Ukraine auf Expresskurs in die EU? Orbán stemmt sich dagegen
In Kürze:
- Die Ukraine ist auf gutem Weg in Richtung EU-Mitgliedschaft, sagt die für die Erweiterung zuständige EU-Kommissarin.
- Bei der Korruptionsbekämpfung stehen Kiew jedoch weiterhin große Herausforderungen bevor.
- Selenskyj strebt einen EU-Beitritt bereits 2028 an, in Brüssel gilt hingegen 2030 als realistisch.
- Vorerst bleibt der Weg jedoch durch das ungarische Veto blockiert – und Orbán zeigt keinerlei Bereitschaft, daran etwas zu ändern.
Die Ukraine möchte bereits im Jahr 2028 der EU beitreten – das wäre zwei Jahre früher als das von Brüssel anvisierte Jahr 2030.
Diese Einschätzungen stützen sich unter anderem auf den jährlichen EU-Bericht zu den Reformfortschritten der Beitrittskandidaten. Dieser wurde diese Woche in Brüssel vorgestellt. Er erkennt die von Kiew unternommenen Anstrengungen weitgehend an.
Marta Kos, EU-Kommissarin für Erweiterung, betonte, dass man die Beitrittsverhandlungen mit dem kriegsgebeutelten Land im November offiziell eröffnen wolle. Gleichzeitig bleibt das Veto des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán weiterhin ein Hindernis.
Wie die EU dieses umgehen würde, war ebenfalls Thema in Brüssel. Unterdessen lieferten sich Orbán und Wolodymyr Selenskyj erneut einen öffentlichen Schlagabtausch.
Kallas lobt umfassende Reformen der EU
EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas erklärte am Dienstag, 4. November, in Brüssel während einer Pressekonferenz, eine Mitgliedschaft könne für die Ukraine zu einer wichtigen Sicherheitsgarantie werden.
Bei der Vorstellung des Berichts hob sie hervor, die Ukraine zeige eine bemerkenswerte Entschlossenheit auf dem Weg Richtung EU. Noch nie habe ein Bewerberland derart weitreichende Reformen im Kriegszustand umgesetzt, betonte sie.
Angesichts der Innovationen im Bereich der Kriegsführung sei klar, dass die EU viel von der Ukraine lernen könne, die derzeit über die stärkste Armee Europas verfüge. Daher sei die Einbindung der Ukraine in europäische verteidigungspolitische Initiativen von zentraler Bedeutung: Sie schaffe eine Win-win-Situation, so Kallas.
Zugleich werde die EU keinem Bewerberland Abkürzungen anbieten. Der EU-Beitritt bleibe ein fairer, anspruchsvoller und leistungsorientierter Prozess – doch der Beitritt neuer Länder bis 2030 sei ein realistisches Ziel, so Kallas.

Der Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, und die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas am 13. Oktober 2025 nach Gesprächen in Kiew. Foto: Sergei Supinsky/AFP via Getty Images
Selenskyj wirft Orbán vor, mit seinem Veto Putin zu unterstützen
Da für weitere offizielle Schritte in den Beitrittsverhandlungen die Zustimmung aller Mitgliedstaaten erforderlich ist, richtete Wolodymyr Selenskyj in Brüssel auch eine direkte Botschaft an den ungarischen Ministerpräsidenten, der als Einziger sein Veto aufrechterhält.
Auf einer Brüsseler Veranstaltung des Mediums „Euronews“ zum Thema Erweiterung mit Staats- und Regierungschefs sowie EU-Vertretern am selben Tag rief Selenskyj per Videoschalte den ungarischen Regierungschef dazu auf, sein Veto aufzuheben. Er warf Orbán vor, mit seiner Blockadehaltung dem russischen Präsidenten Wladimir Putin eine „ganz konkrete Unterstützung“ zu leisten, indem er den Weg der Ukraine in die Europäische Union versperre.
Er glaube nicht, dass er Orbán „etwas anbieten“ müsse, sagte Selenskyj mit Blick darauf, wie man Orbán zu einem Kurswechsel bewegen könnte. „Ich bin überzeugt, dass Viktor Orbán der Ukraine etwas anbieten sollte – einem Land, das ganz Europa vor Russland schützt. Und selbst jetzt, während dieses Krieges, haben wir von ihm keinerlei Unterstützung erhalten“, betonte Selenskyj.
Der Präsident forderte zudem nicht nur die Aufhebung des Vetos von Orbán, sondern bestand auch darauf, dass die Ukraine im Falle eines Beitritts eine vollwertige Mitgliedschaft mit gleichen Rechten erhalten müsse. Zuvor war nämlich die Idee aufgekommen, dass das Land zunächst nur eine Art „Mitgliedschaft zweiter Klasse“ mit eingeschränkten Rechten erhalten könnte.
„Meiner Ansicht nach kann man nicht ein Halb- oder Teilmitglied der EU sein“, erklärte Selenskyj.
Orbán: Ukraine nicht jetzt – und auch nicht später in die EU
Das Thema des ungarischen Vetos im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt der Ukraine steht bereits seit mehr als einem Jahr auf der Tagesordnung.
In diesem Jahr ließ Viktor Orbán in Ungarn eine Volksbefragung durchführen, um die Meinung der ungarischen Bürger zum EU-Beitrittsgesuch der Ukraine einzuholen. Etwa ein Drittel aller Wahlberechtigten schickte den Fragebogen zurück, und davon lehnten 95 Prozent eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine ab, gab Orbán im Juni bekannt.
Orbán sagte in einem Interview im März, dass die Mitgliedschaft des Nachbarlandes in der EU die Zerstörung der europäischen Wirtschaft, insbesondere der Landwirtschaft, bedeuten würde. Er führte auch Sicherheitsbedenken für den Fall an, dass ukrainische Bürger in den Genuss der Freizügigkeit innerhalb der EU kommen würden. Dabei führte er an, dass in der Ukraine 800.000 Menschen bewaffnet sind, während das Land „nicht gerade für seine öffentliche Sicherheit bekannt“ sei.
In Reaktion auf die aktuellen Anschuldigungen von Selenskyj bekräftigte Orbán am Dienstag in einem Beitrag auf der Plattform X, dass Ungarn den EU-Beitritt der Ukraine weiterhin nicht unterstütze und auch künftig nicht unterstützen werde, da man damit „den Krieg nach Europa hineintragen und das Geld der Ungarn in die Ukraine hinaustragen“ würde.

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán spricht mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj während des Gipfels des Europäischen Rates am 27. Juni 2024 in Brüssel. Foto: Olivier Hoslet/Pool/AFP via Getty Images
Orbán wies auch den Vorwurf zurück, Ungarn würde die Ukraine nicht unterstützen. Budapest habe bisher 200 Millionen Euro für humanitäre Hilfe zugunsten der Ukrainer bereitgestellt. Zudem betonte er, dass im EU-Haushalt auch das Geld Ungarns enthalten sei. Außerdem sei Ungarn im vergangenen Jahr der größte Gas- und Stromlieferant für die Ukraine gewesen.
„Ich muss den Eindruck entschieden zurückweisen, dass Ungarn der Ukraine irgendetwas schulde. Die Ukraine schützt Ungarn weder vor jemandem noch vor irgendetwas. Wir haben so etwas nicht verlangt und werden es auch in Zukunft nicht verlangen. Die Sicherheit Ungarns wird durch die ungarischen Verteidigungsfähigkeiten und durch die NATO garantiert – der die Ukraine (glücklicherweise) nicht angehört“, schrieb Orbán.
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Wie weit ist die Ukraine 2025 beim EU-Beitritt vorangekommen?
Die Europäische Kommission bewertete die Fortschritte der Ukraine bei der Erfüllung der Voraussetzungen für eine EU-Mitgliedschaft in den vergangenen zwölf Monaten in dem Jahresbericht insgesamt positiv. So lobte sie unter anderem die von der Regierung in Kiew verabschiedeten Aktionspläne zur Stärkung des Rechtsstaats, zur Reform der öffentlichen Verwaltung und zur Verbesserung der Funktionsweise demokratischer Institutionen.
Ferner verabschiedete die Ukraine einen Aktionsplan für nationale Minderheiten, der in Brüssel ebenfalls positiv aufgenommen wurde. Die Unterdrückung von Minderheitenrechten zählt zu den wichtigsten Kritikpunkten, die Russland gegen die Ukraine vorbringt. Auch Ungarn ist in den vergangenen Jahren besonders aufgrund des Umgangs mit der ungarischen Minderheit wiederholt mit Kiew in Konflikt geraten.
Gleichzeitig drängte Brüssel die ukrainische Führung, die jüngsten „negativen Tendenzen“ umzukehren, insbesondere im Bereich der Korruptionsbekämpfung. Zudem forderte die Kommission die Beschleunigung der Reformen im Land.
Wie geht es nun weiter?
Kos unterstrich am Dienstag in Brüssel, dass jeder Schritt im Beitrittsprozess die einstimmige Zustimmung aller Mitgliedstaaten erfordert. Sie fügte hinzu, dass dies den EU-Ländern ermögliche, den Fortschritt – oftmals aufgrund bilateraler Streitpunkte – zu blockieren.
Zugleich rief sie die Mitgliedstaaten dazu auf, die von den Beitrittskandidaten geleistete Arbeit anzuerkennen, und dass die EU ihrerseits ebenfalls liefern müsse. Kos erklärte, sie wolle bereits im kommenden Monat grünes Licht für die Ukraine und Moldau erhalten, damit sie mit den formellen Beitrittsverhandlungen fortfahren könne. Ungarn blockiere jedoch weiterhin den Antrag Kiews.
In Ungarn finden im kommenden April Parlamentswahlen statt. Ein zentrales Element von Orbáns Wahlkampagne ist das Versprechen, den EU-Beitritt der Ukraine zu verhindern. Sollte der Oppositionspolitiker Péter Magyar gewählt werden, könnte dies einen politischen Kurswechsel zugunsten der Ukraine bedeuten.
Selenskyj wurde auf der Pressekonferenz am Dienstag gefragt, ob er im Zusammenhang mit den ungarischen Wahlen auf einen politischen Wandel hoffe. „Ich glaube nicht, dass irgendjemand das Recht hat, die Entscheidung des ungarischen Volkes oder die Wahlen in Ungarn zu beeinflussen“, sagte Selenskyj.
In Brüssel ist es zudem bislang noch nie so weit gekommen, Ungarn das Vetorecht zu entziehen, auch wenn es bereits entsprechende Initiativen gegeben hat.
Orbán betonte am Dienstag, dass jedes EU-Mitgliedsland das souveräne Recht habe, die Aufnahme eines neuen Mitglieds zu unterstützen oder abzulehnen. Ungarns Vorschlag sei daher nicht eine Mitgliedschaft, sondern dass die EU mit der Ukraine eine strategische Partnerschaft eingehen solle – allerdings ohne EU-Beitritt.
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