Eskalation zwischen Budapest und Kiew: EU-Beitritt der Ukraine auf der Kippe?

Mit jedem Angriff auf die Druschba-Pipeline wächst das Misstrauen zwischen Kiew und Budapest. Ministerpräsident Orbán lässt keinen Zweifel daran, dass Ungarn die EU-Beitrittsgespräche der Ukraine blockieren wird. Die Ukraine setzt auf Druck – und riskiert damit einen diplomatischen Bruch. Was steht auf dem Spiel?
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Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán spricht mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj während des Gipfels des Europäischen Rates am 27. Juni 2024 in Brüssel.Foto: Olivier Hoslet/POOL/AFP via Getty Images
Von 2. September 2025

In Kürze:

  • Die Ukraine griff wiederholt die Druschba-Pipeline an, die Ungarn und die Slowakei mit Öl versorgt.
  • Viktor Orbán wirft Kiew Erpressung und Drohungen vor und blockiert weiterhin den EU-Beitritt der Ukraine.
  • Ungarn verhängte ein Einreiseverbot für einen ukrainischen Kommandeur und warnt vor Folgen für die ukrainische Energieversorgung.
  • Experten diskutieren die rechtlichen Aspekte der Pipeline-Angriffe.
  • Die Krise betrifft EU- und NATO-Partner, die Energiesicherheit Europas und die diplomatischen Beziehungen zwischen Kiew, Budapest und Brüssel.

Im Zusammenhang mit den wiederholten ukrainischen Angriffen auf die Druschba-Pipeline, die Ungarn und die Slowakei mit russischem Öl versorgt, sagte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán: „Präsident Selenskyj hat am Wochenende eingestanden, dass die Druschba-Leitung deshalb beschossen wird, weil Ungarn die ukrainische EU-Mitgliedschaft nicht unterstützt.“

Orbán sagte auch, dass man mit „Erpressung, Sprengungen und Drohungen“ nicht in die EU gelangen könne. „Die Worte Selenskyjs werden einen langen Schatten werfen“, heißt es weiter in dem Social-Media-Beitrag vom 25. August.

Die Worte des ungarischen Ministerpräsidenten stellen einen weiteren Schritt in der sich in den vergangenen Wochen zuspitzenden diplomatischen Eskalation zwischen Kiew und Budapest dar. Ein heikler Punkt der Debatte ist, dass die ungarische Regierung die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen der Ukraine mit der EU seit Monaten blockiert.

Der Streit zwischen Kiew und Budapest berührt auch Fragen der Verletzung internationaler Verträge sowie der Verpflichtungen, die die Ukraine auf ihrem Weg in die EU eingegangen ist.

Angriffe auf die Ölpipeline als Druckmittel gegen Ungarn

Am 24. August machte Wolodymyr Selenskyj auf die Frage eines Journalisten hin eine öffentliche Bemerkung, welche die Angriffe auf die Ölpipeline mit dem ungarischen Veto zum EU-Beitritt der Ukraine in Zusammenhang bringt. Selenskyj erklärte, dass die Ukraine immer die Freundschaft zwischen den Nationen unterstützt habe. Er betonte jedoch, dass die Zukunft der „Freundschaft“ – was zugleich der Name der Druschba-Pipeline auf Russisch ist – zwischen der Ukraine und Ungarn nun von der Haltung Budapests abhängen werde.

In den drei Jahren des Ukraine-Krieges wurde die für Ungarn und die Slowakei unverzichtbare russische Ölpipeline wiederholt von ukrainischen Anschlägen getroffen. Allein in den vergangenen Wochen kam es zu drei Angriffen. Der letzte Beschuss vom 22. August traf das Verteilzentrum Unjetscha in der russischen Grenzregion Brjansk.

Während die Lieferungen nach Ungarn und in die Slowakei zum Erliegen kamen, blieben der nördliche Leitungsstrang, der über Polen nach Deutschland führt, ebenso wie der Transit in Richtung der Ostseehäfen unbeschadet. Die ungarische Regierung betrachtet diese Angriffe seitens Kiew mittlerweile als Erpressungsversuch gegenüber Budapest.

Budapest initiiert Gegenmaßnahme

Ministerpräsident Orbán ließ nicht lange auf die Umsetzung seiner Ankündigung über die Folgen der ukrainischen Angriffe auf die Pipeline warten. Im Namen der ungarischen Regierung verkündete Außenminister Péter Szijjártó am 28. August, dass er den Kommandeur der ukrainischen Militäreinheit, die die jüngsten Angriffe auf die Ölpipeline durchgeführt hatte, mit einem Einreiseverbot nach Ungarn und damit in dem gesamten Schengenraum belegt hatte. Die Dauer des Verbots beträgt laut Beschluss drei Jahre.

Szijjártó erklärte, dass der jüngste Anschlag auf die Druschba-Pipeline äußerst schwerwiegend gewesen sei. Der Außenminister betonte, dass die Regierung dies als einen Angriff auf die Souveränität Ungarns werte. Deshalb sei auch der Beschluss über das Einreise- und Aufenthaltsverbot gefasst worden.

Robert Browdi, der betroffene ukrainische Kommandeur, der auch ungarischer Abstammung ist, reagierte auf das Verbot. Er erklärte, dass die ungarische Regierung durch den Kauf von russischem Öl mitschuldig an den russischen Angriffen auf die Ukraine sei, bei denen Zivilisten getötet werden.

Robert Browdi ist der ukrainische Kommandant, der mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot für Ungarn und den Schengenraum belegt wurde. Foto: Птахи Мадяра 414ОБ/Wikimedia Commons/CC BY-SA 4.0

Andrij Sybiha, der ukrainische Außenminister, hat die Entscheidung Ungarns scharf kritisiert. In einem Beitrag auf X am 28. August bezeichnete Sybiha die Nachricht über den ungarischen Beschluss als „beschämend“. Er wies zugleich darauf hin, dass Zivilisten kürzlich Opfer von russischen Luftanschlägen geworden seien.

„Péter, wenn dir die russische Pipeline wichtiger ist als die ukrainischen Kinder, die heute Morgen von den Russen getötet wurden, dann ist das ein moralischer Verfall. Ungarn steht auf der falschen Seite der Geschichte“, schrieb er.

Der Minister kündigte an, dass die Ukraine als Reaktion auf das Einreiseverbot Gegenmaßnahmen einführen werde.

„Kommission für die Ukraine“

Vor der Umsetzung des Einreiseverbots bat Budapest in Brüssel um entsprechende Unterstützung. Laut der EU-Kommission bestehe aufgrund der ukrainischen Angriffe jedoch keine Notlage, da sowohl Ungarn als auch die ebenfalls betroffene Slowakei über ausreichende Notfallreserven an Öl verfügen. Dies hat die Kommission sowohl in seinen früheren als auch in seinen jüngsten Erklärungen mehrmals bestätigt.

Die Vertreter der Kommission bestätigten, dass der Schutz kritischer Infrastrukturen für alle Parteien verbindlich sei und die Sicherheit der Energieversorgung für die Union weiterhin oberste Priorität habe.

Der ungarische Außenminister kommentierte die Aussagen der Kommission am 26. August in dem Podcast „Harcosok Órjája“, dass die Europäische Kommission sich selbst widerspreche, wenn sie zuerst lange schweige, während die Ukraine die Energieinfrastruktur nach Ungarn und in die Slowakei angreife.

Der ungarische Außen- und Handelsminister Péter Szijjártó in Budapest. Foto: Attila Kisbenedek/AFP via Getty Images

„Sie ist nicht mehr die Europäische Kommission, sondern die Kommission für die Ukraine“, so Szijjártó.

Darüber hinaus wandte sich Orbán an den US-Präsidenten Donald Trump in dieser Angelegenheit. In seiner knappen Antwort schrieb Trump, dass er über die Ereignisse „sehr verärgert“ sei. Konkrete Maßnahmen gegenüber Kiew kündigte er jedoch nicht an.

Internationale Verpflichtungen

Ukraine hat mehrere rechtliche Verpflichtungen übernommen, nach denen Angriffe auf die Ölpipeline rechtswidrig gewertet werden könnten. Darauf wies unter anderem Máté Tóth, internationaler Experte für Völkerrecht und Energierecht, im ungarischen Fernsehen hin, als er zu den Angriffen Stellung nahm.

Tóth erinnerte daran, dass die Ukraine seit 1994 Mitglied des internationalen Energiecharta-Vertrags ist. Nach Artikel 7 dieses Vertrags hat auch Kiew Verpflichtungen zur Sicherstellung des Energietransits. Ebenso ist die Transitabsicherung im Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine geregelt.

Der damalige ukrainische Ministerpräsident Denys Smihal erklärte im Januar zudem, dass die Ukraine den russischen Erdöltransit entlang der Druschba-Pipeline nicht stoppen könne, da dies den Energiecharta-Vertrag und das Assoziierungsabkommen mit der EU verletzen würde. Diese Abkommen gewährleisten den freien Transit, und die Ukraine wolle ihre internationalen Verpflichtungen nicht brechen, betonte er.

Nach Robert C. Castel, Sicherheitsberater des ungarischen Zentrums für Grundrechte, stellt sich auch die Frage, ob nicht nur die Europäische Union, sondern auch die NATO ihre Aufgabe vernachlässigt habe, indem sie diese Angriffe nicht verhindert habe.

Orbán: Ungarn könnte den Zusammenbruch der Ukraine arrangieren

Im Namen der ungarischen Regierung betonte Kanzleramtsminister Gergely Gulyás am 26. August erneut, dass Budapest Kiew auffordert, seine Angriffe einzustellen, die die ungarische Energiesicherheit bedrohen. Gulyás hob zudem hervor, dass Ungarn der wichtigste Stromlieferant für die Ukraine sei.

Zuvor hatte Orbán angedeutet, dass Ungarn „den Zusammenbruch der Ukraine an einem einzigen Tag arrangieren könne“. Wenn ein Unfall geschehe, „ein paar Masten fallen, ein paar Drähte brechen, dann wars das mit der Ukraine“. Dies liege allerdings nicht im Interesse seines Landes.

Sollten die Angriffe auf die Ölpipeline nicht aufhören, könnte die Frage aufkommen, ob Budapest ein solches Gegenmanöver wagen würde. Dazu äußerte sich auch der Experte Tóth. Seinen Ausführungen zufolge hätte die ungarische Regierung zwar die entsprechenden Mittel, doch die Lage sei weitaus komplexer.

Viktor Orbán und Wolodymyr Selenskyj haben seit Langem Meinungsunterschiede. Das Foto zeigt das Gipfeltreffen der beiden Politiker in Kiew am 2. Juli 2024. Foto: Zoltán Fischer/Pressebüro des Ministerpräsidenten von Ungarn

Tóth erläuterte, dass die rechtliche Situation für die ungarische Regierung ziemlich riskant sei, sollte sie die ukrainische Energieversorgung behindern. Falls Ungarn Strom- und Gaslieferungen für die Ukraine blockieren würde, müsste es sofort mit Vergeltungsmaßnahmen seitens der EU rechnen – so Tóth in einem Interview mit „Hír TV“ am 27. August.

Welche rechtlichen Vergeltungsmaßnahmen wären möglich? Zunächst sei zu erwarten, dass Budapest von allen EU-Fördermitteln ausgeschlossen würde. Darüber hinaus könnte sogar die Suspendierung des ungarischen Stimmrechts im Europäischen Rat auf die Tagesordnung kommen.

In diesem Sinne könne dies nach Ansicht von Tóth sogar zu einer für die Ukraine günstigen Entwicklung führen. Denn damit ließe sich das Problem des ungarischen Vetos im Zusammenhang mit den Fortschritten der EU-Beitrittsverhandlungen der Ukraine lösen.

Der Experte meint daher, dass die ungarische Regierung sorgfältig überlegen sollte, welche Schritte sie wann unternimmt. Wenn sie gegenüber der Ukraine zu hart vorgehe, könne sie leicht ins Kreuzfeuer geraten.

Weitere mögliche Folgen

Die Lage könnte sich weiter zuspitzen, sollte Ungarn die ukrainischen Operationen gegen die Ölpipeline als Angriff auf ein NATO‑Mitglied werten und diesbezügliche rechtliche Schritte unternehmen.

Besonders kritisch ist dabei die Frage nach der Zielgerichtetheit dieser Angriffe. Die jüngsten Äußerungen von Selenskyj deuten jedoch bereits in diese Richtung. Damit droht nicht nur innerhalb der EU-Partner ein schwerer Konflikt, sondern auch die NATO stünde vor einer ernsthaften Herausforderung.

Der Fraktionsvorsitzende der ungarischen Regierungspartei Fidesz im Europäischen Parlament, Tamás Deutsch, drückte es am 25. August folgendermaßen aus: „Einerseits wollen die Ukrainer Mitglied der Europäischen Union werden […], andererseits greift die Ukraine just den ,Club‘ militärisch an, dem sie beitreten möchte.“

Der Politiker betonte zudem, dass auch hinter dem Terroranschlag auf die Nord-Stream-Pipeline ukrainische Akteure stünden, die den Auftrag dazu von der ukrainischen Staats- und Militärführung erhalten hätten. Vor diesem Hintergrund müsse das Thema auch innerhalb der EU wesentlich ernster behandelt werden.



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