Leiden hat „neues Ausmaß erreicht“: Israel wirft jetzt Hilfsgüter über Gaza ab

In Kürze:
- Erstmals seit Oktober 2023 wirft Israel über Gaza Hilfsgüter aus der Luft ab, legt tägliche Feuerpausen ein und richtet Korridore für Hilfskonvois ein.
- Israel reagiert damit auf heftige internationale Kritik an der teils „katastrophalen“ humanitären Lage im Gazastreifen.
- Bei der entsprechenden gemeinsamen Erklärung von 28 Staaten hat sich Deutschland nicht beteiligt. Kanzler Merz erklärt warum.
Rund 21 Monate ist es her, dass Israel seine Offensive gegen die Terrororganisation Hamas gestartet hat. Inzwischen gilt die Lage in Gaza als eine der komplexesten und umstrittensten Krisen weltweit.
Internationale Organisationen warnen vor einer drohenden Hungersnot in der Bevölkerung und begrenztem Zugang zu sauberem Wasser. Zudem drohe die medizinische Versorgung zusammenzubrechen. Demzufolge könne es zu umfangreichen Vertreibungen der Bevölkerung kommen.
Israel macht die Hamas für die Behinderungen von zahlreichen Hilfslieferungen und allgemein für die Verlängerung des Konflikts verantwortlich. Die Terrororganisation würde die Bedingungen für einen Waffenstillstand ablehnen und weiterhin Geiseln festhalten. Israel will den militärischen Druck so lange aufrechterhalten, bis die Hamas besiegt oder entwaffnet sei.
Neben Raketen kommen jetzt Hilfsgüter aus der Luft
Nun entschied sich Israel dazu, über dem Gazastreifen wieder Hilfsgüter aus der Luft abzuwerfen. Das ist eine direkte Reaktion auf heftige internationale Kritik an der humanitären Lage in der betroffenen Region. Gleichzeitig habe Israel Feuerpausen festgelegt und „humanitäre Korridore“ eingerichtet.
Es seien bereits sieben Paletten von internationalen Organisationen mit Hilfsgütern wie Mehl, Zucker und Lebensmittelkonserven abgeworfen worden. Das teilte das Militär in der Nacht zum Sonntag, 27. Juli, mit.

Ein palästinensischer Junge freut sich am 27. Juli 2025 im Lager al-Mawasi in Rafah im südlichen Gazastreifen über eine Packung Mehl. Foto: -/AFP via Getty Images
Laut den israelischen Streitkräften lege die Armee ab heute „jeden Tag bis auf Weiteres“ von 10 bis 20 Uhr Ortszeit eine „taktische Pause der militärischen Aktivitäten für humanitäre Zwecke“ ein.
Die Waffenruhe gelte in den Gebieten, in denen die Armee nicht operiere: Al-Mawasi im Südwesten des abgeriegelten Küstenstreifens, in Deir al-Balah im Zentrum sowie in der Stadt Gaza im Norden. Dies sei nach entsprechenden Gesprächen mit den UN- sowie internationalen Organisationen abgestimmt worden, hieß es.
Die Zeltstadt in Al-Mawasi hatte Israel schon zuvor als sicheren Rückzugsraum für Zivilisten definiert. Allerdings kam es in der Vergangenheit auch dort zu israelischen Angriffen mit vielen Toten. In Deir al-Balah befindet sich das zentrale Warenlager der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für den Gazastreifen. Dieses war laut der WHO kürzlich beschädigt worden, als das israelische Militär erstmals mit Bodentruppen in das Gebiet eingerückt war.
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Israel weist Vorwurf des Aushungerns zurück
Als weitere neue humanitäre Hilfsaktion richtet Israel jetzt auch von 6 bis 23 Uhr Ortszeit Korridore ein, um die sichere Durchfahrt von Konvois der UN- und anderer Hilfsorganisationen zu ermöglichen. Diese liefern und verteilen nach Angaben der Armee im gesamten Gazastreifen Lebensmittel und Medikamente an die Bevölkerung.

Lkw, die Teil eines humanitären Hilfskonvois sind, der Lieferungen für Palästinenser im Gazastreifen transportiert, warten am 26. Januar 2025 im Stadtteil Asmarat in al-Muqattam am südlichen Stadtrand von Kairo darauf, dass der Konvoi losfährt. Foto: Nader Nabil/AFP via Getty Images
Ebenso habe Israel laut der Armee eine Entsalzungsanlage zur Aufbereitung von Trinkwasser im Gazastreifen wieder an sein Stromnetz angeschlossen. Die eingeleiteten Maßnahmen zielten darauf ab, die humanitäre Hilfe dort zu verbessern „und die falsche Behauptung zu widerlegen, dass der Gazastreifen absichtlich ausgehungert wird“, so das Militär.
Am 2. März verhängte Israel eine vollständige Blockade und stoppte die Lieferung von Lebensmitteln, Treibstoff und Medikamenten, um die Hamas zur Freilassung israelischer Geiseln zu zwingen. Seitdem sind kaum noch Hilfsgüter in das abgeriegelte Küstengebiet gelangt. Laut humanitären Organisationen hätte dies Krankheiten und Unterernährung in Gaza verschlimmert.
Die UNO erklärte, sie habe aufgrund der militärischen Beschränkungen und Sicherheitsbedrohungen durch Israel Schwierigkeiten bei der Lieferung von Hilfsgütern in Gaza. Demnach habe das israelische Militär mehr als die Hälfte ihrer Anträge auf Hilfslieferungen, 506 von 894 im Mai, Juni und Juli eingereichten Anträge, abgelehnt oder behindert.
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Internationale Erklärung ohne Deutschland?
Zuvor hat sich die internationale Kritik an Israels Umgang mit Hilfslieferungen und dem Schutz der Zivilbevölkerung in Gaza verschärft. In einer gemeinsamen Erklärung vom 21. Juli verurteilen 28 Staaten die „tropfenweise Bereitstellung von Hilfsgütern und die unmenschliche Tötung von Zivilisten“. Sie fordern ein sofortiges Kriegsende im Gazastreifen.
Deutschland befindet sich allerdings nicht in der Reihe der Unterzeichner. Friedrich Merz (CDU) verteidigte Deutschlands Nichtbeteiligung. „Wir haben lange vorher im Europäischen Rat genau diese Position eingenommen“, teilte der Bundeskanzler kürzlich mit. Die mehrere Wochen alte Erklärung des Europäischen Rates und der Brief der mehr als zwei Dutzend Staaten seien „praktisch inhaltsgleich“, so Merz. Am Text des Europäischen Rates habe er sich „aktiv beteiligt“.
„Ich nehme für mich in Anspruch, dass ich einer der Ersten gewesen bin, der in aller Deutlichkeit gesagt hat, dass die Zustände dort nicht länger hinnehmbar sind“, fuhr Merz mit Blick auf den Gazastreifen fort. „Ich will auch die israelische Regierung jetzt wirklich mit großem Nachdruck auffordern, die massiven militärischen Interventionen zu stoppen, einen Waffenstillstand zu ermöglichen und vor allem die humanitäre Hilfe für die Bevölkerung dort zu ermöglichen.“
Anlässlich der katastrophalen humanitären Lage in Gaza telefonierte Merz am Sonntag mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Laut dem Regierungssprecher Stefan Kornelius habe der Bundeskanzler Netanjahu aufgefordert, „alles in seiner Macht Stehende zu unternehmen, um umgehend einen Waffenstillstand zu erreichen“.
Netanjahu solle der hungernden Zivilbevölkerung in Gaza die dringend notwendige humanitäre Hilfe jetzt zukommen lassen. Diese müsse die Zivilbevölkerung „schnell, sicher und im gebotenen Umfang“ erreichen. Den von der israelischen Regierung angekündigten Maßnahmen müssten nun rasch substanzielle weitere Schritte folgen.
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Das Leiden hat „ein neues Ausmaß erreicht“
In der Erklärung heißt es, dass das Leiden der Zivilbevölkerung im Palästinensergebiet „ein neues Ausmaß erreicht“ habe. Die unterzeichnenden Länder – darunter Großbritannien, Österreich, die Schweiz, Italien und Frankreich – fordern Israel auf, „seinen Verpflichtungen gemäß dem humanitären Völkerrecht nachzukommen“. Zudem solle Israel die Beschränkungen bei den Hilfslieferungen in dem Gebiet „unverzüglich“ aufgeben.
Ebenso macht anhaltende Gewalt das einfache Abholen von Hilfsgütern zu einer potenziell tödlichen Angelegenheit. Laut der UNO töteten israelische Soldaten zwischen dem 27. Mai und dem 21. Juli 1.054 Palästinenser beim Versuch, an Lebensmittel zu gelangen.
Zivilisten, die verzweifelt nach Nahrung suchen, sind in einer explosiven Mischung aus Überfüllung, schlechter Koordination und militärischen Aktivitäten gefangen. Augenzeugenberichte und Medienberichte beschreiben chaotische Szenen – Menschen, die auf Hilfstransporter zustürmen, minimale Kontrolle der Menschenmengen und in einigen Fällen sogar Schüsse.
Im April 2024 bezeichnete das Internationale Rettungskomitee Gaza als den weltweit gefährlichsten Ort für Helfer und Zivilisten. Ein Jahr später bestätigte dies die ständige Vertreterin bei den Vereinten Nationen des Vereinigten Königreichs, Barbara Woodward. Laut den UN wurden von Oktober 2023 bis Juni 2025 mindestens 463 Helfer in Gaza getötet.
Aufgrund dieser Zustände forderte die SPD-Bundestagsfraktion die Bundesregierung am Dienstag auf, den Appell ebenfalls zu unterstützen. Merz sagte nun, es gebe „keine Meinungsverschiedenheiten“ in der Koalition. „Wir sind uns in diesen Fragen vollkommen einig.“
Rund 500.000 Menschen von Hunger bedroht?
Israel und die UN werfen sich gegenseitig vor, die Verteilung der Hilfsgüter zu behindern. Es sei das erste Mal, dass Israel seit Beginn des Krieges Hilfsgüter aus der Luft in den Gazastreifen abgeworfen habe, nachdem es zuvor nur anderen Ländern erlaubt hatte, solche Aktionen durchzuführen, schrieb die „Times of Israel“.
Auch der Außenminister der Vereinigten Arabischen Emirate kündigte auf X an, die Abwürfe würden „umgehend wieder aufgenommen“. Helfer halten die Methode jedoch wegen der relativ geringen Mengen an Lebensmitteln für ineffektiv. Außerdem könnten Menschen am Boden durch die Paletten verletzt werden.

Palästinensische Kinder stehen am 15. Juli 2025 im Flüchtlingslager Nuseirat im zentralen Gazastreifen Schlange, um eine Portion warmes Essen aus einer Suppenküche zu erhalten. Foto: Eyad Baba/AFP via Getty Images
Laut dem Analyseportal für Ernährungssicherheit leidet die gesamte Bevölkerung Gazas unter schwerem Hunger. Fast eine halbe Million Menschen befänden sich in einer „katastrophalen“ Lage. Das bedeutet, dass sie unmittelbar von Hunger bedroht sind.
Bei insgesamt rund 2,4 Millionen Einwohnern leidet etwa jeder fünfte Einwohner an Hunger. Die Unterernährung, insbesondere bei Kindern, verschlimmere sich rapide.
Israel bezeichnete die Einschätzung der Vereinten Nationen als übertrieben. Dessen militärischer Arm, der Koordinator für Regierungsaktivitäten in den Gebieten, erklärte, es gebe „keine Hungersnot in Gaza“. Die Formulierung auf dem Portal sei „unzutreffend und alarmistisch“.
Wer liefert Hilfe und wie?
Vor den Angriffen der Hamas am 7. Oktober 2023 gelangte humanitäre Hilfe vor allem auf dem Landweg nach Gaza, in Notfällen auch in begrenztem Umfang auf dem Luft- und Seeweg. Zu den wichtigsten Akteuren zählen das Hilfswerk der Vereinten Nationen (UNRWA), das Welternährungsprogramm (WFP), die Weltgesundheitsorganisation (WHO), internationale Nichtregierungsorganisationen und nationale Hilfsorganisationen.
Seit Oktober 2023 stehen die Lieferungen vor enormen Herausforderungen: Es kam immer wieder zu Grenzschließungen, Kämpfen und illegalen Handlungen. Die gelieferten Mengen liegen weit unter dem Bedarf.
Die Vereinten Nationen und das WFP erklärten, dass sämtliche Hilfstransporte mit den israelischen Behörden zu koordinieren seien. Laut Angaben der Organisationen kam es aufgrund von Sicherheitsbedenken immer wieder zu Transportstopps.
Anfang 2025 berichteten UN-Organisationen, dass der Zugang so stark eingeschränkt und die Bedingungen so gefährlich geworden waren, dass viele Konvois einfach stehen blieben. Die Lieferung von Hilfsgütern in Gaza funktioniert heute weitestgehend nicht mehr.
(Mit Material der Nachrichtenagenturen und theepochtimes.com)
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