Vom Korn zur Chemie – wie Suchtverhalten unsere Essgewohnheiten prägen

Tiefkühlpizza, Burger oder Brokkoli? Was auf unseren Tellern landet, entscheiden wir. Doch der Trend ist bedenklich. In der Gesellschaft verdrängen ultrahochverarbeitete Lebensmittel mit versteckten Zusatzstoffen zunehmend gesunde. Die Folgen sind verheerend.
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Nicht jedes Nahrungsmittel ist ein Lebensmittel. Bei manchen ist sogar Suchtverhalten vorprogrammiert.Foto: AlexRaths/iStock
Von 15. November 2025

Die Einführung industriell verarbeiteter Nahrungsmittel ist in meinen Augen ein ebenso bedeutendes Ereignis in der Geschichte unserer Ernährung wie die Agrarrevolution im Nahen Osten, die vor etwa 10.000 Jahren begann. Im Zuge dieser Wende kehrten die Menschen ihrem Nomadenleben als Jäger und Sammler den Rücken. Sie wurden sesshaft und ernährten sich fortan hauptsächlich von gezüchtetem Getreide und den Produkten verschiedener Nutztiere.

Zweifellos hat die weitverbreitete Akzeptanz von industriell verarbeiteten Nahrungsmitteln die menschliche Gesundheit und unsere Gesellschaft auf eine Weise verändert, die man nicht für möglich gehalten hätte. Es gab jedoch erste besorgniserregende Anzeichen. Dass sich unsere Gesundheit verschlechtert, wenn wir immer mehr dieser Produkte konsumieren, hätte man erahnen können. Doch wir schauten einfach darüber hinweg.

Zahnarzt beobachtet „körperliche Degeneration“

Bereits in den 1930er-Jahren fand der wegweisende Zahnarzt und Anthropologe Dr. Weston Price heraus, dass die ersten verarbeiteten Nahrungsmittel eine Spur der Zerstörung hinterließen. Dazu gehörten Konserven, Zuckersirup und raffinierte Weizenprodukte.

Price sprach damals von „körperlicher Degeneration“. Er beobachtete diese bei seinen Patienten in Cleveland im US-Bundesstaat Ohio, insbesondere bei Kindern. Ihre Zähne waren voller Karies und ihre Zahnreihen waren fehlentwickelt. Auch die Wangen und Nasenlöcher der Kinder waren schmal, sodass sie anfällig für Atemwegserkrankungen und andere Krankheiten waren. Zudem litten sie unter Verhaltensstörungen, die noch vor einem Jahrzehnt weitgehend unbekannt waren.

Auf seinen Reisen mit seiner Frau rund um die Welt fand Price überall dort, wo sich kleine Gemeinschaften noch auf traditionelle Weise ernährten, etwas, das er als „perfekte Gesundheit“ bezeichnete. Ihre Nahrung bestand aus Vollwertkost und nährstoffreichen tierischen Lebensmitteln wie Milchprodukten, Meeresfrüchten und Innereien. Dabei spielte es keine Rolle, ob es sich um Kleinbauern in den schottischen Hügellandschaften oder Perlentaucher im Südpazifik handelte. Wenn sie sich wie ihre Vorfahren ernährten, waren sie vital, gut gewachsen, glücklich und immun – einfach wundervoll.

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Dort hingegen, wo die in Fabriken hergestellten industriellen Nahrungsmittel den Markt eroberten und die traditionelle Ernährung immer weiter verdrängten, kam es zu körperlicher Degeneration und denselben unschönen Symptomen, die Price bei seinen Patienten in seiner Heimatstadt Cleveland festgestellt hatte. Dies waren die Anfänge der Auswirkungen moderner verarbeiteter Nahrungsmittel auf die früheste Generation.

Nahrung ohne Nährstoffe

Im Laufe der Jahrzehnte wurden die Produkte immer weiterentwickelt – man könnte sogar von „Mutationen“ sprechen. Sie wurden zu dem, was Forscher und Lebensmittelwissenschaftler heute als „ultraverarbeitete Lebensmittel“ bezeichnen.

Mit neuen Methoden, neuen Technologien, Zusatzstoffen, Zutaten, Verpackungsformen und Werbung wurden unterschiedlichste Nahrungsmittel hergestellt und vertrieben. Sie haben kaum noch etwas gemein mit den ursprünglichen Lebensmitteln, die unsere Vorfahren verzehrt haben. Einige Lebensmittelwissenschaftler schlagen sogar vor, ultraverarbeitete Lebensmittel gar nicht mehr als Nahrung zu klassifizieren. Bei ihnen handele es sich um „lebensmittelähnliche Substanzen“, die lediglich bestimmte Kriterien wie die Bereitstellung von Energie erfüllen. Bei genauer Betrachtung bieten sie jedoch keinerlei „Nährstoffe“.

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Der Übergang von verarbeiteten zu ultraverarbeiteten Lebensmitteln hat in den Industrieländern zu einem beispiellosen Anstieg chronischer Krankheiten geführt. Dazu zählen Fettleibigkeit, Diabetes, Krebs sowie neurologische Verhaltensstörungen wie Autismus und ADHS. Durch wissenschaftliche Forschung beginnen wir zu verstehen, dass mit dem Verzehr dieser Substanzen gewisse körperliche Veränderungen einhergehen, die bis zur Abhängigkeit reichen können. Insbesondere Veränderungen in der Struktur des Gehirns können es erschweren oder gar unmöglich machen, das Verlangen nach ultraverarbeiteten Lebensmitteln zu stillen oder deren Verzehr einzustellen.

Frühe Gewohnheit nährt Suchtverhalten

Eine neue Studie bietet Einblick, wie sich unser Gehirn verändern könnte und wann und warum dies geschieht. Der am 29. September 2025 in der Fachzeitschrift „Addiction“ veröffentlichte Forschungsbericht „Sucht nach ultraverarbeiteten Lebensmitteln in einer national repräsentativen Stichprobe älterer Erwachsener in den USA“ (Original: „Ultra-processed food addiction in a nationally representative sample of older adults in the USA“) nahm die Essgewohnheiten von über 2.000 Erwachsenen im Alter von 50 bis 80 Jahren in den USA unter die Lupe. Die Forscher gingen primär der Frage nach, ob bei ihnen ein Suchtverhalten vorlag.

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Sie fanden heraus, dass die Sucht nach Nahrungsmitteln in dieser Altersgruppe um 12,4 Prozent höher lag als die Rate für Alkohol- und Tabakabhängigkeit. Noch bedeutsamer ist jedoch eine andere Erkenntnis: Die Rate der Esssucht war bei Erwachsenen, die in den 1980er-Jahren Kinder und Jugendliche waren – also zu jener Zeit, als der Übergang zu den hochverarbeiteten Nahrungsmitteln in die entscheidende Phase ging –, deutlich höher. Insbesondere Frauen, die heute über 50 oder 60 Jahre alt sind, wiesen mit 21 Prozent die höchste Rate an Esssucht auf. Mit anderen Worten: Etwas mehr als jede Fünfte hatte mit zwanghaftem Essverhalten zu kämpfen. Erwachsene, die damals bereits volljährig waren, wiesen hingegen ein geringeres Suchtverhalten auf.

Die Forscher kommen zu dem Schluss: „Personen, die heute ältere Erwachsene sind, befanden sich in den 1970er- und 1980er-Jahren in einer empfindlichen Entwicklungsphase – genau zu der Zeit, als Lebensmittelhersteller mit Tabakkonzernen den Markt mit suchterzeugenden, ultraverarbeiteten Lebensmitteln prägten.“

Strategisches Vorgehen der Tabakkonzerne

Jüngste Studien, über die die „Washington Post“ und andere Medien berichteten, zeigten, wie Tabakkonzerne in den 1980er-Jahren den Markt für verarbeitete Lebensmittel erschlossen. Sie entwickelten neue, stärker suchterregende Produkte und wollten diese mit ausgeklügelten Marketingstrategien den Verbrauchern näherbringen, insbesondere Kindern.

Eine im September 2023 erschienene Studie [1] ergab, dass Lebensmittel von Marken, die zu Tabakkonzernen gehören, mit einer um 29 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit einen hohen Fett- und Natriumgehalt aufweisen als Lebensmittel, die von anderen Unternehmen stammen. In Bezug auf den Kohlenhydrat- und Natriumgehalt lag die Wahrscheinlichkeit sogar um 80 Prozent höher.

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Unter Einsatz sämtlicher Tricks und Methoden – grelle Farben, eingängige TV- und Radio-Jingles sowie an Zeichentrickfiguren angelehnte Werbefiguren – versuchten Tabakkonzerne, ihre Zielgruppe zu erreichen. Sie wollten genau das bewirken, was die Zigarettenwerbung erreicht hat: eine dauerhafte Kundenbindung mit Konsumenten, die einfach nicht aufhören können, ihre Produkte zu kaufen.

Obwohl sich viele Tabakkonzerne im Jahr 2000 von Lebensmittelmarken zurückgezogen haben, ist diese Strategie geblieben. Ihr Vermächtnis besteht darin, ultraverarbeitete Lebensmittel in der Ernährung zu etablieren. Heute beziehen Kinder in den USA durchschnittlich etwa 62 Prozent ihrer täglichen Kalorien aus solchen Nahrungsmitteln. Zu Recht hat US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. diesen Substanzen den Kampf angesagt und sie zu einem der zentralen Ziele seiner Agenda „Make America Healthy Again“ gemacht.

Abhängigkeit verhindern

Gemäß den Forschungen dieser und ähnlicher Studien gibt es klare Lösungsansätze. Erstens geht mit einem übermäßigen Konsum von ultraverarbeiteten Lebensmitteln in vielen Fällen eine Suchterkrankung einher. Es geht also weniger um die Frage der Entschlossenheit und Willenskraft, sondern um Einflussnahme und Gewohnheitsverhalten. Das wirft weitere Fragen auf: Unterliegen ultraverarbeitete Lebensmittel denselben Vorschriften wie andere Zusatzstoffe? Und sind Strategien zur Verringerung des Konsums überwiegend zum Scheitern verurteilt, wenn sie ausschließlich auf die individuelle Willenskraft der Konsumenten abzielen?

Zweitens sollte eines der Hauptziele darin bestehen, Menschen vor einer Abhängigkeit von ultraverarbeiteten Lebensmitteln zu bewahren. Das gilt besonders für Kinder und Jugendliche, deren Ernährungsgewohnheiten sich noch formen. Da sie sich in einer entscheidenden Prägungsphase befinden, sind sie besonders schützenswert. Entwickeln sie hingegen ein Suchtverhalten, könnte sich dies negativ auf den Rest ihres Lebens auswirken.

[1] Studie „US tobacco companies selectively disseminated hyper-palatable foods into the US food system: Empirical evidence and current implications“ vom 8. September 2023, veröffentlicht über National Library of Medicine

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers oder des Interviewpartners dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.



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