft die Wut der ihn umbrausenden Wogen.“ (4/49)
Auch wenn man Widrigkeiten ins Auge blicke, solle man sich sagen: „Wie glücklich bin ich, daß ich trotz diesem Schicksal kummerlos bleibe, weder von der Gegenwart gebeugt noch von der Zukunft geängstigt! […] Dies ist kein Unglück, vielmehr ein Glück, es mit edlem Mute zu ertragen.“ (4/48)
Auch wenn sich die Welt in den vergangenen zwei Jahrtausenden stark verändert hat, so hat die in Aurelius’ Worten inne liegende Weisheit doch bis heute Bestand. Sein Buch aus der Zeit des Römischen Reiches ist bis heute eine lohnenswerte Lektüre für alle, die ihre Perspektive erweitern und den Blick für kosmische Zusammenhänge schärfen wollen.
Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel „7 Lessons From Marcus Aurelius for a Chaotic World“. (deutsche Bearbeitung sua)
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